Mir fehlt das Schreiben im Café: Versorgt mit einem Keks und Cappuccino, mein Notizbuch vor mir, einen Stift, das Handy in Griffweite. Nicht nachdenken zunächst, sondern aufschreiben, was kommt. Gedanken zum Tag, Erlebtes, Gefühle. Über das Schreiben und das, was mich scheinbar vom Schreiben ablenkt. Was noch nachhängt von dem, was im Außen so los ist: Büroalltag, Gespräche mit Kollegen, endlose To-Do-Listen und Termine. Ringen um Fokussierung, die schließlich mit Hilfe des Schreibens gelingt. Den Raum öffnen, Weite zulassen. Die Welt um mich versinkt und dennoch brauche ich sie: Das energische Klopfen, mit dem das gebrauchte Kaffeemehl aus dem Siebträger befördert wird. Das anschwellende Kreischen der Milchschaumdüse. Gelächter und Satzfetzen, die zu mir herüberwehen, von ratschenden Müttern oder Monteuren in Arbeitsklamotten. Das Klappern einer Laptoptastatur. Dass jemand da ist, wenn ich von meinen linierten Seiten aufschaue und innehalte. Und dann höre ich plötzlich diese Stimme in mir: „Früher hast du viel mehr gebloggt“, mault meine innere Schreiberin. „Ja, früher! Da hattest du auch mehr Ideen!“, halte ich ihr entgegen. Sie schweigt, ein bisschen beleidigt. Kein Wunder, denn wir wissen doch beide, dass Schreiben vom Schreiben kommt. Vom Hinsetzen und Tun, auch wenn die ersten Sätze stolpern.
Mir fehlt das Schreiben im Café, schreibe ich. „Das ist traurig“, sagt die Schreiberin. „Aber Schreiben kannst du doch immer, egal wo.“ Stimmt. Umso mehr jetzt, wo ich die seeligen Kaffeehausmomente heraufbeschworen habe. Ich fülle meine Teetasse und tu ein wenig so, als säße ich wirklich dort. Die Worte kommen.
Schon länger habe ich hier auf dem Blog nichts mehr gepostet, aber dennoch immer weiter geschrieben und mein Debüt als Self Publisherin vorbereitet. Ja, genau - ich, die überzeugte Verlagsautorin. Wie kommt das?
Nun, zum einen habe ich die Rechte für meinen ersten Roman Brot und Bitterschokolade vom Verlag zurückerhalten. Ich schaue immer noch voller Freude auf mein Debüt im SüdOst Verlag (Verlagsgruppe Gietl) zurück: Es war eine großartige Zeit, mit Interviews, einer Buchvorstellung im Regionalsender und tollen Lesungen. Das ist nun drei Jahre her.
Es war das Sprungbrett für meine weitere Entwicklung als Autorin, und ich habe inzwischen drei (!) weitere Bücher in Verlagen veröffentlicht: Zwei Nordseeromane bei forever by Ullstein; das Taschenbuch zu Friesenteetage erscheint Ende Oktober. Und Das Schreiblustbuch zusammen mit Petra Teufl - ein Buch mit 50 Schreibimpulsen, das vom Kösel Verlag wunderschön gestaltet wurde und seitdem viele Menschen zum Schreiben inspiriert. Die Schreibimpulse kommen aus Petras und meiner Praxis als Schreibgruppenleiterinnen.
Und mit einer weiteren lieben Kollegin, Gerda Stauner, gebe ich das Wissen rund ums Veröffentlichen und den Umgang mit Verlagen weiter. Zum einen haben wir gemerkt, dass der Bedarf dafür einfach da ist; entsprechende Fragen tauchen in unseren Lesungen und Schreibwerkstätten immer wieder auf. Also haben wir den Kurs konzipiert, den wir am Anfang unseres Autorinnenlebens selbst gerne gehabt hätten: Erste Schritte ins Autorenleben.
Dabei liegt der Schwerpunkt ganz klar auf Verlagsveröffentlichungen, doch das Self Publishing ist für viele natürlich eine interessante Option. Deshalb war ich nach der anfänglichen Enttäuschung darüber, dass mein Erstlingswerk nicht neu aufgelegt wird, Feuer und Flamme: Ich mache es einfach selbst, entschied ich. Ich brauchte nur ein neues Cover, und zufällig kannte ich auch schon eine Designerin, die es mit viel Elan umsetzte.
Und dann beschäftigte ich mich intensiv mit der Technik - sprich, mit dem Konvertieren von Textdateien zu ebooks und der Bedienung von KDP (Kindle Desktop Publishing, der Self Publishing Plattform von Amazon) und Tolino Media.
Und nicht genug damit: Ich absolvierte eine Generalprobe mit einem ganz anderen Projekt - dem Gedichtband, den ich komplett selbst zusammenstellte und für den ich das Cover selbst gestaltete (die Texte hatte ich natürlich auch geschrieben und ein Konzept, einen roten Faden ausgearbeitet). Denn schon lange träumte ich von einem Lyrikband, einem "Best of" der letzten Jahre.
Damit konnte ich Erfahrungen im Taschenbuchbereich sammeln. Ich testete verschiedene Anbieter und ging schließlich (doch) zu Books on demand, kurz BOD. Ich produzierte auch ein Ebook, doch erschienen ist Am Fluss entlang dann ausschließlich als gedrucktes Buch. Für die variable Anzeige auf einem Ebook-Reader oder Smartphone sind Gedichte nicht geeignet, finde ich. Zu wichtig ist die Formatierung, das äußere Erscheinungsbild der Gedichte, die Zeilen- und Seitenumbrüche sind Teil des gestalteten Textes.
