"Warum ist die deutsche Gegenwartsliteratur so langweilig?"

literatur regensburg
Foto: Adrian Pingstone

 

Die deutsche Gegenwartsliteratur ist langweilig.

Die deutsche Gegenwartsliteratur ist brav.

Die deutsche Gegenwartsliteratur ist konformistisch.

Die deutsche Gegenwartsliteratur ist...

 

Wirklich?

 

Aus irgendwelchen Gründen ist es gerade "in", sich über die angebliche Blutleere und Stromlinienförmigkeit der deutschen Gegenwartsliteratur zu beklagen. Wie zum Beispiel Florian Kessler in seinem Artikel Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn! Als Grund für Bravheit und Konformismus scheint er herausgefunden zu haben, dass die Absolventen und Absolventinnen der renommierten Schreibschulen in Hildesheim und Leipzig alle aus dem "gleichen, saturierten Millieu" stammen und unter Ihresgleichen studieren, von Ihresgleichen unterrichtet werden. Als Arbeiterkind bin ich gefährdet, zuzustimmen. Möglicherweise wurde ich von ganz anderen Lesegewohnheiten geprägt als die Hildesheimer Akademikerkinder. Aber auch ich lese deutsche Gegenwartsliteratur - die oft genug gar keine deutsche, sondern deutschsprachige ist: Eva Menasse zum Beispiel oder Arno Geiger, die eine aus Wien, der andere aus Bregenz...

 

Und dann ist da noch die eigentlich nur beleidigend zu nennende und grobmotorisch verfasste Wortmeldung Maxim Billers, Letzte Ausfahrt Uckermark: Die Enkel der Nazigeneration bestimmten hierzulande, was gelesen wird, und es fehlten lebendige literarische Stimmen von Migranten. Rein physikalisch bedingt (zeitliche Komponente) bin auch ich eine Enkelin der Generation, die von 1933 - 1945 erwachsen wurde oder war. Was Herr Biller darüberhinaus über die Geisteshaltung der nachfolgenden Generationen abzuleiten meint, will ich eigentlich gar nicht nachvollziehen.

 

Gleichzeitig bezeichnet Biller Autorinnen "mit Migrationshintergrund", wie die geniale Marjana Gaponenko oder Zsuzsa Bánk, als folkloristisch. Die "richtige" Migrantenliteratur stammt offenbar nur von Männern, wie Saša Stanišić oder Abbas Khider (unbedingt lesen: Die Orangen des Präsidenten). Die eigene Biografie kann mehr oder weniger deutlich Gegenstand von Romanen sein, sie muss es aber nicht - das hieße ja, dass Autoren und Autorinnen, deren Wurzeln außerhalb Deutschlands liegen, ihr Themenspektrum zwangsläufig einengen müssen, um ernst genommen zu werden. Ist diese Reduzierung das, was Biller sich wünscht?

 

Oder spricht hier nur ein selbst zu kurz gekommener, wie es auch Harald Martenstein in seiner Reaktion auf den Artikel mutmaßt?

 

Nein, ich kann nicht einstimmen in das allgemeine Bashing deutsch(sprachig)er Literatur. Allerdings scheint eine gewisse geistige Schwere und Düsterheit vonnöten zu sein, um hierzulande in der Literatur ernst genommen zu werden. Im Gegensatz dazu zählen in den USA oder auch Großbritannien Autoren zur Weltliteratur, die zum Teil urkomisch von den tragischsten Begebenheiten zu erzählen wissen, und das immer mit einer großen Liebe zu den Figuren - wie zum Beispiel der lange Jahre verfolgte Salman Rushdie. Ist er, der mit 14 Jahren von Indien nach Großbritannien zog, um dort zur Schule zu gehen, auch als Migrant zu sehen? Zumindest war er lange Jahre auf der Flucht - gerade wegen seines Schreibens. Aber das ist eine andere Geschichte.