was ich habe

ich habe ackererde
an den füßen
darunter die plätze
der steinernen stadt

ich habe das dach überm kopf
den kirschbraunen schreibtisch
und einen weißen aus schichtstoff

ich habe vier telefone
und so viele räume
dazu mein fahrrad, mein radio
handwerker und freundinnen

ich hab eine reihenfolge
für die wörter
und staune täglich
über ihre verschiedenheit

ich habe lange, altmodische flure
und die rote tür zur werkstatt
bei st. leonhard


hier schlägt mein herz
in der stille

Wie Anfänger ihre Chancen beim Schreibwettbewerb erhöhen

5 ganz einfache Tipps - eigentlich

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Der letzte haijin

In seinem Bonsaigehirn verwahrt er das uralte Wissen. Von einer Generation zur nächsten wurde es weitergegeben, und er ist der letze seiner Art. Er weiß nicht, dass sie ihn künstlich klein halten, ihn von allen Außeneinflüssen abschotten. Er soll sich ganz auf die alte Kunst konzentrieren und ein letztes Mal das Meisterwerk erschaffen - streng in der Form, überraschend in der Wirkung.

Das letzte Haiku - es soll vollkommen sein, danach wird es nichts mehr geben. Es soll das Wissen der Welt in sich vereinen, die Herzen der Diktatoren erweichen, zwischen siebzehn Silben alle Jahreszeiten bergen. Es soll zart sein wie ein Brautschleier, scharf wie ein Schwert und durchschlagend wie ein Meteorit. Sie haben nur eines vergessen, als sie ihn im Elfenbeinturm einschlossen: Wer die ganze Welt in einem Gedicht einfangen will,  sollte auch in ihr gelebt haben.

im Herzen der Stille

auf dem Grund des Meeres ruht das Herz der Stille

ich atme im Takt der Strömung

weit oben am Horizont

ziehen die Schiffe

sie wissen nichts

von mir

ich sinke

ich sinke tiefer

in den Meeresboden

glutrotes Zischen steigt auf

durch meine Hände rinnt Lava

ich sinke der schmelzenden Zeit entgegen 

Gewitter über der Moschee des Jakovali Hassan

 

freundliche Formen

 ein Zeugnis der Osmanen

auf quadratischem Grund

alle Seiten gleich lang

ihre Fenster werfen

ein mildes Licht auf mich

zwischen den Teppichen

die Hände im Schoß gefaltet

wie zum Gebet

bin ich geschützt

vor Regen, Blitz und Donner

unter dem Dach

des Pascha 

 

 

Pécs, 5. Mai 2016

 Jakovali Hassan Moschee

 

 

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Anleitung zum Dada

Dem hundertjährigen Jubiläum des Dadaismus zu Ehren

 

Mache drei Listen:
1. Fachwörter aus deinem Fachgebiet oder aus dem Bereich deines Hobbys. Oder noch besser: Lass dir von anderen solche Wörter schenken. Es macht nichts, wenn du nicht weißt, was sie bedeuten - z.B. Rüttelflasche, Splintholz, Kanalauskunft.
2. Konkrete Verben, z.B. leben, trinken, schlafen. Sie dürfen ganz gewöhnlich sein.
3. Vorsilben wie ab-, be-, de-, durch-,ent-,ge-,hin-, über-,ver-, weg-, zer-, ge-, ent-, ...

Kombiniere Wörter und Silben. Schreibe einen Text, z.B. eine Anleitung zu irgendetwas oder eine kurze Geschichte. Schaffe kreative Übergänge und verfremde das gefundene Material weiter, z.B. das Splintholz wegschlafen, die Aus- und Einkunft zertrinken. Zur Inspiration empfehle ich das Hörbuch "Lesen gehn..." mit Gedichten von Oskar Pastior -  oder den folgenden Text, der vielleicht nicht ganz dadaistisch ist, aber dafür schön absurd:

 

 

Schlafrausch

Sie hatten einander zugezwungen und das gemeinsame Leben erprostet. Er im Schlafrausch, sie im Negligé. Genossen in hellen Omnibussen. Kein Wagen zu rostig, kein Schienbein zu viel. Hatte er sie getreten zu gehen, allein: Sie blieb. Hinter dem Vorhang, doch unter der Wiese, die kein Golfschlag je zerrieb. Der Labrador entsagte. Blutsinnig und wutend gerieten sie, mit lockigen Schädeln ineinander geschubbert. Die Putzfrau fand nur noch die Krümel im Bett. Lästig und liebreich kletterten sie auf der morschen Leiter des Glücks. Fehlkontrolle, Dateien und Hellebarden waren meliert und gehörten gehasst, zerborstet im Wellenspiel des Liebesguts. Wie Strandpapier schmirgelt deine Wonne, wie Pampelmuse klebt dein Kraut. Wo Sinn, wohin? Kein anderes Tier.