Und nun veröffentliche ich Brot und Bitterschokolade neu als Ebook. Es fühlt sich an wie ein ganz neues Buch, und ich bin sehr stolz darauf! Auf den Roman, seinen Entstehungsprozess und meine Einarbeitung ins Self Publishing - die technische Seite. Denn es ist mir vor allem wichtig, dass das Buch nicht vom Markt verschwindet, dass es bestellbar bleibt.
Was ich dabei auch gelernt habe: Erfolgreiche Independent Autoren und Autorinnen sind sehr, sehr erfinderisch und fleißig, stecken eine Menge Zeit und Geld in Lektorat, Korrektorat (Arbeitsschritte, die bei mir schon der Verlag erledigt hatte) und Marketing. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn man ohne Verlag erfolgreich werden will.
Ich kann nun beide Veröffentlichungswege einschätzen und sagen: Ich bleibe gern Verlagsautorin und konzentriere mich auf das, was ich am besten kann, das Schreiben. Doch sollte es mal nicht klappen (zum Beispiel, weil ein Buchprojekt die gängigen Genregrenzen sprengt), dann weiß ich jetzt auch, wie es anders geht!
Man möchte meinen, nach zwei veröffentlichten Romanen wüsste ich, wie es geht. Würde souverän planen und das Ding dann zielgerichtet runterschreiben ... ganze Stapel zumeist us-amerikanischer Schreibhandwerksbücher jedenfalls suggerieren, dass das die beste Methode ist. Entsprechend viel ist über den Aufbau, Figurenentwicklung und das Plotten von Romanen schon geschrieben und gesagt worden. Doch da ist auch noch die Theorie der Schreibberatung und die Praxis der Erfahrung: So ganz geradlinig geht es beim Schreiben selten zu. Es ist ein Annäherungsprozess, der irgendwie geleistet werden muss - vor, während und/oder nach dem Schreiben einer Rohfassung. Und auch die Schreibforschung spricht von verschiedenen Schreibertypen. An einem Ende stehen die Strukturfolger: Sie entwerfen zuerst eine Struktur, planen also ihren Text voraus, und folgen beim Schreiben der vorausgeplanten Struktur. Für den Roman heißt das, sich einen Plan von der Handlung zu machen mit Anfang, Mittelteil, Schluss; dazwischen Wendepunkte, Vorausdeutungen, Verwicklungen. Manche Autorinnen fahren gut mit einem Plot-Plan, bei dem nicht nur der grobe Handlungsverlauf festgelegt ist, sondern auch die einzelnen Szenen - ihre Abfolge, der jeweilige Inhalt, Perspektive, Stimmung und Funktion innerhalb des großen Ganzen.
Am anderen Ende der Skala stehen die Strukturschaffer: Diejenigen, bei denen der Weg durch den Text beim Gehen (=Schreiben) entsteht. Da ist viel Versuch und Irrtum, können ganze Textpassagen verworfen, verschoben, grundlegend überarbeitet werden.
Die meisten SchreiberInnen bewegen sich irgendwo dazwischen, die Ideallinie gibt es nicht bzw. ist sie für jedeN individuell. Abhängig nicht nur vom Schreibertyp, sondern auch vom Genre und vom Schreibprojekt. Eine Fantasy-Geschichte mit mehreren, hunderte von Seiten dicken Bänden erfordert einfach mehr Planung als ein 240seitiger Liebesroman. Vielleicht gibt es Genies, die das alles im Kopf zusammenbacken können. Aber die meisten von uns brauchen Planungs- und Gedächtnisstützen dafür - nicht zuletzt, weil das Produzieren von Text auch die Gedanken zum Text formt und umgekehrt. Schreiben ist Entwicklungs-, Lern- und Produktionsprozess zugleich.
Bei meinen beiden ersten Büchern galt es nicht nur jeweils einen Roman zu entwickeln - das Schreiben zog sich über viele Jahre hin und diente auch meiner Schreibentwicklung allgemein. Diese ist sicher nie ganz abgeschlossen, aber ich spüre, dass ich mehr und mehr zu meiner Form finde und damit auch nicht mehr ganz so viel Text verwerfen muss wie am Anfang. Den Erstling "Brot und Bitterschokolade" beispielsweise warf ich - nach dem fundierten, aber auch irgendwie frustrierenden Feedback einer geschätzten Schreibpartnerin - komplett weg und erzählte die Geschichte neu. Zwar gibt es auch den Typus des Versionenschreibers, der den Text bewusst mehrmals neu schreibt und sich so an die perfekte Endfassung annähert. Aber zu diesem Typus gehöre ich nicht.
Beim Zweitling ergaben sich viele Überarbeitungsgänge schlicht aus dem Liegenlassen des Manuskripts. Es ist kein Geheimnis, dass es lange dauern kann, bis man einen Verlag findet - in der Zwischenzeit schlummern die Manuskripte auf der Festplatte vor sich hin und wenn man es dann wieder ausgräbt, fallen einem sofort tausend Sachen ins Auge, die geändert werden müssen. Oder man ändert, weil die Absagen mit Feedbacks dazu verbunden waren, warum das Manuskript (noch) nicht marktfähig ist.
Diesmal will ich es nun also "richtig" machen: Einen Plan aufstellen und dann - innerhalb kurzer Zeit - den Roman schreiben. Das verspricht auch mehr Durchgängigkeit, was die Stimmung, den Stil und die Logik der Figuren anbelangt.
Doch um zu beginnen, brauche ich eine Diskussionsgrundlage - auch wenn ich erst mal nur mit mir selber diskutieren muss. Ich beginne also mit einer Szene, lasse meine Hauptfigur auftreten - ich möchte sie erleben, sie sprechen lassen, bevor ich ihren Charakter in eine Tabelle mit ihren wichtigsten Eigenschaften, ihrem Aussehen und ihrem Werdegang und ihren Wünschen zu pressen versuche.
