Schön, dass du mich hier gefunden hast! Ich bin Autorin und schreibe Romane, die dich an die Nordsee und in den Süden führen, genauer in meine Wahlheimat Regensburg und in den Bayerischen Wald, wo ich herkomme. Denn, das kann man gar nicht oft genug erwähnen, in Bayern wird nicht nur gemordet (wie die reichhaltige Krimiliteratur es nahelegt), sondern wie überall nach Herzenslust geliebt. Meine Protagonistinnen sind beruflich oft handwerklich oder technisch unterwegs. Wenn dir dieses ungewöhnliche Setting gefällt, bist du hier richtig - und die Liebe ist ja sowieso universell!
Auf diesen Seiten findest du alles über meine Bücher und Lesungen, meine Schreibkurse und einiges über mich. Auf meinem Blog schreibe ich über mein Leben und meine Arbeit als Autorin in Regensburg. Gern kannst du mir auch schreiben oder meinen Newsletter abonnieren.
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Sabine Rädisch
Seit vier Monaten bin ich nun als Selfpublisherin unterwegs, mit meinem Roman Zwischen den Bäumen funkelt das Licht. Dabei habe ich sehr viel gelernt - Zeit für eine Zwischenbilanz!
Den Entstehungsprozess eines Buches kannte ich ja schon von meinen Verlagsveröffentlichungen, doch jetzt musste ich alles selbst organisieren und managen. Wie ein Projekt mit einem Budget, Zeitplan und externen Dienstleisterinnen oder in Eigenregie. Davon möchte ich euch heute erzählen und etwas weiter ausholen. Wenn euch nur einzelne Schritte interessieren, scrollt einfach nach unten und orientiert euch an den Zwischenüberschriften.
Die wichtigsten Schritte beim Selfpublishing: ein Überblick
Lektorat und Titelfindung: intensive Arbeit am Text
Nachdem ich mir Feedback geholt und die beste mir mögliche Fassung des Romans geschaffen hatte, beauftragte ich eine Lektorin - Barbara Lösel von Wortvergnügen. Sie arbeitete den Text durch mit Blick auf Logikfehler, Spannungsbogen, Figurencharakterisierung, Dialoge, Stil und vieles mehr. Wie üblich, bekam ich ein Dokument zurück, in dem ich alle Änderungsvorschläge und Kommentare nachvollziehen und bearbeiten konnte. Manches übernahm ich direkt, für anderes fand ich neue, eigene Lösungen.
Die Zusammenarbeit war mir wirklich ein Vergnügen! Frau Lösel hat mich ermutigt und meinem Buch den letzten Schliff gegeben.
Wir diskutierten auch den Klappentext und mögliche Titel. Ich muss sagen, der Titel kostete mich einiges an Kopfzerbrechen. Eine frühere Version lautete zum Beispiel Alles, was verschwunden war ... Ich befragte befreundete Autorinnen und einen KI-Bot, Frau Lösel und meine Träume ... und dann, ich weiß nicht wie, flog mir der aktuelle Titel zu! Ich war sehr erleichtert - auch darüber, dass noch kein anderes Buch diesen Titel trug. Es war wie eine Erleuchtung: Zwischen den Bäumen funkelt das Licht!
Buchsatz und Korrektorat: alles easy
Anschließend checkte Marion Voigt von Folio Lektorat gründlich die Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung. Ihre Sorgfalt gab mir noch mehr Sicherheit über die Qualität des Buches. Es ist nicht unbedingt notwendig, Korrektorat und Lektorat getrennt zu vergeben, doch es wird sehr empfohlen - einfach weil die Lektorin nach der intensiven Arbeit am Text möglicherweise auch nicht mehr alle Fehler sieht.
Und, was für mich neu war: Frau Voigt bekam von mir den fertig gesetzten Text und konnte so auch gleich Satzfehler korrigieren. Sie lobte mich für meinen Buchsatz, den ich mit Word gemacht hatte. Viele sagen ja, dass man dazu unbedingt ein professionelles Satzprogramm verwenden sollte. Doch mit den Möglichkeiten von Word lässt sich durchaus ein schönes, wenn auch schlichtes Drucklayout für einen Roman erzielen.
Die Sache mit dem Cover: setzt Löwinnenkräfte frei
Das Äußere meines Buches sollte zuallererst ein Gefühl für den Inhalt des Buches vermitteln - und zugleich marktgerecht und professionell sein. Deshalb beauftragte ich ein erfahrenes Designbüro. Meine Ansprechperson gab sich Mühe, meine Vorlieben und den Spirit des Buches aus mir heraus zu kitzeln. Bestimmt war der Entwurf auch professionell - doch nach jedem meiner Feedbacks schien das Motiv sich weiter von meiner Geschichte zu entfernen! Wenn ich mir vorstellte, mein Buch mit dieser Verpackung auf einer Lesung oder Messe zu präsentieren, spürte ein düsteres Gefühl in meinem Bauch statt prickelnder Vorfreude. Ich war ratlos: Was sollte ich jetzt noch tun oder sagen, um einen Coverentwurf zu bekommen, der mich begeistert?
Und dann erwachte eine Kraft in mir: So muss sich eine Löwenmutter fühlen, die ihr Junges verteidigt. Ich brach den Auftrag ab, bat um die Rechnung - und stand, was das Cover betraf, wieder ganz am Anfang. Das Budget war aufgebraucht, die Zeit drängte ... doch irgendetwas hatte der Fehlversuch in mir in Gang gesetzt. Also tat ich, was ich eigentlich nie hatte tun wollen: Ich öffnete das Onlinetool canva.com und machte mich selbst an den Entwurf. Zunächst nur, um über's Wochenende eine greifbarere Vorstellung von dem gewünschten Cover zu bekommen, mit der ich dann an neue Designbüros herantreten konnte ... Als gelernte Bauzeichnerin bringe ich ja ein gewisses grafisches Grundverständnis mit, wenn auch aus einem völlig anderen Bereich :-)
Ich holte Feedbacks ein, überarbeitete und tüftelte. Und als die neue Woche anbrach, war ich schon viel zu weit gekommen, um die Sache jetzt noch aus der Hand zu geben ... Und siehe da, nun hatte ich auch noch das Cover selbst geschaffen. Es repräsentiert meine Geschichte perfekt!
Druckdaten: ein bisschen Technik
Dann bereitete ich die Druckdateien vor. Den Buchblock, also den Innenteil des Buches, und den Umschlag. Bei meinem Dienstleister Tolino Media gibt es dazu genaue Vorgaben, deren Umsetzung jedoch ohne Profi-Werkzeuge eine ziemliche Herausforderung ist. Doch ich mag meinen Computer und "fuchse" mich dann einfach so lange hinein, bis ich die Lösung habe. Wofür gibt es schließlich Foren, Hilfetexte, Tutorials und freie Software? Als ich es geschafft hatte, alles hochzuladen, ließ ich mir ein Probeexemplar drucken - und voilá, das Ergebnis war, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Zwei Plattformen für das E-book - und noch mehr Technik
Die Basis für das E-book ist die für den Druck aufbereitete Worddatei, also die Endfassung des Buches. Für die Umwandlung in ein E-book müssen viele Formatierungen wieder entfernt werden, zum Beispiel die Seitenzahlen und manuelle Silbentrennungen. Außerdem ist es gar nicht so leicht, eine fehlerfreie Ebook-Datei für Amazon und Tolino Media zu erzeugen. Aber ich habe einen Weg gefunden; die Liebesbeziehung zwischen mir und meinem Rechner wurde wieder auf eine harte Probe gestellt, ist aber letztlich daran gewachsen. Weitere Details erspare ich euch :-)
So stehen Technik und Kreativität ständig in Wechselwirkung, um meinen Text, mein Buch auf und in die Welt zu bringen. Ohne befreundete Autorinnen, Freundinnen, Dienstleistende und auch Leserinnen wäre all das nicht möglich - sie gaben und geben Ermutigung, Feedback und handfesten Input.