 

(erschienen in: Literaturzeitschrift & radieschen - Heft Nr. 21: Schund und Fund & radieschen)

 

Schreibspaß im Künstlerhaus

Für Kurzentschlossene und zum Kennenlernen

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Worte

 

es gibt Kellerworte

und Dachbodenworte

manche lagern tief

in den Regalen

vor langer Zeit gepflückt

und eingeweckt

Wortkonserven

für sprachlose Zeiten

Worte wie Himbergelee

und Essigkurken

die anderen verstauben

unterm Dach

vergessen

vererbt

von oben herab

dazwischen die Wörter

für den Hausgebrauch

notwendig

praktisch

und gewöhnlich

Wörter, die den Betrieb am Laufen halten

Küchenwörter

unter dem Türstock und

am offenen Kühlschrank gesprochen -

 

und immer noch sammle ich sie

jage sie mit gespitztem Bleistift

Schublade um Schublade öffne ich

breite alles auf dem Boden aus

erwähle und füge sie

herausgeputzt

zurechtgestutzt

zu Sätzen

und poliere

bis sie glänzen

 

Gedichte kennen keinen Abspann

kein making-of und

keine Bonustracks

 

Das Mrpmpf

kreative schreibwerkstatt regensburg

Das ist ein Mrmpf. Es wurde letzten Donnerstagabend in meiner Schreibwerkstatt geboren, mit Hilfe einer Schere und eines Kugelschreibers. Es ist ein Zwitterwesen und wohnt in den Vogesen. Aber nur, weil sich das reimt. Es hat Flügel und Finger und Sehnsucht nach einem guten Freund. Ich denke, in meinem Schreibatelier am Whiteboard ist es gut aufgehoben: Von dort kann es gucken, was beim Schreiben so alles geschieht - und nachts unterhält es sich mit seinem Vorgänger aus einem anderen Kurs, dem Schwapir. Der Schwapir hat ein blaues Fell und schämt sich, weil er aussieht wie eine Kreuzung aus Schwein und Tapir. Deshalb musste er alleine bleiben - bisher.

Lederergasse

ein grünloser Gassenstrauch

wirft Schatten

um die Ecke

gebogen vom Pflasterwind

ein rauchblauer Blick

weht aus dem Fenster

dahinter ein Klagelied

ein rostbraunes Tor

schweigt neben dem Auto

in parkausweistürkis

VW Polo, alt

rote Schrift im absoluten

Halteverbot

in jeder Zeile

ein Rufzeichen mehr

unterm Scheibenwischer

eine Sonne

die den Morgen in Zonen zerteilt

lichtkalt und dunkelfeucht 

Mariaort

das Flussbett der Naab

ist die Schlafstatt der Fische

an der Mündung des Tages

in die Nacht

 

Wolkeninseln fallen

zwischen die Farben

des Himmels und

alles ist tiefer:

 

das Dunkle

das Helle

die Farben

das Grau

 

Dezember im Herzogspark

grau gähnt der Himmel
über dem schlafenden Garten
und atmet endlos aus
wovon träumen Rosen?

die Hochstämmchen
fest in Jute gewickelt
trotzen sie
dem Jahreslauf
beschnitten
den Schneeschleier im Nacken

ein Eisnadelwind
wiegt Gräser
in den Winter


Die Abwesenheit

Es ist die Abwesenheit
Von Schmerz und Fragen
Es ist die Abwesenheit
Von Antwort und Leid
Es ist die Abwesenheit
Von Schwere und Illusionen
Es ist die Abwesenheit
Von Geduld und Hoffnung
Es ist die Abwesenheit
Aller Wünsche und Pflichten
Es ist die Abwesenheit
Von Zittern und Not
Es ist nicht
Was es war

Doch es ist gut

 

Engel frieren nicht

Woraus sind eigentlich Engelsflügel gemacht? Aus Federn wie bei einem Vogel - oder aus einem durchscheinenden, körperlosen Stoff? Sind sie dick und filzig wie ein Lodenjanker, oder bestehen sie eher aus leichtem Funktionsmaterial, aufgespannt auf einem raffinierten Faltmechanismus aus Fiberglasstäben? Und brauchen Engel ihre Flügel, um sich in Arbeitspausen hoch oben in der Stratosphäre zu erwärmen? Doch Engel frieren nicht, denkt Raffael. Wahrscheinlicher ist, dass die Flügel aus einem reißfesten Synthetikstoff gefertigt sind. Der hat bessere Flugeigenschaften und trocknet schneller nach dem Flug durch die Wolken.