Dabei investiere ich bewusst in Textarbeit, um mich "heranzuschreiben" an die Figuren und die Handlung. Und auch um herauszufinden, ob die Stimmung trägt, ob ich nach einigen Tagen immer noch weitermachen kann und möchte.
Erst dann mache ich mich daran, die Handlung genauer zu skizzieren. Früher habe ich angehenden Schreiberlingen gern geraten "wenigstens auf ein Ende zu" zu schreiben. Heute würde ich sagen, das reicht nicht. Auch das Dazwischen sollte gut geplant sein. Diesmal versuche ich es systematisch - und bleibe erst mal hängen. Mein Unterbewusstsein braucht einiges an Zeit, um den Stoff aufzubereiten. Zwar schreibe ich einen Anfang, aber dann hänge ich. Aber nicht lange. Ich arbeite mich systematisch vor und nutze dabei ein so genanntes Beat Sheet von Scriptdoktor alias Literaturkaninchen / Daniela J. Pusch, inspiriert von Blake Snyder (und da wären wir wieder bei den us-amerikanischen Schreibgurus, diesmal aus dem Drehbuchbereich)... Andere Plot-Hilfen wie die Heldenreise funktionieren ähnlich. Zumindest aber sollte man sich im Klaren sein, dass eine Geschichte einen Aufbau braucht. Festhalten kann man ihn in dem oben genannten Beat Sheet (das wie ein Fragebogen benutzt werden kann), auf Karteikarten, mit Hilfe einer Schreibsoftware (das ist wieder ein Kapitel für sich) oder als komplette Nacherzählung der Geschichte. Dieser Handlungsaufriss kann während der eigentlichen Textproduktion immer wieder überprüft, angepasst, verfeinert werden.
Nachdem ich das Beat Sheet ausgearbeitet hatte, flutschte es plötzlich - und ich schrieb in relativ kurzer Zeit die ersten 130 Seiten des Romans ... und ich bin zuversichtlich, dass sich die zweite Hälfte ebenso flott realisieren lässt. Ob es geklappt hat, erfahrt ihr hier auf diesem Blog - oder wenn das Buch erscheint :-)
Übrigens: Diesen Text habe ich einfach so "runtergeschrieben". Damit ihr wisst, was ich gerade so treibe und warum es hier so still ist - so viel zu The making of the making of.
Türkisblaues Wasser, die Weinberge, der weite Blick, sanftes Schaukeln auf dem Wasser während einer Minikreuzfahrt, ein Glas Rosé bei Sonnenuntergang.
Urlaub am Bodensee - eine traumhafte Woche. Aber.
Ich habe die erste Woche der bayerischen Sommerferien erwischt. Und natürlich herrscht reger Betrieb. Überall quengelnde Kinder, gequälte Eltern, mäkelige Mittelalte am Fähranleger, an der
Seilbahn-Talstation, der Aussichtsterrasse, der Museumskasse. Und ich selber mittendrin. Plötzlich kommen sie mir gar nicht mehr so glücklich vor, die anderen und ich - sondern vielmehr kindlich
und verweichlicht: Wir haben Urlaub und alles soll schön sein. Missempfindungen haben da keinen Platz, sofortige Bedürfnisbefriedigung ist angesagt. Noch ein Eis, ein Stück Kuchen oder
Mittagessen an einem schönen, ruhigen Platz... und hundert andere Menschen, die sich das Gleiche wünschen. Ich spüre, wie auch mich ein Sog erfasst. Es tut mir gar nicht so gut, mich "einfach
treiben" zu lassen - mein innerer Kompass ist noch vom Alltag zugemüllt.
Dabei möchte ich einfach nur zur Ruhe kommen. Zu mir. Spätestens das ist der Moment, in dem ich mich ans Schreiben erinnere. Erst halte ich ebendiese Empfindungen fest. Dann das, was um mich
herum geschieht. Ich beobachte die Menschen, die kommen und gehen. Wie sie aussehen, wie sie sich verhalten. Woher sie kommen, wie sie auf mich wirken. Und die Räume um mich her. Die Worte
verankern mich in der Realität und gleichzeitig schaffe ich mir einen Gedanken-Raum, in dem ich ganz bei mir selber bin - egal, wie dicht die Tische um mich herum besetzt sind. Und ich werde
ehrgeizig bei der Suche nach dem richtigen Wort, der richtigen Beschreibung. Welche Farbe haben diese Sessel im Hotel? Ermattetes Weinrot, Flaschengrün? Und die Bar - ist das
Klavierlackimitat?
Urlaub heißt ja: Sitzen und Beobachten können, ohne besonderes Ziel. Dann steigen Gedanken, die sonst vom Alltag zugedeckelt sind, an die Oberfläche. Ideen, Programmatisches. Sehnsüchte und
Selbsterkenntnisse. Und vielleicht auch ein bisschen Poesie. Oder, ganz pragmatisch: Beschreibungen und Szenen, die sich später in einem Text verwenden lassen. Vielleicht sogar der Ausgangspunkt
für eine Kurzgeschichte oder eine spannende Figur.
Im Alltag funktioniert es auch - das habe ich letzte Woche in meiner Schreibwerkstatt wieder erlebt. Zehn Schreibbegeisterte schwärmten aus, um den Sommer in der Stadt zu schreiben - und kamen
mit wunderbar detailreichen, feinen Beobachtungen zurück. Und wenn es nur ein Wolkenfeld ist, das der Wind südostwärts treibt.