Klappentext, Produktbeschreibung, Marketing ... und ein Buchtrailer
Manche Autorinnen lieben es, Klappentexte zu schreiben. Andere finden es unfassbar schwierig. Zur zweiten Kategorie gehöre ich :-) Ja, ich hatte einen Entwurf geschrieben. An dem dann die Lektorin, die Korrektorin und zum Schluss wieder ich herumfeilten. Nun gibt es eine Endfassung. Oder mehrere... Als Verkaufstext für das Buch ist er ein wichtiger Teil des Marketings. Und Marketing ist nun der Bereich, in dem ich - wie viele angehende Self Publisherinnen - wenig Erfahrung hatte. Zur Unterstützung engagierte ich die Buchmarketing-Agentur Medialike. Sie öffnete mir nochmal die Augen dafür, dass der Klappentext nicht das gleiche sein muss wie die so genannte Produktbeschreibung bei Amazon. Stattdessen führte die Agentur eine Keywordrecherche durch und richtete den Produkttext gezielt auf die gefundenen Keywords aus. Dahinter steckt die Überlegung: Wonach würden Leserinnen suchen, die sich für Geschichten wie "Zwischen den Bäumen funkelt das Licht" interessieren? Die Keywords helfen, mein Buch sichtbarer zu machen.
Was noch? Ach ja: Quasi als Übungsstück erstellte ich einen Buchtrailer. Dafür musste ich die vorhandenen Buchbeschreibungstexte noch mehr auf Kern-Aussagen reduzieren und geeignetes Bild- bzw. Videomaterial dafür finden - und am Ende auch noch Rechte für ein Musikstück kaufen, das ich darüberlegen konnte. Es war eine Tüftelei, aber einfacher als das Cover. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, finde ich! Ihr findet es hier unter Bücher oder direkt bei Youtube.
Fazit nach vier Monaten Self Publishing
Ich könnte jetzt hier noch so einige Geschichten erzählen über das Auf und Ab des Bücherschreibens und -veröffentlichens, über Pannen und technische Probleme, Reichweiten und Sichtbarkeit, die Kuriositäten vor allem beim Onlinemarketing. Fest steht: Ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen ist viel Arbeit. Damit verbunden ist auch innere Arbeit, um das Wesen des eigenen Buches immer besser zu verstehen und auch nach außen transportieren zu können - so ist das jedenfalls bei mir. Sei es beim Feilen am Text, den Vorgaben für das Cover, dem Klappentext oder kurzen, knackigen Sätzen für Social Media Postings und andere Marketingtexte, oder beim Zusammenstellen des Buchtrailers. Manches würde ich inzwischen vielleicht anders machen, anderes genau so. Noch offen ist, ob ich beim nächsten Mal wieder ein Cover selbst erstelle - oder wie ich es hinbekomme, eine Vorstellung davon zu entwickeln und auch so zu transportieren, dass ein Designervorschlag mich begeistern kann.
Zum Glück haben mir inzwischen auch eine Reihe Leserinnen Rezensionen bei den Onlinebuchhändlern hinterlassen und spiegeln mir die Wirkung meines Buches (und des Covers!). Die aller-allermeisten Rückmeldungen sind positiv. Und das bedeutet mir sehr viel - dass mein Buch doch eine Anzahl von Menschen zu berühren vermag!
"Wien, 12. November 2023
Meine Liebe,
das Wiener Kaffeehaus ist alles und nichts: Café, Restaurant, Kneipe, Wohlfühlort, Gruselkabinett, Laufsteg, Museum, Forschungsraum, Volkshochschule, Treffpunkt, Sozialstation, Improtheater, Möbelausstellung, Sanatorium, Tagesstätte, Nachtasyl, Selbstverständlichkeit, Missverständnis, Zeitmaschine, Repräsentationsraum, Rückzugsort, Bibliothek, Kantine, Lehranstalt.
DAS Wiener Kaffeehaus gibt es nicht.
Komm her und staune!
Deine S."
entstanden beim Workshop "Kaffeehausschreiben" des BÖS in Wien mit Barbara Rieger. Mehr über Kaffeehäuser und "ihre" Autor*innen in Wien und anderswo auf dem Blog Café Entropy, einem Gemeinschaftsprojekt der Autorin Barbara Rieger mit dem Fotografen Alain Barbero.
Hier ein kurzer Trailer zu meinem Buch - viel Vergnügen beim Anschauen! Ich hatte auf jeden Fall großen Spaß beim Zusammenstellen der Bilder und Videos und hoffe, der Film gefällt euch und macht Lust auf's Lesen.
Es gibt großartige Neuigkeiten: Seit 15.6.2024 ist mein neuer Roman im Handel, zum Beispiel bei Amazon oder Hugendubel. Intensive Monate liegen hinter mir: Natürlich musste ich das Buch schreiben - und dann folgten Lektorat, Korrektorat, Coverdesign, Aufbereitung der Druckdateien, Ebook-Konvertierung. Ich habe nochmals viel gelernt.
Aber nun zum Inhalt! Worum geht es?
Alexandras Leben scheint perfekt: Sie ist glücklich mit ihrem Mann Daniel, der gemeinsamen Firma und ihrem wild blühenden Garten als Wohlfühlort. Da bringt ein Brief vom Nachlassgericht alles durcheinander. Ihr Vater, mit dem sie längst gebrochen hat, ist gestorben und sie erbt den elterlichen Hof im Bayerischen Wald – zusammen mit ihrer Schwester Melanie. Doch die ist seit über zwanzig Jahren verschwunden. Schmerzhafte Erinnerungen brechen auf, von denen Alexandra bisher nicht einmal Daniel erzählt hat. Gleichzeitig entdeckt sie, dass er fremdgeht. Verletzt und wütend fährt sie an den Ort ihrer Kindheit und folgt der Spur ihrer Familiengeheimnisse. Es wird eine Reise zu sich selbst. Und dann ist da noch Max, der sie ohne große Worte unterstützt …
Ein hoffnungsvoller Roman über eine Frau, die sich beherzt ihrer Vergangenheit zuwendet und dabei lernt, auf die Stimme ihrer Seele zu hören.
Aus dem Schwarzwald bin ich gekommen, Muscheln an meiner Seite. Viele, viele. Aneinandergeschiebe, gedrängelt. Langsam. Ich schliff meinen Rücken an meinen Mitreisenden. Auch meinen Kopf, meinen Bauch. Ruhte mich aus. Eine Hälfte von mir lebendig. Grün, verwachsen, glitschig weich. Die andere sauber und scharf wie die Mondsichel über mir. Es schleudert mich gegen andere, kalte Funken leuchten auf. Gewaltige Stämme treiben über uns hinweg. Breit, so breit der Strom. Er formt den Boden, fräst sich durch Wälder, Granit und das Eis. Wieder komme ich zu liegen: an einem Ufer, wo zottige Tiere grasen. Ich bin eingeflochten in den Lauf der Zeit. Menschen erscheinen. Da draußen, auf dem Trockenen, da sitzt einer auf einem Stein und schreibt. Ich bin Zeuge. Die Vögel hoch droben schauen zu mir herunter. Zwischen mir und dem Nachbarn versteckt sich ein Wurm. Die langen, glänzenden Muscheln verschwinden. Neue Tiere tauchen auf, eckig und gelb und laut. Das Ufer schreit auf, die Pappeln rascheln empört. Der Fluss ist meine Wohnung. Komme ich jetzt unter die Erde?
