Mir wird hin und wieder ein ungewöhnlicher Sprachgebrauch bescheinigt: Worte und Formulierungen, die - aus dem Bauwesen entlehnt und in einen erzählerischen Kontext gebracht - poetisches Potenzial aus ihrer Fremdheit schöpfen. Meist fällt mir das gar nicht auf, bis jemand irritiert oder auch bezaubert reagiert. Ähnlich geht es mir auch mit einem Text, den ich hier gerne vorstellen möchte: Er stammt aus einem Flyer, der neulich meiner Brottüte landete und mir Einblick in die "Backphilosophie" meiner Lieblingsbäckerei verspricht.
Authentische Sprache schafft Vertrauen
Da ist die Rede von einer 5stufigen Sauerteigführung: Die einzelnen Teigstufen vom Anstellgut und Anfrischsauer über Grundsauer, Vollsauer und schließlich Teig stellen sich hier unbeeindruckt von meinem backhandwerklichen Laienstatus vor. Aha!, der Teig wird also von kompetenter Hand geführt und nicht etwa sich selbst überlassen, wie ich, die ich gelegentlich schon Brot gebacken habe, mir das vorstelle. Das schafft Vertrauen, genauso wie der Sprachduktus. Zwar kommen die Passivkonstruktionen darin manchmal etwas unhandlich daher, wirken jedoch authentisch: Hier spricht der Meister selbst und nicht etwa irgendein Marketingstratege. Im Textteig sind Mitteilungsbedürfnis (Merke: bei E. besteht das Brot nur aus Mehl, Wasser, Sauerteig und Salz - sonst nichts!) und Leserorientierung harmonisch verknetet. Man erfährt detailreich, wie die Backwaren entstehen, welche Sorten es gibt und warum man sie kaufen sollte.
Anschaulich und (un)verständlich?
Und so ganz nebenbei entfaltet die Fachsprache ihre poetische Wirkung: Da ist die Rede von spitzen Säuren und rundem Brotgeschmack - ich weiß nicht, ob das alltägliche
Bäckersprache ist, aber die Formulierungen schmecken anschaulich und einleuchtend. Und der Sauerteig ist so gesund und stark wie der Text an seinen besten Stellen: Unser Sauerteig ist immer
noch der von meinem Großvater. Die Bäckerei E. kauft niemals Sauerteigkulturen. Leider erfahren wir nichts über den Enkel, der jetzt offenbar die Bäckerei führt und den Sauerteig im Rhythmus
des Mondes pflegt. Und von einem freigeschobenen Brot habe ich eine Vorstellung, die freilich unter dem Vorbehalt des Missverständnisses steht. Wir lesen dann noch über Bio-Vollkornbrote
und -flocken, Keimsprossen und Butter, und - madre mia! - über die Masa Madre, Rohmaterial für das schwierigste Produkt, das bei uns gebacken wird: die Panettone. Didaktisch
einwandfrei, wiederholt der Text am Ende noch einmal die 5 Stufen der Teigführung und knüpft damit an den Zauber der ersten Seite an.
Jede(r) von uns spricht eine unverwechselbare Sprache
Und was lernen wir daraus? Jeder und jede von uns spricht eine individuelle Sprache, die sich aus den eigenen Erfahrungen und aus Fachwissen speist. Machen wir uns bewusst, worin sich unser
Vokabular und unser Stil von dem anderer Menschen (außerhalb unseres Fachkreises) unterscheidet - zum einen, damit wir unsere Leserschaft nicht mit unverständlichem Fachchinesisch überfordern -
zum anderen lässt sich gerade dieses Vokabular als Sprachmaterial für kreatives Schreiben nutzen. Holen wir uns Feedback von außerhalb: Welche Textstellen sind gut verständlich, wo erfährt man
Neues auf nachvollziehbare Weise? Was klingt interessant, was bleibt schleierhaft? Welche Begriffe sind unbekannt?
Wort-Schätze: Irritation und Bereicherung
In allgemeinverständliche Alltagssprache eingebettet, sorgen diese Wort-Schätze für Irritationen, für Aufmerksamkeit und neue Bilder - nicht nur bei unseren Lesern, sondern auch bei uns selbst.
So können originelle Gedichte entstehen oder ausdrucksstarke Prosa abseits abgegriffener Metaphern. Texte, die bewusst von ihren Schreibenden geführt werden und die man nicht einfach nur gehen
lässt. Texte stark wie Sauerteig.
Wanderungen, kleine Fluchten und große Fahrten - Aufzeichnungen von unterwegs.
Duden Verlag 2012
Vergangener Juli: Ich bin in Weimar, einer Stadt voller Musik und Poesie. Die Sonne scheint und das Caféhaus lockt; nebenan komponiert ein Mann mit langem schwarzem Haar, stumm und mit beiden Händen. Vor mir liegt eine Ansichtskarte. Sie zeigt das Sandmännchen neben einem Auto, das mutmaßlich einen Trabant darstellt. Daneben Schreiben auf Reisen, ein weiteres wunderbares Bändchen aus der Reihe "Kreatives Schreiben" des Duden Verlags. Genau wie Schreiben dicht am Leben gibt es viele praktische Tipps und kleine Schreibanregungen für unterwegs. Kapitel 10: Die Ansichtskarte: Erzählen Sie eine Geschichte, heißt es da. Nichts leichter als das! Das Sandmännchen, so sinniere ich, überlegt wohl, wie es mit seinem großen Kopf in das zu kleine Auto hinein passen soll - oder es fragt sich, ob es aus dieser von Baustellen umzingelten Stadt je wieder herausfindet. Hoffentlich geht es uns morgen besser, schreibe ich. Tage später bekomme ich eine besorgte SMS von der Empfängerin der Karte: "Geht's euch wieder gut? Was war denn los?"
