Die japanische Gedichtform des Haiku harmoniert, obwohl wesentlich älteren Ursprungs, vorzüglich mit dem Stil der Neuen Sachlichkeit: Das Haiku ist konkret, fängt
einen Augenblick ein und beschreibt (in seiner strengen Auslegung) nur das äußerlich Sichtbare. Gefühle entstehen aus dem Raum zwischen den Worten. Es eignet sich hervorragend, um die
Wirkung in Worte zu fassen, die das Bild auf die Schreiberin hat:
Mundwinkelrote
Farbflecken. Sogar Preise
erhält man dafür.
Birgit Honikel
Vollbrachtes Tagwerk
Schleppt sich den Hang hinunter
Eiskalte Abenddämmerung
Sita Angelika Völkel nach einem Bild von Carlo Mense:
Verschneiter Wald im Riesengebirge, um 1932
Ende November war es wieder so weit: Ich konnte eine kleine Schreibgruppe im Kunstforum Ostdeutsche Galerie begrüßen. Manche Teilnehmerinnen waren schon zum dritten, vierten Mal dabei, eine andere stieß neu dazu. Diesmal widmeten wir uns der Ausstellung Messerscharf und detailverliebt. Werke der Neuen Sachlichkeit.
Die Neue Sachlichkeit fand ihren Niederschlag auch in der Literatur (Werke von Erich Kästner, Mascha Kaléko oder auch Alfred Döblin sind hier einzuordnen). Daran lässt sich anknüpfen. Doch die Bilder sprechen auch für sich: Im Triptychon von Britt Dalen Laux sind Form und Bildinhalt in Text übersetzt.
Was ist kreatives Schreiben? Eine Antwort darauf habe ich hier schon einmal
versucht. Normalerweise unterstelle ich beim kreativen Schreiben in der Gruppe, dass das Geschriebene erfunden ist - auch wenn es einen Ich-Erzähler oder Erzählerin gibt. Niemand soll sich
rechtfertigen müssen, wie viel Biografisches im eigenen Text steckt. Wir sprechen über den Text und nicht über den Autor, so formulierte es meine Wiener Schreiblehrerin Christa
Brauner.
Beim Biografischen Schreiben hingegen wecke ich gezielt Erinnerungen an selbst Erlebtes, hier ist schon klar: Wir tauschen uns tatsächlich über unser Leben aus. Manchmal klappt diese Abgrenzung,
manchmal auch nicht - und manchmal wäre sie sogar störend. Hier ist Fingerspitzengefühl vonnöten. Vor allem soll niemand das Gefühl haben, beim Schreiben und Vorlesen mehr zu offenbaren, als ihr
oder ihm lieb ist.
Bei der Kreativen Schreibwerkstatt, die ich am Wochenende für den Katholischen Deutschen Frauenbund anleiten durfte, hielten sich die Frauen nicht lange mit solchen Feinheiten auf. Kreatives Schreiben hieß für sie: Erlebtes aufs Papier bringen, eigene Gedanken, Beobachtungen, Entwicklungen. Familiäres, Gesellschaftliches, Trauriges und Hoffnungsfrohes, Erinnerungen und Bestandsaufnahmen. Sie vertrauten mir und den teils bewusst irritierenden Schreibanregungen, und ich durfte ihnen vertrauen: Alles, was sich zeigte, durfte sein, in einer Atmosphäre der Wertschätzung und des respektvollen Austausches. Schreiben wirkt.
Selten habe ich das so gespürt wie an diesem Wochenende im Apostolatshaus der Palottiner. Poesie und literarische Qualität stellten sich wie nebenbei ein; die Texte berührten auf so vielen anderen Ebenen.
Die meisten Frauen stehen an der Schwelle "zu einem neuen Leben" (wie es eine von ihnen ausdrückte): Nach dem Berufs- und Familienleben und erfüllten Jahren im Ehrenamt nehmen sie sich nun die
Freiheit, ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Sich für sich selber Zeit zu nehmen, zum Innehalten und bewussten Schauen: Nach vorne und zurück. Ich spürte die Kraft dieser Frauen, die meisten
davon Mütter und Großmütter.
