In diesem Mai habe ich viele Dinge zum ersten Mal getan: Das erste Mal länger in Ungarn sein - ein Arbeitsaufenthalt mit Selbsterfahrungs- und Urlaubsgefühlen. Und das allererste Mal in Pécs. Das schließt viele erste Male mit ein, praktisch jeden Schritt auf Straßen und Plätzen, in Gassen, Gebetshäusern dreierlei Religionen, Museen. Und natürlich die Cafés, in denen ich so ausgiebig zum Schreiben gekommen bin. Dort gab es auch viele zweite, dritte ... Male. Und heute: vieles zum letzten Mal. Ich versuche, ganz beiläufig den Széchenyi-Platz zu überqueren und so zu tun, als sähe ich die katholische Moschee, deren Kuppel den Platz nun mal dominiert, nicht zum letzten Mal, als ginge ich nicht ein letztes Mal die Király-Straße entlang, als sähe ich nicht zum letzten Mal die wie mit feinem Bleistift hinskizzierten Trauflinien der Gebäude. Zuvor habe ich den vorletzten (in der Nappali Bar) und den wirklich letzten Cappuccino (in der Kisülés Kávéműhely) getrunken und die allerletzte Limonade ... ich habe in mein Tagebuch geschrieben (was sonst) und überlegt: Was bleibt hier von mir außer einer angebrochenen Packung Earl Grey? Und was möchte ich mitnehmen?
Die Antwort auf beide Fragen: Meine Texte. Sie bleiben hier, weil ich einen Beitrag zum Blog des Pécs Writers Program leiste - Auswahl und Übersetzung ins Ungarische nehmen freilich noch ein wenig Zeit in Anspruch. Außerdem wird es eine Anthologie mit Texten ehemaliger Stipendiaten und Stipendiatinnen geben; ich fühle mich geehrt, dass ich dabei sein darf und Texte von mir ins Ungarische übersetzt werden! Und meine Texte kommen mit, weil ich länger davon zehren werde. In der Literatur wie im Leben (falls es da überhaupt eine Trennlinie gibt). Sie werden mir über das Heimweh nach Pécs hinweghelfen - denn das Pécs-Gefühl kommt mit. Das Gefühl, bei mir zu sein, egal wo ich bin und was ich tue. Denn in ein paar Tagen schon tauche ich wieder ein in meinen Alltag, und ich fühle mich gestärkt dafür. Gelassener vielleicht. Und dankbar für alles, was ich habe. Denn ich habe hier einerseits viel Lebensfreude gesehen: Junge Menschen auf Caféterrassen oder den Innenhöfen von Kneipen, Kinder, die am Springbrunnen spielen, und viel mediterranen Genuss. Aber da waren auch viele Menschen, die um Geld baten. Menschen, die aus der Bahn geworfen wirkten und deren Gesichter traurige Geschichten erzählten. Das gibt es bei uns zu Hause auch - doch hier erscheinen mir die Gegensätze noch stärker; auch im Straßenbild. Der Széchenyi-Platz ist das Herz der Stadt; ein öffentlicher Raum, in dem man sich gerne aufhält, mit prächtigen Gebäuden und Fassaden und - natürlich - Caféterrassen, von denen aus man Zaungast vieler kleiner Straßenszenen werden kann. Spielende Kinder (dank Autofreiheit), waghalsige Bergabfahrten mit Kinderrädern, Straßenmusik, Jugendgruppen und Liebespaare. Auch auf vielen anderen Straßen und Plätzen lässt es sich wunderbar flanieren. Dann gibt es noch die anderen. Die Straßen mit höchst eigenwilligem Charaker. Mit verschiedenen Belägen oder Klee, der aus den Ritzen wächst und die - manchmal bröckeligen - Fassaden mit dem Gehsteig verbindet. Straßen, in denen die Häuser noch eine Seele haben - und ihre Eigentümer vielleicht nicht genügend Geld, um umfassend zu sanieren. Darin liegt auch eine Chance. Pécs ist eine Stadt mit Substanz, und es ist noch nicht raus, wie diese sich in Zukunft entwickelt. Pécs fühlt sich leicht an, langsam und entspannt. Das liegt zum einen natürlich an meiner privilegierten Situation. Zum andern daran, dass die Stadt nicht überfüllt ist. Angenehm für mich - jedoch: Die Stadt hat mehr Besuch verdient. Ich werde es jedem weitersagen, wie schön sie ist und wie viel es zu entdecken gibt, vom Zsolnay Kulturviertel über die Museen, die Gastronomie und das Stadtbild an sich. Auch die Lage direkt am Mecsek-Gebirge ist ziemlich einzigartig. Meine Rundwanderung über den Fernsehturm hätte mir Lust auf weitere Wanderungen gemacht, und den Abstecher ins Weinbaugebiet habe ich auch nicht mehr geschafft.