Ich freue mich sehr: Mein Roman "Friesenteetage" ist jetzt auch als Hörbuch erhältlich! Eingelesen hat es die Schauspielerin und Sprecherin Janina Klinger, und zwar auf sehr warme, ausdrucksstarke Weise, wie ich finde. Das empfinde ich als großes Privileg - wie wunderbar! Die Hörbuchmanufaktur Berlin macht es möglich. Seit heute ist es zum Download in vielen Shops erhältlich - überall da, wo es Hörbücher gibt.
Vielleicht hast du Lust, mal reinzuhören, zum Beispiel hier bei Thalia.
Wer liest oder selbst Geschichten schreibt, kann viele Leben leben, kann Dinge innerlich ausprobieren und durchfühlen. Dieses Eintauchen in fremde Innen- und Außenwelten erschien mir von Kindheit an verlockend. Das eine Buch, das mich geprägt hat, gibt es daher nicht. Vielmehr habe ich wechselnde Lese-Vorlieben, die gerade zu der jeweiligen Lebensphase passen. In frühester Kindheit waren es Bilderbücher wie Das Auto hier heißt Ferdinand. Erst jetzt stelle ich fest, dass es von Janosch ist - Name und Bekanntheitsgrad des Autors oder Illustrators waren mir als Drei- oder Vierjährige wohl noch ziemlich egal :-)
Später ging es weiter mit Ronja Räubertochter, mit den Fünf Freunden oder Anne of Green Gables. Es folgten Unterhaltungsromane der damaligen Zeit, die meine Mutter gerne las, wie zum Beispiel die Poenichen-Trilogie von Christine Brückner, in der sich die Fluchterfahrungen meiner eigenen Familie spiegelten. Und natürlich las ich mich auch durch die Gemeindebücherei und die Schulbibliothek, durch Biografien von so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Martin Luther King und Marilyn Monroe. Dann amerikanische Erzähler*innen und englische Krimis.
Es sind ganze „Buchfamilien“, die mein Lesen, Leben und Schreiben geprägt haben – in dem Sinne, dass die Bücher eine thematische Verwandtschaft miteinander aufweisen. Und in einem weiteren Sinn: Bücher, die wie gute Freunde sind. Mit denen man eine schöne Zeit verbringen, lachen und weinen und am Leben der Figuren Anteil nehmen kann. Auch fantastische Geschichten faszinierten mich, wie Das Mädchen mit dem Kupferhaar von Brigitte Kaufmann: Ein Jugendbuch, das schätzungsweise um 1985 unter dem Weihnachtsbaum lag und das ich noch in der Nacht verschlang. Kennt das noch jemand? Da geht es um ein Mädchen, das gegen die Herrschaft der Computer auf ihrem Planeten rebelliert und sich für ein Leben in der Natur entscheidet. Die Geschichte des Aufbegehrens, mit der ich mich damals gut identifizieren konnte.
Das Genre Science Fiction sollte meine frühen Schreibversuche prägen: Jahrelang schrieb ich so etwas wie Captain-Future-Fan-Fiction und hatte sogar eine eigene kleine Fangemeinde in der Schule! Ich schrieb mit Bleistift in Schulhefte oder kleine Buchkalender. Was eben gerade so verfügbar war. Ich schrieb so, wie ich las, ließ die Geschichte einfach in mir ablaufen – ohne auf einen handwerklich „korrekten“ Plot zu achten oder gar an eine Veröffentlichung zu denken. Ich schrieb, weil und wie es mir gefiel. Sicherlich hat das auch mein Schreiben geschult.
Immer wieder ertappe ich mich bei dem Gedanken, ich sollte doch etwas Bedeutungsvolleres gelesen haben – Werke wie Der Fänger im Roggen, das viele als DAS Kultbuch schlechthin bezeichnen, wenn es um prägende Leseerlebnisse in der Jugend geht. Doch ich wuchs in einem 80er-Jahre-Arbeiter-Haushalt heran. Meine Eltern waren nicht akademisch gebildet und meine Mutter las für ihr Leben gern. Und so blätterte auch ich mich quer durch das, was der Bertelsmann Buchclub so zu bieten hatte. Und finde jetzt heraus, dass er schon seit gut 10 Jahren nicht mehr existiert. Kein Hauptvorschlagsband mehr, keine Kataloge und erst recht keine Filialen. Meine Eltern verstarben in dem Jahr, bevor die letzte ihre Pforten schloss. Und irgendwie tröstet mich die Vorstellung, dass der Buchclub wahrscheinlich ihr ganzes Erwachsenenleben begleitet hat.
Meine Online-Flatrates bei verschiedenen digitalen Bibliotheken, eine davon öffentlich (danke, Stadtbücherei Regensburg!) erscheinen hier wie eine logische Fortsetzung der Buchclub-Ära; Bücher und Schreiben sind und bleiben verlässliche Begleiter auf meiner eigenen Lebensreise. Ich möchte hier nach und nach noch mehr solcher Erinnerungen teilen – was bestimmte Autor*innen und Bücher mir bedeuten und welche Impulse sie mir gegeben haben. Schau wieder rein!
Bild: Foto M.G.
Von März bis Oktober 2023 war ich mit meinen Kolleginnen Sonja Silberhorn, Petra Teufl und Gerda Stauner auf Lesereise durch die Oberpfalz - es war fantastisch! Bei der Lesung im Cordonhaus in Cham war klar, dass ich hier, im Bayerischen Wald aus meinem Roman Bis auf weiteres für immer lesen möchte: Die Protagonistin Johanna ist dort aufgewachsen und verliebt sich in einen Insulaner von der Insel Föhr. Ich las eine Szene, in der Kai auf Johannas Familie trifft und dabei mit den traditionellen Werten und dem Dialekt konfrontiert ist. Was soll ich sagen, das Publikum lachte viel und am Ende waren die Bücher sogar ausverkauft! Danke, Cham. Ihr seid die Besten.
Ein besonderes Setting erwartete uns Anfang Mai auch auf der Burg Wolfsegg, gut 20 km nordwestlich von Regensburg (danke an Hans Teufl für die spontane Übernahme der Kamera :-)). Umgeben von Ritterrüstungen und an einer Tafel sitzend, die König Artus alle Ehre gemacht hätte. Allein der Aufstieg zur Burg ist schweißtreibend - wenn Frau dann noch eine Tasche voller Bücher, Ton-Equipment und sich selbst hinaufschleppt ... aber ich wandere ja gern, die Aussicht von oben ist phänomenal und bis zur Ankunft des Publikums hatten wir genügend Zeit zum Durchatmen.
In ein völlig anderes Ambiente tauchten wir ein im Future Lab in Weiherhammer - die Fotos vermitteln davon den besten Eindruck. Teilweise historisch wurde es dann wieder in Oberviechtach: Hier luden uns die Freunde der Kunst e.V. ins Dr. Eisenbarth- und Stadtmuseum. Wir lasen vor einem vollen Haus und bekamen anschließend noch Pralinen und Butterbrezen mit auf den Weg. Mehr dazu in dem wunderbaren Artikel von Georg Lang.