Meine eigene Mutter starb heute vor einem Jahr.
Das Trauerjahr ist um, und ich habe noch so viel nachzuspüren und einzuordnen. Am traurigsten machen mich die Dinge, die sie nicht leben konnte. Sie forderte so wenig für sich und ging zu früh.
Auch in der Frauenschreibwerkstatt war die Rede vom Herbst des Lebens, aber auch von neuem Aufbruch. Am Ende meines Trauerjahres helfen mir diese Geschichten, den Blick auf das Gelebte zu lenken.
Auf das was war und nicht auf das, was vielleicht hätte sein können. Die Kraft und Poesie des gelebten Lebens ist stärker.
zweiundzwanzig
Schichten über der Stadt
kitzeln Schattentropfen die Fassaden
die Dächer tragen Spuren von Riesen
im Teerpappengranulat
darunter Stein auf Glas auf Stein
die stummen Wände
der Hochfinanzhäuser
ein Flirren von Verkehr und Hitze
36 Grad im Schatten
den es nicht gibt
und 60 km/h auf dem
Asphalt
weiße Streifen, die bei Grün
die Brandung teilen
ohne Gischt
Musik aus beweglichen Innenräumen daneben
Motoren und Rollgeräusche
scharfe Strahlen kratzen
an Fassaden und mulchen
den Gehsteigrand
unbeteiligt die Haltestelle
ohne Bus
ohne Fahrgäste
bei Rot
steht die Zelle
im Vakuum
bereit an der einsamsten
aller Straßen
eine Sekunde
Es sind nicht meine Erinnerungen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Fahrt nach Frankfurt-Ginnheim immer schon eine kleine Zeitreise war. Gut zwanzig Minuten mit der Straßenbahn, und man
ist nicht mehr in der Bankenmetropole, sondern in einem kleinen beschaulichen Dorf mitten in der Stadt. Das höchste und markanteste Gebäude, das man von hier aus sieht, ist der Ginnheimer Spargel
oder auch Europaturm, dessen Spitze nachts magentafarben leuchtet. Ginnheim selbst an einem Freitagnachmittag im August: Eine Feierabend-Oase; köstliche Gerüche und Geschirrgeklapper aus dem
Gasthof Adler. Mein Begleiter kennt den kroatisch geführten Gasthof noch aus "seiner" Frankfurter Zeit, und auch das Fahrradhaus Wagner gibt es noch - seit 1929 schon. Vorbei an schief herunter
gelassenen Jalousien, die stille Straße hinunter, kurz anhalten und einen Feierabendradler vorbeilassen, an der Kreuzung bei der kleinen Kirche - und wieder bleibt mein Blick an einem
öffentlichen Automaten hängen. Diesmal keine Telefonzelle, sondern ein Automat - für was eigentlich? Kleine Figürchen, vielleicht auch Kaugummi. Ein abgerissener Aufkleber, jetzt auf SUPER...
was? Das wird für immer ein Geheimnis bleiben. So super sieht der Metallkasten ohnehin nicht mehr aus. Wahrscheinlich hat hier schon lange keiner mehr seine Münzen hineinversenkt in der Hoffnung
auf eine kleine Überraschung. Braucht die Welt keine Überraschungen mehr? Ist so ein Jahrmarktvergnügen sinnlos und langweilig geworden? Und warum hängt der Kasten dann noch da? Wahrscheinlich,
weil er von der Modernisierung vergessen wurde, so wie auch dieses gemütliche Stadtviertel im wesentlichen immer noch so daliegt wie vor fünfundzwanzig Jahren. Viel Grün, viel Fassade, ein wenig
bröckelig. Manches an der Grenze zum Heruntergekommenen, doch die Abendsonne vergoldet alles. Auf einen Apfelwein und Grüne Soße (die in der Innenstadt mittlerweile auch als Salsa Verde
deklariert wird) in den Adler. Oder ein Cevapcici.