Doch wenn Raffael nachts nicht schlafen kann, spürt er den Engelsflügel schwer und tröstlich auf sich lasten. Wie ein altes Plumeau, dessen Federn schon ein bisschen klumpen, und dessen Kiele durch den Bezugsstoff pieksen. Dabei schmiegt es sich wärmend an seinen Körper. Wenn ihn morgens seine Gedanken wecken, wickelt sich dieses seltsame Etwas schützend um ihn wie die raue Zunge eines großen Hundes. Raffael weiß, dass ihm so nichts geschehen kann. Der Engel kommt und geht, genau wie seine Trauer.


am fluss entlang

du folgst dem fluss
auf nassen füßen
während das wasser
sich land holt

du suchst eine brücke
und findest
ein boot ohne ruder
legst dich hinein
und ziehst den himmel
über dich

das boot steigt bei regen
und fällt mit der dürre
zur mündung hin

 

so gleitest du
in die gezeiten
den wellen ausgeliefert

und nur dein boot weiß

wo du bist


bald lernst du
sturm und flaute auszuhalten
deine nächte
zählst du nicht

dann strandest du
auf einer insel
und merkst
dass du sie immer schon
bewohnst

 

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Die Einsamkeit sucht dich

 

Suchen Schriftsteller die Einsamkeit? In Wahrheit ist es andersherum: Die Einsamkeit sucht dich, sie weckt den Schriftsteller in dir. Wenn du beizeiten auf dich selbst gestellt, der Welt ausgesetzt wirst, und niemand da ist, der dir die Welt erklärt, wenn du nur Wald und die verstreuten Häuser deines abgelegenen Dorfes um dich hast - dann bleibt dir nichts anders übrig, als zu schreiben. Nachts schaust du in den Himmel wie ein Romantiker, das pechschwarze Firmament ist deine Kinoleinwand, auf der sich dein eigener Film abspielt. Du lernst das Alleinsein auszuhalten, das dich dein Leben lang sowohl quälen als auch nähren wird. Die Sorte Schriftstellerei, die aus deiner frühen Einsamkeit erwächst, macht dich sehnsüchtig und ein bisschen sentimental. Aber auch zu einem guten Beobachter. Du lauschst hinaus in die Nacht und empfängst die Worte.

 

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Hanns-Josef Ortheil: Schreiben dicht am Leben

Notieren und Skizzieren.

Duden Verlag 2012

 

Das handliche Buch aus der schön gestalteten Reihe "Kreatives Schreiben" des Duden Verlags ist eine Einladung zum zwanglosen Beobachten und Notieren. Hanns-Josef Ortheil zeigt uns am Beispiel bekannter Autoren und Autorinnen, welche Wirkung auch knappe Notate und Beobachtungen haben können, und wie man selbst solche Aufzeichnungen vornimmt: Notieren als Fotografieren, Porträtieren, Genaues Zeichnen, Präsentieren; Notieren von Emotionen und Passionen. Am Ende jedes Kapitels stehen kleine Schreibaufgaben, die leicht in die Praxis umzusetzen sind. Bereits in dem Buch "Wie Romane entstehen" durften wir ja dem Autor über die Schulter schauen und lernten Ortheils Arbeitsweise als fortwährendes Beobachten und Notieren kennen, das schon die Keimzelle einer Geschichte in sich trägt. "Schreiben dicht am Leben" ist dazu eine gute Ergänzung und darf wohl als systematische Wahrnehmungsschulung verstanden und umgesetzt werden.

 

So habe auch ich mich gleich von einer einfachen Beobachtung inspirieren lassen:

 

Ein haariger gebräunter Arm auf einer Plastiksessellehne. Der kurze Ärmel eines T-Shirts. Finger, die eine Zigarette halten, und ein breiter Silberring. Lederstiefel. Unter dem Stuhl eine Flasche Rotwein, ungeöffnet. Die Armeejacke auf dem Schoß. Ein Lachen tief aus der Kehle. Rauch.

Bewegung

Deine Augen spiegeln

Das Vorüberziehen der Äste

Auf dem Wasser

Nebel hüllt dich ein

Langsam.

 

Schritt vor Schritt setzt du

Auf den sich wandelnden Weg

Nur deine Füße

Sind immer dieselben.

 

Dein gleichmäßiger Atem

Füllt

und leert

Die Lungen

In deinen Ohren

Nur dieses eine Geräusch.

 

Einatmen - ausatmen.

 

Ein Stolperstein:

Geschickt

Steigst du darüber hinweg

Nur du entscheidest

Ob es Hindernisse sind

Oder Wegweiser

Die deinen Pfad begleiten.

 

Bewegung ist überall

Gleich ob du gehst

Oder stehst

Vom Feldrand aus

Siehst du die Vögel aufsteigen

Und Grashalme zittern

Unter einem unsichtbaren Atem.

 

Das Flügelschlagen eines Schmetterlings

Und die Erdkrümel

Die vom frischen Maulwurfshügel kullern:

 

Alles was ist

Ist in Bewegung.

 

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