Nach der Sommerpause lasen wir in Neustadt an der Waldnaab in der Alten Schießstätte, in die der engagierte Verein Hausfluss e.V. zu verschiedensten Kulturveranstaltungen einlädt - Musik, Literatur, Kino, Ausstellungen ... all das viel schöner als Schießen :-) Die Waldnaab fließt direkt am Haus vorbei und ist durch ein großes Panoramafenster zu sehen, vor dem es während der Lesung langsam dunkel wurde - sehr stimmungsvoll!
Noch weiter in den Norden führte uns die Lesung in der Stadtbücherei Waldsassen, ebenfalls ein wunder-wunderschönes Haus mit beindruckenden alten Holzbalken und einem tollen Team, das uns mit leckeren Teilchen umsorgte. Denn mit der Verpflegung spät am Abend ist es so eine Sache in der nördlichen Oberpfalz - nach der Lesung hat meist kein Lokal mehr geöffnet (und manchmal auch schon vorher nicht, das darf gesagt werden :-) und die Rückfahrt muss ja auch noch bewältigt werden ... fast eineinhalb Stunden dauerte sie von Waldsassen aus. Gut, dass immer eine von uns Nüsschen oder Kekse bei sich hatte.
In Amberg reichte die Zeit vorher noch für einen Kaffee im traditionsreichen Café Zentral und auch in der Stadtbibliothek selbst herrschte eine gemütliche Kaffeehausatmosphäre.
Und dann war die Lesereise auch schon vorbei ...! So viele Mails und Telefonate mit Veranstaltern und Sponsoren, spontane Videomeetings und Umfragen zwischen uns Autorinnen, ein gemeinsamer Terminkalender, geschätzt ca. 1.000 gefahrene Kilometer, unzählige Gespräche am Rande der Lesungen, sieben Soundchecks, etliche signierte Bücher ... es war wundervoll und wir sind auf unserer Tournee so richtig zusammengewachsen. Den Abschluss feierten wir dann in Regensburg bei PIzza, Pasta, Wasser & Wein im dichten Schneetreiben Ende November.
Am liebsten würden wir gleich wieder loslegen - dann aber bitte mit einem Veranstalter im Rücken, der uns die ganze Organisation abnimmt :-) Und mit einer Chauffeurin (träumen darf man ja mal). Leider war es nur in Amberg möglich, mit dem Zug anzureisen.
Unsere Lesereise wurde unterstützt von den örtlichen Kommunen und Vereinen, teilweise von Bayern liest e.V. und der Regierung der Oberpfalz. Herzlichen Dank dafür!
Ich trage eine leichte, wärmende Hülle auf der Haut, atmungsaktiv und mit viel Bewegungsfreiheit. Trotzdem sieht man meine Konturen, meine Größe, meine Bewegungen, weit und kraftvoll. Mein Kleid ist aus Erde gemacht, aus Blättern und Heu. Mein Kleid ist aus allem, was ich brauche. Es hat viele Taschen, meine Träume und Wörter wohnen darin. Sobald ich hineingreife, entfalten sich Bilder, Sätze, ein Textgewebe. Eine Textur. In mir ist ein Wald, ich wachse und strecke und schlinge und wurzle. Der Boden unter meinen nackten Füßen ist feucht, aber nicht nass. Der Wind streift durch meine Gedanken, ich lasse alles hinter mir, ich gehe weiter, immer weiter, trete hinaus auf den Weg, der durch die Felder führt. Die Sonne wärmt mir das Gesicht, mein Haar ist wild und weich und ich trage ein Vogelnest auf dem Kopf.
Der Text entstand Anfang 2021 durch einen Schreibimpuls von Helen Perkunder. Danke, Helen :-)
Mein ganzes Erwachsenenleben lang wohne ich nun schon in der Stadt. Als Kind und Jugendliche konnte ich mir das nicht vorstellen, sehnte mich aber nach den Möglichkeiten: Kino, Kneipen und Cafés. Bibliotheken, Buchläden - und jede Menge Menschen. Die Stadt, in der ich lebe, bietet all das. Sie ist nicht groß, mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß bin ich schnell draußen. Und ich weiß, wo diese ruhigen Flecken sind, an denen man nur noch den Wind hört und vielleicht entferntes Hundegebell oder Stimmen. War mir früher das Dorfleben manchmal zu eng, so suche ich jetzt die Weite der Landschaft. Empfinde es als wohltuend, zwischen Feldern und Wäldern dahinzustreifen, den Blick und das Herz ganz weit. Für eine Weile genieße ich das Alleinsein abseits des Stadtgetriebes, wo die Überfüllung zum Dauerzustand geworden ist. Ich habe mir Brotzeit eingepackt, sitze auf einer Bank. Vor mir der sanft ansteigende Weg. Und dann entdecke ich sie: Überall Menschen, als Punkte am Horizont. Menschen mit Hunden, Menschen mit Rädern. Menschen allein und zu zweit. Beim Joggen oder gemütlich dahinspazierend. Manche wünschen mir im Vorübergehen einen guten Appetit, lächeln mich an. Andere nehmen ihre Hunde näher bei Fuß. Und schon freue mich mich wieder, nicht ganz allein zu sein. Wann genau beginnt das eigentlich wieder, dass Fremde einander grüßen und vielleicht auch ein paar Worte wechseln? Wie groß muss der Abstand sein, von der Stadt und zwischen den Menschen? Ich mag es, die weite Landschaft um mich zu haben und doch nicht allein zu sein. Ich mag es, wenn sie als dunkle, sich bewegende Umrisse auftauchen: Menschen am Horizont. Menschen, die wie ich diese ganz spezielle Lichtstimmung an einem Januarnachmittag genießen - kurz nach der Wintersonnenwende, an denen man aber spürt, dass allmählich das Licht zurückkommt. Menschen vor dem leuchtenden Blau des Himmels, bevor die Sonne hinter den Bäumen verschwindet. Ich sehe einen Mann und eine Frau, ihre Silhouetten wie ein Scherenschnitt. Und da, auf der anderen Seite, eine ganze Familie. Ihre grellbunten Jacken wie Stecknadelköpfe vor dem Grün der Wiesen. Menschen am Horizont: Sie geben mir das Gefühl, dass im Augenblick alles gut ist, egal wie durcheinander die Welt sein mag. Menschen mit all ihren Geschichten, mit ihrem Leben und einem Lächeln auf dem Gesicht, während sie das Sonnenlicht einatmen.
Nur ein paar Worte nehme ich mir vor. Für jeden Tag. Ins Tagebuch, Notizbuch. Mir selber ins Gesicht und in die Seiten schauen. Noch nicht wissen, was als nächstes kommt. Warum ist es so leer hier im Blog? Weil ich eben dies in letzter Zeit nicht so oft getan habe. Dabei ist es genau das, wozu ich in meinen Schreibwerkstätten anleite. Schreiblust braucht einen Rahmen und eigentlich nur wenig Zeit. Ein paar Worte sind schnell hingeschrieben. Dürfen stehenbleiben oder sich verselbständigen - vielleicht kommt die Lust und das Bedürfnis, tiefer einzusteigen und etwas Längeres daraus zu machen. Vielleicht reicht aber auch der kleine Gedanke, der schon länger in mir wohnt und den ich noch nie so recht in Worte fassen konnte und der nun deutlicher hervortritt. Wie ein Baum oder ein Berg, die sich nach und nach aus dem morgendlichen Dunst erheben. Oder etwas, das ich mir vorgenommen, dann aber wieder vergessen habe - wie zum Beispiel morgens schwungvolle Musik aufzulegen, um in die Gänge zu kommen. Los - schreib es hin! (Und tu es.)