Sie haben Wände aus Glas, eine Tür und dieses grau-magentafarbene Interieur. So ziemlich alles an ihnen ist gerade, im Winkel. Sogar der Hörer. Nur die Tasten sind leicht abgerundet. Hinein geschraubt in diese eckige Abgeschlossenheit: Der klobige Telefonapparat, sein Deckel waagrecht. Eine kleine Konsole, auf die man beim Telefonieren ein Notizbuch auflegen kann, gleich neben die verendeten Insekten. Zweckmäßig ist das. Wer kommuniziert, möchte Informationen erhalten und sie festhalten. Vielleicht aber auch nicht. Ich erinnere mich noch an die Zeit in meiner allerersten Wohnung, ohne Telefon und ohne Handy. Die so genannte fernmündliche Kommunikation erforderte einen Spaziergang zu einer der wenigen Telefonzellen im Ort. Die war damals noch pummelig gelb und wenn man Glück hatte, hob der andere auch ab. Liebesworte wurden ausgetauscht, ein Stelldichein vereinbart. Zumindest aber war es trocken in diesen Zellen und manchmal auch warm; vielleicht auch stickig. Als die ersten Handys aufkamen, sah man manchmal noch Menschen damit in Telefonzellen Zuflucht suchen. Heute sind diese kleinen Wind- und Wetterschutzhäuschen weitgehend aus dem öffentlichen Raum verschwunden; öffentliche Telefone hängen an minimalistischen Stelen unter einem Stummeldach.
Umso überraschender, wenn ich hin und wieder doch auf eine dieser letzten echten Zellen treffe. Ein Exemplar steht beispielsweise hier in Regensburg neben dem Goethe-Gymnasium. Doch in einer Zeit, in der schon Grundschüler von ihren Eltern mittels Handy fernüberwacht werden, ist sie überflüssig geworden. Wahrscheinlich hat noch niemand außer mir bemerkt, dass das Telefon nicht mehr funktioniert. Entschuldigung, zur Zeit gestört, steht auf dem Display zu lesen. Stören tut das wahrscheinlich niemanden.
Mir wird hin und wieder ein ungewöhnlicher Sprachgebrauch bescheinigt: Worte und Formulierungen, die - aus dem Bauwesen entlehnt und in einen erzählerischen Kontext gebracht - poetisches Potenzial aus ihrer Fremdheit schöpfen. Meist fällt mir das gar nicht auf, bis jemand irritiert oder auch bezaubert reagiert. Ähnlich geht es mir auch mit einem Text, den ich hier gerne vorstellen möchte: Er stammt aus einem Flyer, der neulich meiner Brottüte landete und mir Einblick in die "Backphilosophie" meiner Lieblingsbäckerei verspricht.
Authentische Sprache schafft Vertrauen
Da ist die Rede von einer 5stufigen Sauerteigführung: Die einzelnen Teigstufen vom Anstellgut und Anfrischsauer über Grundsauer, Vollsauer und schließlich Teig stellen sich hier unbeeindruckt von meinem backhandwerklichen Laienstatus vor. Aha!, der Teig wird also von kompetenter Hand geführt und nicht etwa sich selbst überlassen, wie ich, die ich gelegentlich schon Brot gebacken habe, mir das vorstelle. Das schafft Vertrauen, genauso wie der Sprachduktus. Zwar kommen die Passivkonstruktionen darin manchmal etwas unhandlich daher, wirken jedoch authentisch: Hier spricht der Meister selbst und nicht etwa irgendein Marketingstratege. Im Textteig sind Mitteilungsbedürfnis (Merke: bei E. besteht das Brot nur aus Mehl, Wasser, Sauerteig und Salz - sonst nichts!) und Leserorientierung harmonisch verknetet. Man erfährt detailreich, wie die Backwaren entstehen, welche Sorten es gibt und warum man sie kaufen sollte.
Anschaulich und (un)verständlich?