Jedenfalls: ich bin dankbar für das, was ich erleben durfte und das, was ich am Schreiben habe, an meinem Leben zuhause und nicht zuletzt auch an Menschen, die meinen Aufenthalt hier wohlwollend verfolgt haben.
So. Bevor ich jetzt endgültig rührselig werde: Was tut eine Literaturstipendiatin an ihrem letzten Tag in Pécs? Am Morgen brachte ich meine Freundin aus Regensburg zum Bahnhof, mit der ich hier drei Tage lang noch etwas Urlaubsgefühl und Freundinnen-Zeit erleben durfte. Da konnte ich den Abschiedsschmerz schon einmal üben.
Dann "nach Hause" zum Packen und Aufräumen. Und anschließend doch noch ein erstes Mal: Ins Einkaufszentrum in den Media Markt. Der sieht natürlich genauso aus wie alle Media Märkte dieser Welt (zumindest so wie die, die ich aus Deutschland kenne). Denn ich wollte doch noch mehr mitnehmen: Nämlich Musik. Ich griff mir aufs Geratewohl einige Scheiben und wandte mich an eine Verkäuferin. Die rief ihren Kollegen; ob deshalb, weil er des Englischen mächtig war oder des Technischen, vermag ich nicht zu sagen - jedenfalls aktivierte er einen PC für mich und überließ mich meinem Schicksal. Über einen Barcodescanner sollten die Stücke aus der Datenbank abrufbar sein, aber das funktionierte nur lückenhaft, die Menüführung mit Suchfunktion natürlich Ungarisch. Vielleicht habe ich sie sogar richtig bedient - trotzdem konnet ich nur drei Scheiben anhören: Eine CD, die klang wie ein Worst-of der Zweitplatzierten aus dem nationalen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest; eine weitere mit Geräuschen irgendwo zwischen Thrash Metal und Ich-weiß-nicht was. Die dritte aber sprach mich schon vom Titel her an: Adieu les complexes von Beáta Palya, die in ihrer Musik verschiedene Elemente ungarischer und bulgarischer Volksmusik mit weiteren Einflüssen vereint. So tanze ich angefüllt mit Eindrücken nach Hause - und kann dort das Pécs-Gefühl mit ungarischer Musik wieder herholen ...
Und was kommt jetzt? Ich habe wieder mal mehr und anderes geschrieben, als ich eigentlich wollte. Ich werde auf jeden Fall noch einen Best-of-Pécs-Beitrag schreiben, mit schönen Fotos und einer Linkliste englisch- und deutschsprachiger Seiten, die mir bei meinem Aufenthalt auch weitergeholfen haben. Ich glaube, ich wiederhole mich, aber: die Stadt ist wunderschön und sehenswert. Und an der Sprache soll's nicht scheitern!
Außerdem habe ich noch das eine oder andere Gedicht in petto.
Also schaut mal wieder rein, welche Spuren Pécs auf diesem Blog hinterlässt!