Und dann wären da noch Fragen - Fragen, die ich mir noch nicht gestellt hatte, die aber wichtig sind. Bei mir aktuell: Wo will ich mit meinem Manuskript eigentlich hin? Bis jetzt ging es vor allem darum, endlich einmal fertig zu werden. Das ist gelungen - übrigens auch, indem ich zuweilen "nur ein paar Worte" hinschrieb, aus denen dann mehr wurde. Sie flossen entweder direkt in den Text oder ich kritzelte vor mich hin, fand Lösungen für Knoten in der Handlung oder deckte die Motivation meiner Figur auf. Denn in einem Roman geschieht nichts ohne Grund. Alles, was meine Figuren tun, muss sich glaubhaft aus ihrem Charakter ergeben und die Handlung vorantreiben.
Und doch: "Nicht alles muss einen Sinn ergeben", las ich neulich. So befreiend! Wobei ich im Zusammenhang mit kreativen Prozessen eher von "absichtslos" sprechen würde - dass also alles kommen darf, was kommen will, und nichts von vornherein ausgeschlossen ist. Und wie oft ergibt sich eine gewisse Ordnung dann von selbst. Muss aber nicht sein.
Einfach anfangen. Jeden Tag neu. Nur ein paar Worte ...
Wenn ich so zurückschaue auf 2021, dann fällt mir doch viel Schönes ein: Die Lesungen unter freiem Himmel, aber auch zwei herbstliche Highlights in geschlossenen Räumen. In der Stadtbücherei Regensburg las ich zusammen mit Carola Kupfer und Rolf Stemmle aus der Anthologie Schauriges Ostbayern. Meine Geschichte in dem Buch spielt in Niederalteich an der Donau und könnte damit ebenso gut unter dem Thema Flüsse erschienen sein; für das Flüsse-Lesebuch des Lichtung Verlags habe ich jedoch exklusiv eine neue Geschichte geschrieben, in der eine junge Frau am Donaustrand über ihre Zukunft entscheidet. Ich las sie bei der Viechtacher Literaturrevue, organisiert vom Kulturamt in Viechtach und dem Lichtung Verlag - und überhaupt hatte ich das Gefühl, die ganze Stadt war auf den Beinen, um die Lesung zu einem erfolgreichen, professionellen und vor allem vergnüglichen Abend werden zu lassen! Harald Dobler und Bernhard Setzwein lasen an dem Abend ebenfalls; Salina Albert und Tom Riepl mit Band bestritten den musikalischen Teil. Nicht zu vergessen die beiden Verlegerinnen Kristina Pöschl und Eva Bauernfeind, die abwechselnd durch den Abend führten - einfach großartig!
Kurz zuvor war ich von einem Treffen aus Berlin zurückgekommen, bei dem die Vorbereitungen zur nächsten Jahrestagung für Kreatives Schreiben des Segeberger Kreises begonnen wurde. Wenn alles gutgeht, treffen wir uns im März 2022 im Harz. 2021 hatten wir die Tagung ins Netz verlegt, was uns in der Vorbereitung viel abverlangte, aber auch sehr beglückend war: Die meisten von uns empfanden die Schreibgruppenarbeit als ebenso produktiv und innig wie sonst das Schreiben in Präsenz.
Was mich ebenfalls freute: Dass mein Schreibkurs im W1 - Zentrum für junge Kultur stattfinden konnte, und zwar live - in einem großen Saal (genau genommen hatten wir das ganze Haus für uns!) mit wenigen Leuten. Zwischen den Zeilen hieß der Workshop - im Rahmen des Schreibwettbewerbs "Die Farben meines Ichs - Zwischentöne".
So gehe ich nun satt und zufrieden aus diesem Jahr. Für 2022 habe ich auch schon einige Schreibworkshops geplant. Hoffen wir, dass sie stattfinden können ...
Daran könnte ich mich gewöhnen: Lesen und Schreiben unter freiem Himmel! In diesem Sommer hatte ich dazu reichlich Gelegenheit. Drei Lesungen an Donau, Naab und an der Schwarzen Laber, dazu zweimal "Schreiben und Spazieren" im Dörnbergpark - ein Kurs und ein vergnügliches Einzelcoaching. Unter Bäumen liegend, sitzend den Wolken nachsinnieren, in den Himmel schauen. Die Worte unzensiert, unkommentiert fließen lassen und anschließend zu kleinen Geh-dichten verdichten, das war fein. Und auch beim Zuhören, als Gast auf einer Lesung tut es dem Körper gut, nicht die ganze Zeit an einem festen Platz stillsitzen zu müssen. Stattdessen konnte das Publikum den Boden unter den Füßen spüren, den Wind und die Sonne auf dem Gesicht. Die Menschen genossen es sichtlich, auf einem Felsen zu sitzen oder sogar im Gras zu liegen und die Augen zu schließen, mit allen Sinnen zu lauschen. Ihre Aufmerksamkeit spürte ich trotzdem, und auch ich selbst fühlte mich wohl und geerdet.
Auf das Wetter hatten zwar weder ich noch die jeweiligen Veranstalterinnen und Gäste einen Einfluss. Doch falls es eine Wettergöttin gibt, mochte sie wohl unsere Texte und Bücher und die literarische Geselligkeit, denn es war fast immer strahlendes Wetter oder blieb zumindest trocken, wie auf den Bildern oben. Sie entstanden am 16. August in Burglengenfeld - eines vom Malerwinkel aus fotografiert, den ich vor der Lesung noch besuchte. Von dort kann man die Naab sehen, die Lesung selbst fand in den Naabauen statt. Der niedliche Büchertisch mit dem Lichtung-Lesebuch "Flüsse" fand in der kleinen Kapelle auf dem Gelände des Oberpfälzer Volkskundemuseums ein trockenes Plätzchen. Als wir dort angelangt waren, überraschte uns noch die Sonne und das Zementwerk erstrahlte im Abendlicht. Vielleicht als Gruß an eine schreibende Bauingenieurin wie mich :-) Die Literatur-Wanderung "Bergwelt und Kulturgenuss" hoch über dem Tal der Schwarzen Laber führte uns auf den Maria-Hilf-Berg in Beratzhausen, von wo aus man in der Ferne die dritthöchste Eisenbahnbrücke Bayerns bewundern konnte.
Nie habe ich in ein geschickter platziertes Mikrofon gesprochen. Der Lichtung Verlag (Kristina Pöschl) und die Galerie Am Wiedfang / KunstKnoten e.V. (Regina Hellwig-Schmid mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Tochter Patrizia) hatten den Lesungsort kurzerhand nach draußen an die Donau verlegt und alles wunderbar organisiert. Das Spiel von Licht und Wolken wirkte, als hätten sie es extra für diesen Tag bestellt, ebenso wie die angenehmen Temperaturen. Auch die etwas lauteren Schiffe fuhren im richtigen Moment vorbei und wieder ab. Dazu der Klang des Saxofons von Bertl Wenzl inklusive natürlichem Hall-Effekt vom gegenüberliegenden Donau-Ufer; Zaun- bzw. Brückengäste hatten einen Premiumblick auf die Szenerie von oben. Und nicht zu vergessen: meine Mitlesenden Florian Sendtner, Helmut Hoehn und Joachim Linke! Die Gäste waren sich einig - selten gab es eine entspanntere Lesung.