Und so ganz nebenbei entfaltet die Fachsprache ihre poetische Wirkung: Da ist die Rede von spitzen Säuren und rundem Brotgeschmack - ich weiß nicht, ob das alltägliche
Bäckersprache ist, aber die Formulierungen schmecken anschaulich und einleuchtend. Und der Sauerteig ist so gesund und stark wie der Text an seinen besten Stellen: Unser Sauerteig ist immer
noch der von meinem Großvater. Die Bäckerei E. kauft niemals Sauerteigkulturen. Leider erfahren wir nichts über den Enkel, der jetzt offenbar die Bäckerei führt und den Sauerteig im Rhythmus
des Mondes pflegt. Und von einem freigeschobenen Brot habe ich eine Vorstellung, die freilich unter dem Vorbehalt des Missverständnisses steht. Wir lesen dann noch über Bio-Vollkornbrote
und -flocken, Keimsprossen und Butter, und - madre mia! - über die Masa Madre, Rohmaterial für das schwierigste Produkt, das bei uns gebacken wird: die Panettone. Didaktisch
einwandfrei, wiederholt der Text am Ende noch einmal die 5 Stufen der Teigführung und knüpft damit an den Zauber der ersten Seite an.
Jede(r) von uns spricht eine unverwechselbare Sprache
Und was lernen wir daraus? Jeder und jede von uns spricht eine individuelle Sprache, die sich aus den eigenen Erfahrungen und aus Fachwissen speist. Machen wir uns bewusst, worin sich unser
Vokabular und unser Stil von dem anderer Menschen (außerhalb unseres Fachkreises) unterscheidet - zum einen, damit wir unsere Leserschaft nicht mit unverständlichem Fachchinesisch überfordern -
zum anderen lässt sich gerade dieses Vokabular als Sprachmaterial für kreatives Schreiben nutzen. Holen wir uns Feedback von außerhalb: Welche Textstellen sind gut verständlich, wo erfährt man
Neues auf nachvollziehbare Weise? Was klingt interessant, was bleibt schleierhaft? Welche Begriffe sind unbekannt?
Wort-Schätze: Irritation und Bereicherung
In allgemeinverständliche Alltagssprache eingebettet, sorgen diese Wort-Schätze für Irritationen, für Aufmerksamkeit und neue Bilder - nicht nur bei unseren Lesern, sondern auch bei uns selbst.
So können originelle Gedichte entstehen oder ausdrucksstarke Prosa abseits abgegriffener Metaphern. Texte, die bewusst von ihren Schreibenden geführt werden und die man nicht einfach nur gehen
lässt. Texte stark wie Sauerteig.
Die heißen, hellen Tage und warmen Abende ziehen dich nach draußen ans Wasser und in den Schatten. Du bewegst dich nicht mehr als notwendig, und auch geistige Anstrengung fällt jetzt schwer.
Etwas schreiben, nur so zum Vergnügen - das ist wohl doch eher was für neblige Herbsttage, denkst du... Oder? Gerade der Sommer zwingt zur Langsamkeit, lädt ein zum Dösen und absichtslosen
Dahintreiben. Ideale Bedingungen dafür, dass Kreativität sich zeigen kann - wenn du nur ein wenig offen dafür bist. Hier ein paar Tipps, wie du dich in einen "empfänglichen" Zustand versetzen
kannst, der Sommer-Schreibideen sprudeln lässt:
Die Trägheit des Sommers nutzen
Die Hitze dringt in die Tiefen deiner Muskeln vor und legt dich beinahe lahm - dann nimm etwas zu trinken, dein Notizbuch und eine Strandmatte, und lege dich unter einen Baum. Schau in den Himmel
über dir: Erkennst du Muster in den Blättern? Welche Form haben die Wolken, und ist da vielleicht ein Flugzeug mit Kondensstreifen? Schließe die Augen und spüre die Wärme, das sinnliche Gefühl
auf deiner Haut. Lass deine Gedanken schweifen. Träume. Träume von der Sahara, von heißem Sex, von einem Segelboot. Vielleicht erscheint eine Figur, die deine nächste Geschichte tragen kann. Oder
dir kommt eine Idee für ein Gedicht. Notiere einige Wörter und Sätze. Später kannst du damit arbeiten.