Mal ganz ehrlich: Wem fällt es schon leicht, "Geduld" zu haben? Schriftstellerinnen brauchen jede Menge davon. Von den zarten Schreibanfängen - oft schon in der Grundschule - bis zur ersten Veröffentlichung kann ein halbes Leben vergehen.
Mark Twain soll mal gesagt haben, dass man zum Schreiben nur ein bisschen Talent braucht, aber ganz viel Sitzfleisch. Allein bis so eine Geschichte überhaupt ausgedacht ist, fließt viel Tinte den Erzählfluss hinunter. Bis man sie als lesbar bezeichnen kann, braucht es möglicherweise mehrere Überarbeitungsgänge. Fertig ist man sowieso nie wirklich.
Nach all der Zeit im stillen Kämmerlein kann man schon mal Zweifel am eigenen Text bekommen: Ist das Bullshit oder einfach nur genial? Normalerweise ist es irgendwas dazwischen. Dann heißt es, die Kritik sorgfältig abzuwägen - und sich nochmal dranzusetzen. Irgendwann ist es dann an der Zeit, das Geschriebene in die Welt hinauszuschubsen wie ein Kind, das langsam flügge wird. Es an Agenturen und Verlage zu schicken. Dann heißt es wieder: Warten. Geduldig sein. Denn es gibt unendlich viele Menschen, die gut schreiben und deren Manuskripte sich auf den Schreibtischen der Literaturverantwortlichen stapeln. Manche von denen reagieren überhaupt nicht - mit oder ohne Ansage: "Wenn wir uns innerhalb von 3 (respektive 4, 5, 6 Monaten) nicht melden, gehen Sie bitte davon aus,dass wir kein Interesse haben..."
Einige sind aber in der Lage, innerhalb von ein bis zwei Monaten eine Rückmeldung zu geben. Und einige wenige antworten nach langer, langer Zeit. Mein persönlicher Spitzenreiter liegt bei eineinhalb Jahren Reaktionszeit. Unnötig zu erwähnen, dass es sich um eine Absage handelte. Aber immerhin um eine Antwort.
Im Falle einer Zusage dauert es wieder eine Weile, bis das Manuskript auf den Markt kommt. Immerhin ist in dieser Zeit auch einiges zu tun: Die Abstimmung des Buchcovers, Klappentext, Lektorat ... und zum Schluss die endgültige Druckfreigabe. Und dann: Wieder warten, bis das Buch erscheint und wie es sich verkauft.
Dann warten auf die nächsten Einfälle. Kreative Geduld. Den Geist öffnen. So tun, als ob man gar nicht wartet. Denn geniale Ideen hüpfen nicht frontal durchs Bild. Sie sind zart und durchscheinend wie Seepferdchen, und sobald man nach ihnen greift, verblassen sie vielleicht. Man ist drauf angewiesen, dass sie als mentaler Beifang ins Netz gehen.
Zum Glück haben wir keine Wahl: Wir müssen schreiben. Egal ob es öffentlich wird oder nicht. Die ausgedehnten Phantasiereisen meiner Kindheit unternahm ich schließlich aus Lust am Märchenerfinden und Träumen. Zu diesen Träumen gehörte es auch, eines Tages Schriftstellerin zu sein. Offenbar war ich geduldig genug ...
Schon mehrmals durfte ich in der Jury eines Schreibwettbewerbs mitwirken. Ein hoch spannendes Ehrenamt, bei dem man selber auch viel lernt. Zum Glück erledigt man diese Arbeit nicht alleine, sondern zusammen mit anderen Jurymitgliedern, die sich meist aus Autoren und den Organisatoren des Wettbewerbs zusammensetzt. Dabei stellen die Jurymitglieder ihre eigenen Lesevorlieben hinten an, doch natürlich gibt es keine 100prozentige Objektivität bei Texten und es wird über manche Texte intensiv diskutiert, bis ein Ergebnis gefunden ist, das alle mittragen können.
Wie "streng" die Jury mit den Texten ist, hängt auch davon ab, welchen Anspruch und welche Absicht der Wettbewerb verfolgt. Ein paar inhaltliche und formale Grundregeln sollte man aber bei jedem Wettbewerb beherzigen:
"Aber natürlich", werdet ihr jetzt einwenden, "das ist doch selbstverständlich." Trotzdem sieht man manchen Texten an, dass sie schon lange auf der Festplatte schlummern und nur für diesen Wettbewerb zurechtgedengelt wurden. Das kann funktionieren, wenn man zufällig einen passenden Text parat hat oder das Thema weit gefasst ist, doch meistens spürt man als Jurymitglied, ob der Autor wirklich etwas zu dem Thema zu sagen hat oder ob es sich um einen Schubladenfund handelt.
Genauso wenig nutzt es, ein Gesamtwerk einzuschicken, das die Längenvorgabe überschreitet und bei dem es der Jury überlassen bleibt, sich was Passendes herauszusuchen. Hier gilt das Gleiche wie zuvor: Es ist der Job des Autors, einen Text einzusenden, von dem er überzeugt ist, dass er passt. Fällt euch die Auswahl schwer, nehmt einfach den oder die besten. Oder schreibt einen brandneuen, individuellen Beitrag. Ein Wettbewerbsthema kann eine spannende Schreibanregung sein.
A propos Längen- und Mengenvorgabe: In der Ausschreibung steht meistens ganz genau, welchen Umfang die Beiträge haben sollen - entweder in Normseiten oder durch Vorgaben wie Schriftgröße und Zeilenabstand. Was eine Normseite ist, lässt sich einfach herausfinden, zum Beispiel hier.
