Die Poesie des gelebten Lebens

biografisches schreiben regensburg
Apostolatshaus der Palottiner in Hofstetten bei Falkenstein - Blick aus dem Fenster

 

Was ist kreatives Schreiben? Eine Antwort darauf habe ich hier schon einmal versucht. Normalerweise unterstelle ich beim kreativen Schreiben in der Gruppe, dass das Geschriebene erfunden ist - auch wenn es einen Ich-Erzähler oder Erzählerin gibt. Niemand soll sich rechtfertigen müssen, wie viel Biografisches im eigenen Text steckt. Wir sprechen über den Text und nicht über den Autor, so formulierte es meine Wiener Schreiblehrerin Christa Brauner.

 

Beim Biografischen Schreiben hingegen wecke ich gezielt Erinnerungen an selbst Erlebtes, hier ist schon klar: Wir tauschen uns tatsächlich über unser Leben aus. Manchmal klappt diese Abgrenzung, manchmal auch nicht - und manchmal wäre sie sogar störend. Hier ist Fingerspitzengefühl vonnöten. Vor allem soll niemand das Gefühl haben, beim Schreiben und Vorlesen mehr zu offenbaren, als ihr oder ihm lieb ist.

 

Bei der Kreativen Schreibwerkstatt, die ich am Wochenende für den Katholischen Deutschen Frauenbund anleiten durfte, hielten sich die Frauen nicht lange mit solchen Feinheiten auf. Kreatives Schreiben hieß für sie: Erlebtes aufs Papier bringen, eigene Gedanken, Beobachtungen, Entwicklungen. Familiäres, Gesellschaftliches, Trauriges und Hoffnungsfrohes, Erinnerungen und Bestandsaufnahmen. Sie vertrauten mir und den teils bewusst irritierenden Schreibanregungen, und ich durfte ihnen vertrauen: Alles, was sich zeigte, durfte sein, in einer Atmosphäre der Wertschätzung und des respektvollen Austausches. Schreiben wirkt.

 

Selten habe ich das so gespürt wie an diesem Wochenende im Apostolatshaus der Palottiner. Poesie und literarische Qualität stellten sich wie nebenbei ein; die Texte berührten auf so vielen anderen Ebenen.

 

Die meisten Frauen stehen an der Schwelle "zu einem neuen Leben" (wie es eine von ihnen ausdrückte): Nach dem Berufs- und Familienleben und erfüllten Jahren im Ehrenamt nehmen sie sich nun die Freiheit, ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Sich für sich selber Zeit zu nehmen, zum Innehalten und bewussten Schauen: Nach vorne und zurück. Ich spürte die Kraft dieser Frauen, die meisten davon Mütter und Großmütter.

 

Meine eigene Mutter starb heute vor einem Jahr.

 

Das Trauerjahr ist um, und ich habe noch so viel nachzuspüren und einzuordnen. Am traurigsten machen mich die Dinge, die sie nicht leben konnte. Sie forderte so wenig für sich und ging zu früh. Auch in der Frauenschreibwerkstatt war die Rede vom Herbst des Lebens, aber auch von neuem Aufbruch. Am Ende meines Trauerjahres helfen mir diese Geschichten, den Blick auf das Gelebte zu lenken. Auf das was war und nicht auf das, was vielleicht hätte sein können. Die Kraft und Poesie des gelebten Lebens ist stärker.