Die Welt (neu) sehen
Bewege dich langsam, der Hitze angemessen. Woran merkst du, dass es Sommer ist? Wie verändert sich deine Umgebung? Neulich fuhr ich zum Beispiel mit dem Fahrrad hinter einem Mann her, den ich als
Touristen einordnete - unter anderem wegen seines Schlapphuts und der kurzen Hosen mit den vollgestopften Cargotaschen. Vor allem aber wegen der urlaubsmäßigen Langsamkeit. Seine Art einen Fuß
vor den anderen zu setzen war so seltsam, dass ich dachte, er würde sich dabei rückwärts bewegen. Bestimmt kennst du auch solche flüchtigen Begegnungen, bei denen dich etwas irritiert oder
belustigt. Das sind Details, die du später einer Figur andichten und mit der du sie einzigartig machen kannst. Jetzt im Sommer besuchen interessante Menschen deine Heimat - oder du bist selbst im
Urlaub, in einer fremden, inspirierenden Umgebung. Betrachte die Welt mit forschenden Augen - das geht sogar auf dem Weg zur Arbeit.
Südliche Gefühle pflegen
Im Sommer findet viel mehr Leben auf der Straße statt, Biergärten und Caféterrassen haben Hochkonjunktur. Genieße es - verabrede dich einmal mit dir selbst! Breite ein Blatt Papier neben deiner
Cappuccinotasse aus, notiere Geräusche und Gesprächsfetzen und schau, was sich in offenen Fenstern tut. Siehst du Gardinen wehen? Oder sind alle Fenster dicht verschlossen? Lehnt sich von Zeit zu
Zeit jemand heraus und beobachtet wie du die Straße? Was bewegt sich hier, wie ist die Stimmung? Und wie fühlst du dich selber im Moment? Wenn du in poetische Stimmung kommst, mache eine Liste –
und daraus ein Gedicht oder eine kleine Alltagsreflexion.
Sommergeräusche
Auch von zu Hause aus kannst du die Welt des Sommers einfangen - du musst nur auf die Geräusche lauschen: Den Schwall von Wasser, der sich abends aus dem Blumenkasten über dir ergießt. Ein
bisschen was spritzt auch auf deinen Balkon. Kinder, die bis in die Dämmerung hinein Fußball spielen. Gelächter und Rufe. Die Durchsagen aus dem Freibad, die zu dir herüberklingen und das leise
Rascheln der Blätter, wenn endlich ein kühlender Wind aufkommt: All das kann Geschichten in Gang setzen und sie mit Leben erfüllen. Wie der Mann, der so langsam geht, dass er sich rückwärts zu
bewegen scheint.
Deiner Schreibstimme lauschen
Stimmungen, Geräusche, menschliche Eigenarten: Je öfter es dir gelingt, dir Beobachtungen und Gedanken bewusst zu machen, desto wacher wirst du dafür. Während du versuchst, sie in die richtigen
Worte zu fassen, kultivierst du deinen individuellen Blick auf die Welt - und deine eigene Schreibstimme.
unterwegs nicht
mobil erreichbar
weit entfernt
für Augenblicke
intim mit der Welt
unterm Fenster
aus dem sich
die Mutter beugt
das Kind
unterm Arm
nebenan Gardinen
mein Dorf
in der Stadt
Espresso und Zeit
in kleinen Schlucken
Das ist ein Mrmpf. Es wurde letzten Donnerstagabend in meiner Schreibwerkstatt geboren, mit Hilfe einer Schere und eines Kugelschreibers. Es ist ein Zwitterwesen und wohnt in den Vogesen. Aber nur, weil sich das reimt. Es hat Flügel und Finger und Sehnsucht nach einem guten Freund. Ich denke, in meinem Schreibatelier am Whiteboard ist es gut aufgehoben: Von dort kann es gucken, was beim Schreiben so alles geschieht - und nachts unterhält es sich mit seinem Vorgänger aus einem anderen Kurs, dem Schwapir. Der Schwapir hat ein blaues Fell und schämt sich, weil er aussieht wie eine Kreuzung aus Schwein und Tapir. Deshalb musste er alleine bleiben - bisher.