... mit einem Beitrag von mir.
Mehr dazu beim lichtung verlag!
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den süden auslassend das weite suchen
die augen im grün
und nähe finden
routinen und routen gehen
ins detail
von grashalm zu grashalm
Manchmal frage ich mich, ob mein Leben anders verlaufen wäre, hätte es in meiner Kindheit schon das Internet gegeben, wie wir es heute kennen. Doch ich wuchs in den 80ern in einem Arbeiterhaushalt auf dem Land auf; ohne U-Bahn oder Elterntaxi. Nur der Schulbus fuhr, morgens hin und mittags zurück. Im Dorf gab es zwei jüngere Mädchen, mit denen ich oft spielte, für die übrigen Sozialkontakte war ich auf Familie und Schule angewiesen. Ich arbeitete auf unserem Nebenerwerbs-Bauernhof, war viel draußen, nachmittags und am frühen Abend sah ich fern; das Raumschiff Enterprise nahm mich mit in ferne Welten. Dazu kam das Lesen - und das Schreiben. Beides musste ich sowieso lernen - also wurde es mein Lebens- und Ausdrucksmittel. Über das Soll hinaus gab es nichts: Ich lernte kein Instrument, war in keinem Sportverein. Es gab kein Reiten oder Reisen. Aber zum Glück die Realschule im Nachbarort. Dort betreute ich drei Jahre lang die Schülerbibliothek, nebenan lag die überschaubare Gemeindebücherei mit ihren Jugendbüchern und Hörspielkassetten. Immerhin, die Lesefreude meiner Mutter bescherte mir die Bücher unterm Weihnachtsbaum und zum Geburtstag, beim Buchclub bestellt; ganz selten einmal kam ich nach Deggendorf in einen Buchladen. Stattdessen gab es die private Schmiede-Werkstatt meines Vaters und die Anregungen der Natur: Wald, Wiesen und Felder statt Kino, Theater oder Museen. Letztere entdeckte ich erst als Erwachsene, und meine Berufsorientierung beschränkte sich auf's Naheliegende. Erst die Lehre, dann ein Ingenieurstudium - damals noch ungewöhnlich für ein Mädchen, aber folgerichtig für die Tochter eines "Metallers".
Schriftstellerin wollte ich damals schon werden - doch das war unerhört. Ich wusste weder, wie man dazu kam, noch wo die anderen zu finden waren. Heute gibt es ja für alles und jedes ein Forum im Internet, Autoren und Autorinnen haben Webseiten und öffentliche Werdegänge. Bücher, Studiengänge, Verlage, Vorbilder - all das lässt sich im Netz viel leichter aufspüren - und dann live erleben. Oder eben online; die gegenwärtige Situation bringt oder zwingt uns dazu. Diejenigen, die jetzt seit Monaten fast nur im Home Office sind, die gezwungen sind den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu unterrichten oder unterrichtet zu werden; diejenigen, denen Videokonferenzen die Beratung oder Therapie ersetzen sollen - für die ist es hart. Und doch.
Für mich hat "dieses Online" seine Faszination noch nicht verloren. Natürlich spüre ich mein Gegenüber oder meine Schreibgruppe besser, wenn wir uns auch körperlich nahe sind; natürlich sollte das Studentenleben sich in Hörsälen und Kneipen abspielen. Doch wenn das nicht möglich ist (weil man zu weit weg wohnt, nebenher noch Geld verdienen muss oder weil gerade Pandemie ist), eröffnet das Internet tolle Möglichkeiten.
Ich empfinde es nach wie vor als Wunder, spüre noch immer die kindliche Freude wie damals am Dosentelefon. Mein Herz jubelt vor Freude, dass ich mich jederzeit, von überallher mit der Welt verbinden kann, mit Schreibpartnerinnen in Zürich oder Linz.
Ich stelle mir vor, wie ich damals, in meiner einsamen Kindheit, Online-Lesungen besucht, mich mit anderen Schreibenden ausgetauscht hätte, wie ich herausgefunden hätte, wohin ich gehen kann, um meine Möglichkeiten früher und breiter zu entfalten.
Vielleicht aber wäre ich auch eines der Kinder gewesen, die keinen eigenen Laptop besitzen und schlechten Zugang zum Internet haben.
Vielleicht wäre ich mit Internet gar keine Schriftstellerin geworden, denn das Abgeschnittensein von fast allem lehrte mich zu träumen und zu phantasieren.
Und viele Fähigkeiten, die ich in meiner analogen Kindheit und Jugend erworben habe, kommen heute auch online zum Tragen. Dass ich weiß, wie man sich durchfragt; wie man eine Nachricht zu bewerten hat, und dass ich einschätzen kann, was glaubwürdig ist und was nicht ...
Ich wünsche mir, dass möglichst viele Menschen erstens Zugang zu Online-Angeboten haben und zweitens diese auch kompetent zu nutzen lernen. Das ist für mich ein zentraler Baustein für gesellschaftliche Teilhabe und Mobilität.
Mir fehlt das Schreiben im Café: Versorgt mit einem Keks und Cappuccino, mein Notizbuch vor mir, einen Stift, das Handy in Griffweite. Nicht nachdenken zunächst, sondern aufschreiben, was kommt. Gedanken zum Tag, Erlebtes, Gefühle. Über das Schreiben und das, was mich scheinbar vom Schreiben ablenkt. Was noch nachhängt von dem, was im Außen so los ist: Büroalltag, Gespräche mit Kollegen, endlose To-Do-Listen und Termine. Ringen um Fokussierung, die schließlich mit Hilfe des Schreibens gelingt. Den Raum öffnen, Weite zulassen. Die Welt um mich versinkt und dennoch brauche ich sie: Das energische Klopfen, mit dem das gebrauchte Kaffeemehl aus dem Siebträger befördert wird. Das anschwellende Kreischen der Milchschaumdüse. Gelächter und Satzfetzen, die zu mir herüberwehen, von ratschenden Müttern oder Monteuren in Arbeitsklamotten. Das Klappern einer Laptoptastatur. Dass jemand da ist, wenn ich von meinen linierten Seiten aufschaue und innehalte. Und dann höre ich plötzlich diese Stimme in mir: „Früher hast du viel mehr gebloggt“, mault meine innere Schreiberin. „Ja, früher! Da hattest du auch mehr Ideen!“, halte ich ihr entgegen. Sie schweigt, ein bisschen beleidigt. Kein Wunder, denn wir wissen doch beide, dass Schreiben vom Schreiben kommt. Vom Hinsetzen und Tun, auch wenn die ersten Sätze stolpern.