Gerade bei kleineren Schreibwettbewerben ist die Jury sicher nicht so streng und lässt ein paar Zeilen mehr auch durchgehen, wenn der Beitrag ansonsten überzeugt. Aber randlos in Schriftgröße 9 vollgequetschte Seiten - das fällt auf und nervt. Wenn man mehrere Texte einsenden darf, z.B. bei Gedichten, sollte man sich auch an die Maximalzahl halten.
Die angenehmsten Manuskripte sind mit dem Computer in schwarz auf weiße DIN A 4 - Blätter ausgedruckt oder - ja, auch das gibt es noch - maschinengeschrieben, halten die Formatvorgaben ein und verzichten auf aufwändige Formatierungen. Natürlich kann der Text es erfordern, dass Stellen fett oder kursiv hervorgehoben werden. Aber dann bitte sparsam und einheitlich - und am liebsten nur in einer einzigen, gut lesbaren Schriftart wie Times New Roman oder Arial. Das ist nicht langweilig, sondern schlicht lesefreundlich und lenkt den Blick auf's Wesentliche: Auf die Poesie der Worte, die spannende Handlung oder die überraschende Perspektive des Textes.
Ach ja: Illustrationen und Fotos sind ebenfalls tabu, wenn der Wettbewerb nicht explizit danach verlangt.
Es gibt Schreibwettbewerbe, bei denen Regionales im Vordergrund steht. Hier können dramatische, biografisch inspirierte Erlebnisse (etwa der Kriegs- und Nachkriegsgeneration) goldrichtig sein, weil sie ein Stück Regionalgeschichte sind. Doch selbst diesen Texten schadet es nicht, wenn sie den Grundregeln des Schreibhandwerks folgen - und noch viel mehr gilt das für Fiktion und bei Wettbewerben mit einem halbwegs literarischen Anspruch. Das Schreibhandwerk umfasst Themen wie Plot (Handungsaufbau), Figuren, Perspektive, den Umgang mit Erzählzeit und Zeitsprüngen, Sprache, Stil und vieles mehr. Um das zu lernen, gibt es Kurse, Bücher und kostenlose Ratgeber im Internet.
Und sucht euch Testleser - am liebsten welche, von denen ihr wisst, dass sie selbst viel lesen und ehrlich zu euch sind. Sie werden vielleicht die Theorie nicht kennen, aber sagen können, ob sie den Text spannend fanden, ob sie sich mit den Figuren identifizieren können und warum. Seid offen für Kritik und entwickelt ein Gespür dafür, welche ihr annehmen wollt (weil sie dem Text gut tut) und welche nicht - und dann setzt euch, nach dem anfänglichen Schock, auf den Hosenboden und überarbeitet den Text noch einmal gründlich - bis hin zur Rechtschreibkorrektur. Denn wie soll ein Text, bei dem es schon an den Grundlagen mangelt, die Jury überzeugen?
Ähnliches gilt übrigens auch, wenn ihr Texte an Verlage und Agenturen einreichen wollt. Verschießt euer Pulver nicht zu früh. Arbeitet an euch und euren Texten. Es ist ein Handwerk und kein Geschenk, das irgendwie vom Himmel fällt.
Bei vielen Wettbewerben gibt es nicht nur einen mehr oder weniger hoch dotierten Preis, sondern mehrere, oder es winkt die Veröffentlichung in einer Wettbewerbs-Anthologie. Und das zu schaffen, ist nicht so schwer - die meisten Autoren und Autorinnen haben so angefangen.
Aber Vorsicht: Schaut euch die Ausschreibung genau an - für viele Verlage (die ihr nicht in eurer Lieblingsbuchhandlung finden werdet) sind die Anthologien ein Selbstzweck und die Exemplare werden überwiegend von den Autoren und Autorinnen selbst gekauft (manchmal muss man sogar Pflichtexemplare kaufen, und Honorar gibt es sowieso nicht). Ein Indiz ist, wenn kein Preisgeld ausgelobt ist und der Verlag ausschließlich Anthologien herausbringt. Trotzdem macht es natürlich Freude, sich zum ersten Mal gedruckt zu sehen - wenn die Anthologie dann noch schön gemacht ist, kann man ja ein paar davon an Freunde und Verwandte verschenken. Doch übertreiben sollte man es damit nicht.
Mein Erstling Brot und Bitterschokolade handelt von einer Frau auf der Suche nach Liebe und einem Mann am Beginn einer neuen Existenz. Beide haben Schwieriges hinter sich, das die Annäherung erschwert. Doch im Grunde führen beide ein ganz normales Leben: Meine Figuren sind Menschen wie du und ich, und ich wünsche mir, dass ihre Geschichte die Leser (die in der Mehrzahl Leserinnen sind) berührt und für eine Weile unterhält.
Kann man in der heutigen Zeit noch sowas schreiben? Wo doch die Welt aus den Fugen zu geraten scheint? Dürfen die eigenen Figuren unbehelligt sein von den Trumps und Putins dieser Welt, von Bomben und Terroristen, die Alltagsdinge wie Brauereilastwägen mit mörderischer Absicht in belebte Einkaufsstraßen steuern?
Meine Protagonisten sind natürlich auch von dieser Welt und leben in ihr: Gina hat in Kolumbien gelebt und schenkt einer Bettlerin aus Osteuropa Geld und Essen; Marvin bemüht sich laut eigener Aussage "wieder ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft zu werden" - was er eine Weile nicht von sich behaupten konnte. Doch das ist nur der Hintergrund der Liebesgeschichte, es wird nicht zum Hauptthema. So wie die meisten von uns einem Alltag nachgehen, trotz oder gerade wegen der Hiobsbotschaften, die uns tagtäglich erreichen, trotz der kleinen und größeren persönlichen Tragödien, die jede(n) von uns im Lauf des Lebens ereilen. Die Romanhandlung blendet die Welt nicht aus, doch die Weltsicht meiner Figuren ist in dem Ausschnitt ihres Lebens, den ich für die Romanhandlung gewählt habe, vollkommen subjektiv und auf sie selbst bezogen.