fern tauchen Hügel
ins Silbergetüpfel
die Augen diesseits
am Strand bei den nackten
Sohlen auf Kies
wo die Wellen landen
zwischen Blütenperlen führt der Weg
am Wasser entlang
wo gespitzte Segel
den Himmel rammen
bis Dunst entweicht
geradeaus Schwimmen
lernen
auch wenn gerade
keine Bahn frei ist
Als ich gestern ins Atelier kam, ließen sich zwei der fröhlichen rot-gelben Tulpen jämmerlich hängen. Offenbar reichten ihre Stängel nicht bis zum Grund der Vase, und das Wasser war knapp
geworden. Ich füllte nach und wartete. Eine schien sich schon bald wieder aufzurichten, die andere blieb schlapp. Hatte ich sie umgebracht? Zum Glück nicht: Gestern noch vereinzelt traurig,
tragen jetzt alle Tulpen wieder ihre Köpfe hoch. Sie haben mir gezeigt, was sie brauchen, und sich schnell wieder erholt! So einfach ist das. Und ich höre auf den Rat der Tulpe: Zwar geht mir
manchmal auch der Saft aus, und ich hänge durch. Doch ich weiß auch, wie ich meine Reserven wieder auffüllen kann. Termine absagen, Schreiben in meinem Lieblingscafé. Oder mich im Schwimmbad an
den Massagedüsen suhlen. Und manchmal kaufe ich mir Blumen.
ein grünloser Gassenstrauch
wirft Schatten
um die Ecke
gebogen vom Pflasterwind
ein rauchblauer Blick
weht aus dem Fenster
dahinter ein Klagelied
ein rostbraunes Tor
schweigt neben dem Auto
in parkausweistürkis
VW Polo, alt
rote Schrift im absoluten
Halteverbot
in jeder Zeile
ein Rufzeichen mehr
unterm Scheibenwischer
eine Sonne
die den Morgen in Zonen zerteilt
lichtkalt und dunkelfeucht
das Flussbett der Naab
ist die Schlafstatt der Fische
an der Mündung des Tages
in die Nacht
Wolkeninseln fallen
zwischen die Farben
des Himmels und
alles ist tiefer:
das Dunkle
das Helle
die Farben
das Grau
Gestern habe ich es auf ungefähr 15 Kilometer gebracht - zu Fuß in Etappen von jeweils 3 Kilometern; früh, mittags, abends. Der Schnee machte mir das Radfahren zu gefährlich und den Bus nehme ich nur im Notfall. Und heute? War ich zum Langlaufen querfeldein an der Donau! Mit einem Abstecher quer durch den kleinen Park voller Glitzerschnee bis an den Weinweg, denn der Badebereich an der Schillerwiese wird ja gerade umgebaut und eine Teilstrecke des Donauradweges ist gesperrt. Beim Langlaufen war ich übrigens nicht die einzige: Bald nach dem Einstieg an der Autobahnbrücke beim Pfaffensteiner Wehr stieß ich auf eine weitere Spur, und einmal hatte ich sogar Gegenverkehr. Trotzdem, das Schilaufen mitten in Regensburg lässt die Leute aufschauen und man kommt ins Gespräch. So bestätigte mir eine Dame, dass sie schon einmal eine gespurte Loipe im Stadtwesten gesehen habe. Und meines Wissens verfügt das Gartenamt auch über ein Spurgerät. Eine kleine Recherche fördert einen Loipenplan von 2013 zutage, mit Strecken auf den Winzerer Höhen oder von Kareth nach Tremmelhausen. Traumhaft muss das sein! Nur leider ist es selten, dass in Regensburg einmal ausreichend Schnee fällt und dann auch noch liegen bleibt. Heute jedenfalls fing er nach einer Stunde auch schon wieder an zu kleben - Spaß gemacht hat es trotzdem und die neue Langlaufausrüstung ist eingeweiht! Morgen probiere ich es auf den Radlweg zwischen Wenzenbach und Falkenstein - natürlich nur auf einer Teilstrecke dazwischen ;-)
Meine Mutter hat mir das Schuheputzen beigebracht - und ich hasste es. Heute zähle ich es zu meinen wertvolleren lebenspraktischen Fähigkeiten. Schuhe säubern und trocknen lassen; eincremen,
wieder trocknen lassen und schließlich glattpolieren. Zumindest dieser letzte Arbeitsgang ist mit einer gewissen Befriedigung verbunden: Es ist wieder mal geschafft, die Schuhe glänzen. Oft genug
staune ich dann über die Schönheit meines Schuhwerks. Und wie immer schwindet der Drang, mir Neues zu kaufen: Das Alte war doch klug gewählt, ist haltbar und formschön - so lange es gut gepflegt
ist.