Vielleicht habe ich doch übertrieben. Oder nicht deutlich genug herausgestellt, dass es die Geschichte des Sandmännchens ist und meine abschließende Bemerkung nur eine Parallele. Vielleicht hätte
ich sowieso besser über den Komponisten am Nachbartisch schreiben sollen. Oder den allgegenwärtigen Goethe. Jedenfalls beschließe ich, das Kapitel Schreiben für andere vorerst zurückzustellen -
zugunsten der Vorübungen oder von Schreiben für mich selbst, bevor ich mich womöglich größeren Textprojekten, Reiseromanen oder -tagebüchern gar, zuwende. Wenn ich nicht
zwischendurch wieder an einem der zahlreichen spannenden Buchtipps hängen bleibe und mich festlese wie in Tomas Espedals Gehen oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen.
Doch nicht zuletzt ist das Schreiben selbst ein Reiseverkehrsmittel, das immer funktioniert - sogar vom eigenen Arbeitszimmer aus. Von dort führte ich auch eine kleine Korrespondenz mit dem
Sandmännchen, das mir ein Bild von sich schickte - unter der Voraussetzung, dass ich auf seinen Shop hinweise. Mach ich doch gerne, liebes Sandmännchen. Und viel Spaß noch im Berliner Prater.
Notieren und Skizzieren.
Duden Verlag 2012
Das handliche Buch aus der schön gestalteten Reihe "Kreatives Schreiben" des Duden Verlags ist eine Einladung zum zwanglosen Beobachten und Notieren. Hanns-Josef Ortheil zeigt uns am Beispiel bekannter Autoren und Autorinnen, welche Wirkung auch knappe Notate und Beobachtungen haben können, und wie man selbst solche Aufzeichnungen vornimmt: Notieren als Fotografieren, Porträtieren, Genaues Zeichnen, Präsentieren; Notieren von Emotionen und Passionen. Am Ende jedes Kapitels stehen kleine Schreibaufgaben, die leicht in die Praxis umzusetzen sind. Bereits in dem Buch "Wie Romane entstehen" durften wir ja dem Autor über die Schulter schauen und lernten Ortheils Arbeitsweise als fortwährendes Beobachten und Notieren kennen, das schon die Keimzelle einer Geschichte in sich trägt. "Schreiben dicht am Leben" ist dazu eine gute Ergänzung und darf wohl als systematische Wahrnehmungsschulung verstanden und umgesetzt werden.
So habe auch ich mich gleich von einer einfachen Beobachtung inspirieren lassen:
Ein haariger gebräunter Arm auf einer Plastiksessellehne. Der kurze Ärmel eines T-Shirts. Finger, die eine Zigarette halten, und ein breiter Silberring. Lederstiefel. Unter dem Stuhl eine Flasche Rotwein, ungeöffnet. Die Armeejacke auf dem Schoß. Ein Lachen tief aus der Kehle. Rauch.
Romane und Kurzgeschichten schreiben
Autorenhaus Verlag 2004
Das Buch folgt dem Gotham Writers Workshop, einer Privatschule für Kreatives Schreiben in New York. In zehn aufschlussreichen Kapiteln führen verschiedene Dozenten und Dozentinnen in das Handwerk des Schreibens ein: Figuren und Plot, Beschreibungen und Dialoge, Perspektive. Auch ein Abschnitt zur Überarbeitung fehlt nicht, und die Lektionen werden illustriert an Hand der Kurzgeschichte "Kathedralen" von Raymond Carver, die im Buch komplett abgedruckt ist.
Ein absolut brauchbares Handbuch für das Selbststudium des Kreativen Schreibens, das auch für erfahrene Schreibende noch Neues enthält - oder wieder einmal an die Grundlagen erinnert :-)
Schreiben als Denk- und Lernwerkzeug nutzen und vermitteln
Verlag Barbara Budrich, 2012
Was ist Schreibdenken, und wie können Hochschullehrende es für sich selbst und ihre Studierenden nutzen? Schreibdenken bedeutet, beim Schreiben die Gedanken weiterzuentwickeln; Schreibdenken als
Methode verbindet assoziative, strukturierende, reflektierende Elemente und noch einiges mehr, das sowohl die Entwicklung von Sachthemen als auch die ganz persönliche Weiterentwicklung fördern
kann - nicht zuletzt auch die eigenen Schreibfähigkeiten und die Lust am Schreiben. Frau Scheuermann zeigt zunächst den Zusammenhang mit anderen Konzepten auf und stellt den Schreibprozess und
verschiedene Schreibtypen (wie z.B. den "Drauflosschreiber" oder den "Patchworkschreiber") vor. Besonders wertvoll: Der "Methodenkoffer", der konkrete Schreibanregungen enthält. Die beiden
letzten Kapitel beschäftigen sich damit, wie Schreibdenken in Lehre und Unterricht und als Selbstcoaching-Methode eingesetzt werden kann.
Mit dem kompakten, anschaulich geschriebenen Büchlein werden nicht nur Hochschullehrer und -lehrerinnen etwas anfangen können, sondern vielmehr alle, die sich intensiver mit dem Schreiben
auseinandersetzen wollen, z.B. für die Schreibgruppenleitung in der Erwachsenenbildung oder allgemein für das berufliche Schreiben.