Ich schreibe nicht nur, ich lese auch gerne Unterhaltungsromane. Auch sie erzählen ja oft von Krisen (ohne Konflikte keine Handlung), führen die Figuren durch Höhen und Tiefen und durch eine Entwicklung, die sie oft am Ende glücklicher erscheinen lässt als zu Beginn. Das gibt mir Freude und Hoffnung - so, wie ich auch guten Freunden nur das Beste wünsche und mit ihnen mitleide, wenn das Leben es mal nicht gut mit ihnen meint. Ich denke, das ist Ausdruck von Empathiefähigkeit und nicht zuletzt rühren gut erzählte Geschichten auch an eigene Erinnerungen und Lebenswünsche. Ein schön geschriebener Unterhaltungsroman lässt mich für eine Weile abtauchen in eine andere Welt.
Das ist einfach nur gesund und hilfreich - jedenfalls für mich. Anschließend stelle ich mich gerne wieder der Realität, gestärkt von dem Genuss einer guten Geschichte und vielleicht auch nachdenklich darüber, was das Leben so bereithält. Es geht mir gut, wenn ich aus der Lektüre auftauche, und ich bin zuversichtlich, dass sich wandeln kann, was vorher problematisch schien.
Letzte Woche erhielt ich dazu eine berührende Rückmeldung: Nach meiner Lesung in Tegernheim erzählte mir eine ältere Dame von ihrer Kriegskindheit in Regensburg und wie genau sie sich noch an die Kampfflugzeuge erinnere, deren Ziel die Messerschmidt-Werke im Westen waren - und wie schrecklich es war, als dabei auch Bomben auf ihre eigene Wohngegend niedergingen.
Jetzt habe sie genug von schlimmen Geschichten. Ich solle weiterschreiben, damit ich wiederkommen und etwas vorlesen könne.
Die meisten Menschen beginnen aus Freude mit dem Schreiben. Das kann und soll auch so bleiben. Doch wer professionell schreiben möchte, sollte neben der Leidenschaft auch etwas Leidensfähigkeit mitbringen. Leidenschaft, um bei der Stange zu bleiben. Leidensfähigkeit, weil ein guter Text vor allem durch Überarbeiten entsteht. Und das kann aufwändig und mitunter sogar schmerzhaft sein, wenn lieb gewordene Formulierungen nicht so recht in das Gesamtwerk passen wollen oder stilistisch verbesserungswürdig sind. "Kill your darlings" heißt ein schreibhandwerklicher Grundsatz aus dem angelsächsischen Raum.
Gut ist, wenn man versierte Testleser und Testleserinnen zu seinem oder ihrem Freundeskreis zählen darf. Doch nicht jedeR Testleser eignet sich für alles. Der eine kann besser Schwächen im Plot erkennen und benennen (ja, auch das ist wichtig: das Sprechen über Texte erfordert ein gewisses Repertoire). Die andere ist eine gute Stilkritikerin. Ein Schreibprojekt durchläuft verschiedene Phasen und deshalb ist es ratsam, den Rohtext nicht zu früh aus der Hand zu geben - sonst sind die Testleser vor der Zeit verschlissen und man selbst frustriert. Abgesehen davon, dass es wenig Spaß macht, eine Geschichte in unzähligen Versionen wieder und wieder zu lesen: Auch ein noch so aufmerksamer Leser wird die jeweils aktuellere Version nicht mehr völlig unvoreingenommen betrachten und die Wirkung auf die spätere Leserschaft nicht mehr so gut einschätzen können wie zu Beginn.
In der Anfangsphase eines Schreibprojektes kann es sinnvoll sein, nur darüber zu sprechen, um sich über den Plot sowie Motive und Charakter der Figuren klar zu werden. Das geht gut mit einem anderen Autor oder in einer Schreibberatung.
Erst, wenn man sich Feedback geholt und das Bestmögliche am eigenen Text getan hat, ist ein Lektorat empfehlenswert. Das macht normalerweise der Verlag. Doch um an einen solchen zu kommen, sollte das Manuskript schon vorher optimiert sein. Ideal ist dafür eine Partnerschaft mit einem anderen Autor oder Autorin - um sich gegenseitig zu lektorieren und voneinander zu lernen. Und natürlich gibt es Lektoren, die gegen Honorar arbeiten. Dieses sollte nicht zu niedrig sein - ein Lektorat für Manuskript, das man anschließend wegwerfen oder nochmal bearbeiten muss, ist kein Schnäppchen.
Nur eines ist hier fehl am Platze: Falsche Eitelkeit und verletzter Stolz. Denn beim professionellen Schreiben geht es gar nicht um den Autor, die Autorin: Es geht um den Text, der unsere absolute Aufmerksamkeit und Hingabe verdient hat. Getreu dem Leitsatz: Es gibt keine schlechten Texte. Es gibt nur unfertige Texte.
Dem hundertjährigen Jubiläum des Dadaismus zu Ehren
Mache drei Listen:
1. Fachwörter aus deinem Fachgebiet oder aus dem Bereich deines Hobbys. Oder noch besser: Lass dir von anderen solche Wörter schenken. Es macht nichts, wenn du nicht weißt, was sie bedeuten -
z.B. Rüttelflasche, Splintholz, Kanalauskunft.