Mir fehlt das Schreiben im Café, schreibe ich. „Das ist traurig“, sagt die Schreiberin. „Aber Schreiben kannst du doch immer, egal wo.“ Stimmt. Umso mehr jetzt, wo ich die seeligen Kaffeehausmomente heraufbeschworen habe. Ich fülle meine Teetasse und tu ein wenig so, als säße ich wirklich dort. Die Worte kommen.
die stimme des wassers
das dich ruft
abend für abend
eintauchen sollst du
mit körper und geist
das schmunzeln der wellen
wenn du schreist
vor kälte
und dann vor glück
das flüstern des flusses
wenn du in ihm treibst
haut an haut
mein vater der imker
meine mutter die gärtnerin
mein bruder der vierjährige
traktorlenker allein am waldrand
ich die traumwandlerin
meine mutter die talentierte
zeichnerin köchin duldsame
mein vater der kraftvolle schmied
mein bruder der versteckte
die streberin ich
die bücher
das eisen
das fahrrad
der marmeladentopf
das alte haus
unser fliegenfänger
seine äcker die wohlbestellten
ihr garten das paradies
mein bruder der ältere
ich die nicht weiß
wie ihr geschieht
mein vater der gerechte
und wir
die ewig
vertriebenen
Ich wollte ja schon immer mal lernen, wie man einen Film macht - oder zumindest, wie man einzelne Szenen schneidet und zusammenfügt ... da kam mir die Einladung des Schriftstellerverbandes gerade
recht, zu einer Reihe von Wohnzimmerlesungen beizutragen. Gefordert war gerade nicht der perfekte, professionelle Film, sondern das Handgemachte, vielleicht ein bisschen Provisorische. So, wie
wir alle gerade ein wenig improvisieren, um gut durch diese Tage zu kommen. Also habe ich meine alte Digitalkamera ausgepackt und losgelegt. Nun könnt ihr in meine Schreibwerkstatt gucken und
einer kurzen Lesung aus meinem Roman Friesenteetage lauschen.
Auf den Seiten www.schriftsteller-ostbayern.de findet ihr noch mehr
Wohnzimmerlesungen, unter anderem von meinen wunderbaren Kollegen und Kolleginnen
Dieter Lohr,
Angela Kreuz, Barbara Krohn, Oliver Machander, Johann Maierhofer, Thomas Schmidt, Matthias Kneip, Martin Stauder und nicht zuletzt
Hilde Artmeier und Ideengeber
Wolfgang Burger.
Bei so vielen unterschiedlichen, unverwechselbaren Stimmen ist für jede(n) was dabei, das euch das Dahoambleim versüßen kann!
ich habe ackererde
an den füßen
darunter die plätze
der steinernen stadt
ich habe das dach überm kopf
den kirschbraunen schreibtisch
und einen weißen aus schichtstoff
ich habe vier telefone
und so viele räume
dazu mein fahrrad, mein radio
handwerker und freundinnen
ich hab eine reihenfolge
für die wörter
und staune täglich
über ihre verschiedenheit
ich habe lange, altmodische flure
und die rote tür zur werkstatt
bei st. leonhard
hier schlägt mein herz
in der stille
Am 6. Januar verzeichnen die Volkshochschulen jeweils die höchsten Anmeldezahlen für ihre Kurse - das sagt die Statistik.
Nachdem alle Weihnachtsgeschenke ausgepackt (und unpassende bereits wieder umgetauscht) sind, die Weihnachtsgans oder das vegane Festtags-Curry verzehrt wurden, tritt bei vielen offenbar der Wunsch nach persönlichem Wachstum zutage. Die Zeit zwischen den Jahren gehörte der Familie und dem Freundeskreis - oder dem Alleinsein mit sich. Es war Zeit zum Innehalten, für lange Spaziergänge, genussvolles Lesen, absichtsloses Surfen. Zeit, in der Gedanken und Gefühle kommen durften, die im Alltag oft untergehen.
Neujahrsvorsätze wurden gefasst, Aufbruchstimmung macht sich breit: Mehr Sport, Spiel und Entspannung ins Leben holen. Sich eine neue Sprache aneignen, endlich die eigene Webseite einrichten, Vorträge hören. Nähen lernen, singen, einen Kochkurs machen.
2020 hat so viele Möglichkeiten. Wie 366 unbeschriebene Seiten. Jeder Tag ein Umblättern. Nicht nur einmal im Jahr.
Schon länger habe ich hier auf dem Blog nichts mehr gepostet, aber dennoch immer weiter geschrieben und mein Debüt als Self Publisherin vorbereitet. Ja, genau - ich, die überzeugte Verlagsautorin. Wie kommt das?
Nun, zum einen habe ich die Rechte für meinen ersten Roman Brot und Bitterschokolade vom Verlag zurückerhalten. Ich schaue immer noch voller Freude auf mein Debüt im SüdOst Verlag (Verlagsgruppe Gietl) zurück: Es war eine großartige Zeit, mit Interviews, einer Buchvorstellung im Regionalsender und tollen Lesungen. Das ist nun drei Jahre her.
Es war das Sprungbrett für meine weitere Entwicklung als Autorin, und ich habe inzwischen drei (!) weitere Bücher in Verlagen veröffentlicht: Zwei Nordseeromane bei forever by Ullstein; das Taschenbuch zu Friesenteetage erscheint Ende Oktober. Und Das Schreiblustbuch zusammen mit Petra Teufl - ein Buch mit 50 Schreibimpulsen, das vom Kösel Verlag wunderschön gestaltet wurde und seitdem viele Menschen zum Schreiben inspiriert. Die Schreibimpulse kommen aus Petras und meiner Praxis als Schreibgruppenleiterinnen.
Und mit einer weiteren lieben Kollegin, Gerda Stauner, gebe ich das Wissen rund ums Veröffentlichen und den Umgang mit Verlagen weiter. Zum einen haben wir gemerkt, dass der Bedarf dafür einfach da ist; entsprechende Fragen tauchen in unseren Lesungen und Schreibwerkstätten immer wieder auf. Also haben wir den Kurs konzipiert, den wir am Anfang unseres Autorinnenlebens selbst gerne gehabt hätten: Erste Schritte ins Autorenleben.
Dabei liegt der Schwerpunkt ganz klar auf Verlagsveröffentlichungen, doch das Self Publishing ist für viele natürlich eine interessante Option. Deshalb war ich nach der anfänglichen Enttäuschung darüber, dass mein Erstlingswerk nicht neu aufgelegt wird, Feuer und Flamme: Ich mache es einfach selbst, entschied ich. Ich brauchte nur ein neues Cover, und zufällig kannte ich auch schon eine Designerin, die es mit viel Elan umsetzte.
Und dann beschäftigte ich mich intensiv mit der Technik - sprich, mit dem Konvertieren von Textdateien zu ebooks und der Bedienung von KDP (Kindle Desktop Publishing, der Self Publishing Plattform von Amazon) und Tolino Media.
Und nicht genug damit: Ich absolvierte eine Generalprobe mit einem ganz anderen Projekt - dem Gedichtband, den ich komplett selbst zusammenstellte und für den ich das Cover selbst gestaltete (die Texte hatte ich natürlich auch geschrieben und ein Konzept, einen roten Faden ausgearbeitet). Denn schon lange träumte ich von einem Lyrikband, einem "Best of" der letzten Jahre.
Damit konnte ich Erfahrungen im Taschenbuchbereich sammeln. Ich testete verschiedene Anbieter und ging schließlich (doch) zu Books on demand, kurz BOD. Ich produzierte auch ein Ebook, doch erschienen ist Am Fluss entlang dann ausschließlich als gedrucktes Buch. Für die variable Anzeige auf einem Ebook-Reader oder Smartphone sind Gedichte nicht geeignet, finde ich. Zu wichtig ist die Formatierung, das äußere Erscheinungsbild der Gedichte, die Zeilen- und Seitenumbrüche sind Teil des gestalteten Textes.
