Meine Mutter hat mir das Schuheputzen beigebracht - und ich hasste es. Heute zähle ich es zu meinen wertvolleren lebenspraktischen Fähigkeiten. Schuhe säubern und trocknen lassen; eincremen,
wieder trocknen lassen und schließlich glattpolieren. Zumindest dieser letzte Arbeitsgang ist mit einer gewissen Befriedigung verbunden: Es ist wieder mal geschafft, die Schuhe glänzen. Oft genug
staune ich dann über die Schönheit meines Schuhwerks. Und wie immer schwindet der Drang, mir Neues zu kaufen: Das Alte war doch klug gewählt, ist haltbar und formschön - so lange es gut gepflegt
ist.
Doch was, wenn findige Designer einem einen Strich durch die Rechnung machen? Der allseits in Mode gekommene Vintage-Chick zum Beispiel: Dinge, die wirken, als wären sie in Ehren gealtert. Jeans
im Used-Look, Lederjacken die aussehen, als hätten sie schon ein Vierteljahrhundert auf dem brüchigen Buckel, den abgewetzten Ärmeln. Dinge, die einen Charakter vorspiegeln, den sie noch gar
nicht erworben haben können.
Wie diese Winterstiefel von Mustang, aus dem winzigen Schuhladen am Fuße der Burgruine in Kallmünz: Faltiges Leder mit einer staubig-verwitterten Oberfläche, das innere Bilder aufsteigen lässt
von Cowboys, die tagelang durch menschenleeres Gebiet voranreiten, mit ihren tapferen Pferden durch Flussbetten preschen, dass das Wasser nur so aufspritzt. Mit Stiefeln an den Füßen, die sowohl
dem Wasser als auch dem rauen, sandigen Wind trotzen. Stiefel, die abends vor dem Lagerfeuer ausgezogen und getrocknet werden.
Was passiert nun, wenn man diesen Stiefeln mit Wasser, Seife und Schuhcreme zu Leibe rückt? Richtig: Am Ende glänzen sie völlig unromantisch, nur die Falten sind noch da. Bleibt zu hoffen, dass
sie durch Gebrauch, Vernachlässigung und Tausalz wieder jene wild-romantische, cowboymäßige Patina annehmen, die ihnen zusteht.