2. Konkrete Verben, z.B. leben, trinken, schlafen. Sie dürfen ganz gewöhnlich sein.
3. Vorsilben wie ab-, be-, de-, durch-,ent-,ge-,hin-, über-,ver-, weg-, zer-, ge-, ent-, ...
Kombiniere Wörter und Silben. Schreibe einen Text, z.B. eine Anleitung zu irgendetwas oder eine kurze Geschichte. Schaffe kreative Übergänge und verfremde das gefundene Material weiter, z.B. das
Splintholz wegschlafen, die Aus- und Einkunft zertrinken. Zur Inspiration empfehle ich das Hörbuch "Lesen gehn..." mit Gedichten von Oskar Pastior - oder den folgenden Text, der vielleicht
nicht ganz dadaistisch ist, aber dafür schön absurd:
Schlafrausch
Sie hatten einander zugezwungen und das gemeinsame Leben erprostet. Er im Schlafrausch, sie im Negligé. Genossen in hellen Omnibussen. Kein Wagen zu rostig, kein Schienbein zu viel. Hatte er sie
getreten zu gehen, allein: Sie blieb. Hinter dem Vorhang, doch unter der Wiese, die kein Golfschlag je zerrieb. Der Labrador entsagte. Blutsinnig und wutend gerieten sie, mit lockigen Schädeln
ineinander geschubbert. Die Putzfrau fand nur noch die Krümel im Bett. Lästig und liebreich kletterten sie auf der morschen Leiter des Glücks. Fehlkontrolle, Dateien und Hellebarden waren meliert
und gehörten gehasst, zerborstet im Wellenspiel des Liebesguts. Wie Strandpapier schmirgelt deine Wonne, wie Pampelmuse klebt dein Kraut. Wo Sinn, wohin? Kein anderes Tier.
(erschienen in: Literaturzeitschrift & radieschen - Heft Nr. 21: Schund und Fund & radieschen)
Mir wird hin und wieder ein ungewöhnlicher Sprachgebrauch bescheinigt: Worte und Formulierungen, die - aus dem Bauwesen entlehnt und in einen erzählerischen Kontext gebracht - poetisches Potenzial aus ihrer Fremdheit schöpfen. Meist fällt mir das gar nicht auf, bis jemand irritiert oder auch bezaubert reagiert. Ähnlich geht es mir auch mit einem Text, den ich hier gerne vorstellen möchte: Er stammt aus einem Flyer, der neulich meiner Brottüte landete und mir Einblick in die "Backphilosophie" meiner Lieblingsbäckerei verspricht.
Authentische Sprache schafft Vertrauen
Da ist die Rede von einer 5stufigen Sauerteigführung: Die einzelnen Teigstufen vom Anstellgut und Anfrischsauer über Grundsauer, Vollsauer und schließlich Teig stellen sich hier unbeeindruckt von meinem backhandwerklichen Laienstatus vor. Aha!, der Teig wird also von kompetenter Hand geführt und nicht etwa sich selbst überlassen, wie ich, die ich gelegentlich schon Brot gebacken habe, mir das vorstelle. Das schafft Vertrauen, genauso wie der Sprachduktus. Zwar kommen die Passivkonstruktionen darin manchmal etwas unhandlich daher, wirken jedoch authentisch: Hier spricht der Meister selbst und nicht etwa irgendein Marketingstratege. Im Textteig sind Mitteilungsbedürfnis (Merke: bei E. besteht das Brot nur aus Mehl, Wasser, Sauerteig und Salz - sonst nichts!) und Leserorientierung harmonisch verknetet. Man erfährt detailreich, wie die Backwaren entstehen, welche Sorten es gibt und warum man sie kaufen sollte.
Anschaulich und (un)verständlich?
Und so ganz nebenbei entfaltet die Fachsprache ihre poetische Wirkung: Da ist die Rede von spitzen Säuren und rundem Brotgeschmack - ich weiß nicht, ob das alltägliche
Bäckersprache ist, aber die Formulierungen schmecken anschaulich und einleuchtend. Und der Sauerteig ist so gesund und stark wie der Text an seinen besten Stellen: Unser Sauerteig ist immer
noch der von meinem Großvater. Die Bäckerei E. kauft niemals Sauerteigkulturen. Leider erfahren wir nichts über den Enkel, der jetzt offenbar die Bäckerei führt und den Sauerteig im Rhythmus
des Mondes pflegt. Und von einem freigeschobenen Brot habe ich eine Vorstellung, die freilich unter dem Vorbehalt des Missverständnisses steht. Wir lesen dann noch über Bio-Vollkornbrote
und -flocken, Keimsprossen und Butter, und - madre mia! - über die Masa Madre, Rohmaterial für das schwierigste Produkt, das bei uns gebacken wird: die Panettone. Didaktisch
einwandfrei, wiederholt der Text am Ende noch einmal die 5 Stufen der Teigführung und knüpft damit an den Zauber der ersten Seite an.
Jede(r) von uns spricht eine unverwechselbare Sprache
Und was lernen wir daraus? Jeder und jede von uns spricht eine individuelle Sprache, die sich aus den eigenen Erfahrungen und aus Fachwissen speist. Machen wir uns bewusst, worin sich unser
Vokabular und unser Stil von dem anderer Menschen (außerhalb unseres Fachkreises) unterscheidet - zum einen, damit wir unsere Leserschaft nicht mit unverständlichem Fachchinesisch überfordern -
zum anderen lässt sich gerade dieses Vokabular als Sprachmaterial für kreatives Schreiben nutzen. Holen wir uns Feedback von außerhalb: Welche Textstellen sind gut verständlich, wo erfährt man
Neues auf nachvollziehbare Weise? Was klingt interessant, was bleibt schleierhaft? Welche Begriffe sind unbekannt?