Doch was, wenn findige Designer einem einen Strich durch die Rechnung machen? Der allseits in Mode gekommene Vintage-Chick zum Beispiel: Dinge, die wirken, als wären sie in Ehren gealtert. Jeans
im Used-Look, Lederjacken die aussehen, als hätten sie schon ein Vierteljahrhundert auf dem brüchigen Buckel, den abgewetzten Ärmeln. Dinge, die einen Charakter vorspiegeln, den sie noch gar
nicht erworben haben können.
Wie diese Winterstiefel von Mustang, aus dem winzigen Schuhladen am Fuße der Burgruine in Kallmünz: Faltiges Leder mit einer staubig-verwitterten Oberfläche, das innere Bilder aufsteigen lässt
von Cowboys, die tagelang durch menschenleeres Gebiet voranreiten, mit ihren tapferen Pferden durch Flussbetten preschen, dass das Wasser nur so aufspritzt. Mit Stiefeln an den Füßen, die sowohl
dem Wasser als auch dem rauen, sandigen Wind trotzen. Stiefel, die abends vor dem Lagerfeuer ausgezogen und getrocknet werden.
Was passiert nun, wenn man diesen Stiefeln mit Wasser, Seife und Schuhcreme zu Leibe rückt? Richtig: Am Ende glänzen sie völlig unromantisch, nur die Falten sind noch da. Bleibt zu hoffen, dass
sie durch Gebrauch, Vernachlässigung und Tausalz wieder jene wild-romantische, cowboymäßige Patina annehmen, die ihnen zusteht.
"Jeder Schriftsteller weiß, was es bedeutet, drei, vier Textversionen zu schreiben und alle zerknüllt in den Papierkorb zu werfen. So ist es einmal auch mir ergangen. (...) Als ich sie aus dem Korb nahm und ein bisschen glättete, ging mir blitzartig auf, was dem Text gefehlt hatte: nämlich das Zerknüllen."
Die Gläser sind voll sandigem Staub. Die Zeitung lässt sich nicht mehr umblättern, seit Zement zwischen die Seiten geraten ist. Im Kühlschrank lagern wärmedämmende Ziegel. Das Bett wurde gegen den Dachstuhl getauscht, nachts leuchten die Sterne durch den halbfertigen Kamin. Rohre atmen leise. Wasser rasselt unterm Keller. Maßzeichnungen zieren das Klo. Ein Metermaß für mein Kuchenrezept! Im Ofen simmert Dichtungsschlämme. Dachpfannen geben den Ton an. Eine Wand nach der anderen putzt sich heraus. Das Kranauge sieht alles. Die Säge kreißt und gebiert sieben neue Sägen: Handsäge, Stichsäge, Kreissäge 2, Schattenfugenfräse, Laubsäge, Fuchsschwanz und Motorsäge. Und ewig schweigen die leeren Wälder. Ein Lastwagen kommt zu Besuch. Der Bagger verschläft und kommt erst wieder zu sich, als der Fäustling ihn trifft. Hammer und Meißel geben sich ein Stelldichein. Stahl und Glas verabreden sich zu einem Date. Beton ist Beton, und Schlamm ist Zufall. Zwei Zangen begreifen sich nicht. Stromausfall: Der Zufallsgenerator springt nicht an.