Wort-Schätze: Irritation und Bereicherung
In allgemeinverständliche Alltagssprache eingebettet, sorgen diese Wort-Schätze für Irritationen, für Aufmerksamkeit und neue Bilder - nicht nur bei unseren Lesern, sondern auch bei uns selbst.
So können originelle Gedichte entstehen oder ausdrucksstarke Prosa abseits abgegriffener Metaphern. Texte, die bewusst von ihren Schreibenden geführt werden und die man nicht einfach nur gehen
lässt. Texte stark wie Sauerteig.
Die heißen, hellen Tage und warmen Abende ziehen dich nach draußen ans Wasser und in den Schatten. Du bewegst dich nicht mehr als notwendig, und auch geistige Anstrengung fällt jetzt schwer.
Etwas schreiben, nur so zum Vergnügen - das ist wohl doch eher was für neblige Herbsttage, denkst du... Oder? Gerade der Sommer zwingt zur Langsamkeit, lädt ein zum Dösen und absichtslosen
Dahintreiben. Ideale Bedingungen dafür, dass Kreativität sich zeigen kann - wenn du nur ein wenig offen dafür bist. Hier ein paar Tipps, wie du dich in einen "empfänglichen" Zustand versetzen
kannst, der Sommer-Schreibideen sprudeln lässt:
Die Trägheit des Sommers nutzen
Die Hitze dringt in die Tiefen deiner Muskeln vor und legt dich beinahe lahm - dann nimm etwas zu trinken, dein Notizbuch und eine Strandmatte, und lege dich unter einen Baum. Schau in den Himmel
über dir: Erkennst du Muster in den Blättern? Welche Form haben die Wolken, und ist da vielleicht ein Flugzeug mit Kondensstreifen? Schließe die Augen und spüre die Wärme, das sinnliche Gefühl
auf deiner Haut. Lass deine Gedanken schweifen. Träume. Träume von der Sahara, von heißem Sex, von einem Segelboot. Vielleicht erscheint eine Figur, die deine nächste Geschichte tragen kann. Oder
dir kommt eine Idee für ein Gedicht. Notiere einige Wörter und Sätze. Später kannst du damit arbeiten.
Die Welt (neu) sehen
Bewege dich langsam, der Hitze angemessen. Woran merkst du, dass es Sommer ist? Wie verändert sich deine Umgebung? Neulich fuhr ich zum Beispiel mit dem Fahrrad hinter einem Mann her, den ich als
Touristen einordnete - unter anderem wegen seines Schlapphuts und der kurzen Hosen mit den vollgestopften Cargotaschen. Vor allem aber wegen der urlaubsmäßigen Langsamkeit. Seine Art einen Fuß
vor den anderen zu setzen war so seltsam, dass ich dachte, er würde sich dabei rückwärts bewegen. Bestimmt kennst du auch solche flüchtigen Begegnungen, bei denen dich etwas irritiert oder
belustigt. Das sind Details, die du später einer Figur andichten und mit der du sie einzigartig machen kannst. Jetzt im Sommer besuchen interessante Menschen deine Heimat - oder du bist selbst im
Urlaub, in einer fremden, inspirierenden Umgebung. Betrachte die Welt mit forschenden Augen - das geht sogar auf dem Weg zur Arbeit.
Südliche Gefühle pflegen
Im Sommer findet viel mehr Leben auf der Straße statt, Biergärten und Caféterrassen haben Hochkonjunktur. Genieße es - verabrede dich einmal mit dir selbst! Breite ein Blatt Papier neben deiner
Cappuccinotasse aus, notiere Geräusche und Gesprächsfetzen und schau, was sich in offenen Fenstern tut. Siehst du Gardinen wehen? Oder sind alle Fenster dicht verschlossen? Lehnt sich von Zeit zu
Zeit jemand heraus und beobachtet wie du die Straße? Was bewegt sich hier, wie ist die Stimmung? Und wie fühlst du dich selber im Moment? Wenn du in poetische Stimmung kommst, mache eine Liste –
und daraus ein Gedicht oder eine kleine Alltagsreflexion.
Sommergeräusche
Auch von zu Hause aus kannst du die Welt des Sommers einfangen - du musst nur auf die Geräusche lauschen: Den Schwall von Wasser, der sich abends aus dem Blumenkasten über dir ergießt. Ein
bisschen was spritzt auch auf deinen Balkon. Kinder, die bis in die Dämmerung hinein Fußball spielen. Gelächter und Rufe. Die Durchsagen aus dem Freibad, die zu dir herüberklingen und das leise
Rascheln der Blätter, wenn endlich ein kühlender Wind aufkommt: All das kann Geschichten in Gang setzen und sie mit Leben erfüllen. Wie der Mann, der so langsam geht, dass er sich rückwärts zu
bewegen scheint.
Deiner Schreibstimme lauschen
Stimmungen, Geräusche, menschliche Eigenarten: Je öfter es dir gelingt, dir Beobachtungen und Gedanken bewusst zu machen, desto wacher wirst du dafür. Während du versuchst, sie in die richtigen
Worte zu fassen, kultivierst du deinen individuellen Blick auf die Welt - und deine eigene Schreibstimme.
"Jeder Schriftsteller weiß, was es bedeutet, drei, vier Textversionen zu schreiben und alle zerknüllt in den Papierkorb zu werfen. So ist es einmal auch mir ergangen. (...) Als ich sie aus dem Korb nahm und ein bisschen glättete, ging mir blitzartig auf, was dem Text gefehlt hatte: nämlich das Zerknüllen."