Und nun veröffentliche ich Brot und Bitterschokolade neu als Ebook. Es fühlt sich an wie ein ganz neues Buch, und ich bin sehr stolz darauf! Auf den Roman, seinen Entstehungsprozess und meine Einarbeitung ins Self Publishing - die technische Seite. Denn es ist mir vor allem wichtig, dass das Buch nicht vom Markt verschwindet, dass es bestellbar bleibt.
Was ich dabei auch gelernt habe: Erfolgreiche Independent Autoren und Autorinnen sind sehr, sehr erfinderisch und fleißig, stecken eine Menge Zeit und Geld in Lektorat, Korrektorat (Arbeitsschritte, die bei mir schon der Verlag erledigt hatte) und Marketing. Das ist nicht zu unterschätzen, wenn man ohne Verlag erfolgreich werden will.
Ich kann nun beide Veröffentlichungswege einschätzen und sagen: Ich bleibe gern Verlagsautorin und konzentriere mich auf das, was ich am besten kann, das Schreiben. Doch sollte es mal nicht klappen (zum Beispiel, weil ein Buchprojekt die gängigen Genregrenzen sprengt), dann weiß ich jetzt auch, wie es anders geht!
das schaben der hockerbeine
auf den fliesen
staubflusen an teppichrändern
wenn das telefon klingelt
und meine gedanken zerreißt
zeitdiebe in treppenhäusern
gute ratschläge
und meine reflexe darauf
energisches klopfen
bevor die tür aufplatzt
und jemand stör ich? fragt
ihr laut und mein leise
und mein ewiges suchen nach stille
Mehr Fragen als Antworten.
Mehr zuhören als reden.
Mehr Zimt als Zigaretten.
Weniger getrennt als verbunden.
Mehr Zeilen als Zäune.
Mehr Bäume als Polizisten.
Mehr Sommer am Meer.
Was liegt hinter diesem Horizont? Sind das Dünen oder doch bloß Gras? Wird es bald stürmen, regnen?
Das Bild entstand auf den Winzerer Höhen bei Regensburg - tief im Inland, hoch über der Donau. Doch mit etwas Phantasie kann man sich auf so einem Spaziergang überall hin versetzen.
Die Weite, der Wind, der offene Blick - das ist es, was viele Menschen am Meer schätzen. So auch die Teilnehmenden der vergangenen Sommer-Schreibwerkstatt. "Regensburg liegt nicht am Meer" war das Motto, gedacht für alle Schreibenden, die das Meer lieben oder Beziehung zu ihm aufnehmen möchten. Ganz egal, ob sie in nächster Zeit an die See kommen oder nicht.
Meine kleine Schreibgruppe schien nichts Ungewöhnliches daran zu finden, sich von der Donau aus ans Meer zu schreiben - ans nördliche, südliche, erlebte oder ersehnte. Es entstanden wunderbare Texte, die uns berührten wie eine kühlende Meeresbrise, ein warmer Wind, der Duft der Macchia.
Für alle, die nicht dabei sein konnten, hier zwei kleine Schreibanregungen als Kostprobe:
„Schiffsgeräusche“ an der Donau
Schließe die Augen und lass die Geräuschkulisse auf dich wirken.
Stell dir vor, du stehst auf dem Deck eines Schiffes.
Was spürst du? Ist es stürmisch oder ruhig, ist dir kalt oder warm?
Bist du allein?
Hörst du Stimmen? Was rufen sie?
Was treibt vorbei?
Wohin bist du unterwegs?
Mach dir Notizen und schreib einen Text über deine Reise mit dem Schiff - oder die Gedanken, die dir dort kommen.
Schreibe eine Flaschenpost
oder falte ein Schiffchen, das du beschreibst und die Donau hinunter schwimmen lässt.
Man möchte meinen, nach zwei veröffentlichten Romanen wüsste ich, wie es geht. Würde souverän planen und das Ding dann zielgerichtet runterschreiben ... ganze Stapel zumeist us-amerikanischer Schreibhandwerksbücher jedenfalls suggerieren, dass das die beste Methode ist. Entsprechend viel ist über den Aufbau, Figurenentwicklung und das Plotten von Romanen schon geschrieben und gesagt worden. Doch da ist auch noch die Theorie der Schreibberatung und die Praxis der Erfahrung: So ganz geradlinig geht es beim Schreiben selten zu. Es ist ein Annäherungsprozess, der irgendwie geleistet werden muss - vor, während und/oder nach dem Schreiben einer Rohfassung. Und auch die Schreibforschung spricht von verschiedenen Schreibertypen. An einem Ende stehen die Strukturfolger: Sie entwerfen zuerst eine Struktur, planen also ihren Text voraus, und folgen beim Schreiben der vorausgeplanten Struktur. Für den Roman heißt das, sich einen Plan von der Handlung zu machen mit Anfang, Mittelteil, Schluss; dazwischen Wendepunkte, Vorausdeutungen, Verwicklungen. Manche Autorinnen fahren gut mit einem Plot-Plan, bei dem nicht nur der grobe Handlungsverlauf festgelegt ist, sondern auch die einzelnen Szenen - ihre Abfolge, der jeweilige Inhalt, Perspektive, Stimmung und Funktion innerhalb des großen Ganzen.
Am anderen Ende der Skala stehen die Strukturschaffer: Diejenigen, bei denen der Weg durch den Text beim Gehen (=Schreiben) entsteht. Da ist viel Versuch und Irrtum, können ganze Textpassagen verworfen, verschoben, grundlegend überarbeitet werden.
Die meisten SchreiberInnen bewegen sich irgendwo dazwischen, die Ideallinie gibt es nicht bzw. ist sie für jedeN individuell. Abhängig nicht nur vom Schreibertyp, sondern auch vom Genre und vom Schreibprojekt. Eine Fantasy-Geschichte mit mehreren, hunderte von Seiten dicken Bänden erfordert einfach mehr Planung als ein 240seitiger Liebesroman. Vielleicht gibt es Genies, die das alles im Kopf zusammenbacken können. Aber die meisten von uns brauchen Planungs- und Gedächtnisstützen dafür - nicht zuletzt, weil das Produzieren von Text auch die Gedanken zum Text formt und umgekehrt. Schreiben ist Entwicklungs-, Lern- und Produktionsprozess zugleich.
Bei meinen beiden ersten Büchern galt es nicht nur jeweils einen Roman zu entwickeln - das Schreiben zog sich über viele Jahre hin und diente auch meiner Schreibentwicklung allgemein. Diese ist sicher nie ganz abgeschlossen, aber ich spüre, dass ich mehr und mehr zu meiner Form finde und damit auch nicht mehr ganz so viel Text verwerfen muss wie am Anfang. Den Erstling "Brot und Bitterschokolade" beispielsweise warf ich - nach dem fundierten, aber auch irgendwie frustrierenden Feedback einer geschätzten Schreibpartnerin - komplett weg und erzählte die Geschichte neu. Zwar gibt es auch den Typus des Versionenschreibers, der den Text bewusst mehrmals neu schreibt und sich so an die perfekte Endfassung annähert. Aber zu diesem Typus gehöre ich nicht.
Beim Zweitling ergaben sich viele Überarbeitungsgänge schlicht aus dem Liegenlassen des Manuskripts. Es ist kein Geheimnis, dass es lange dauern kann, bis man einen Verlag findet - in der Zwischenzeit schlummern die Manuskripte auf der Festplatte vor sich hin und wenn man es dann wieder ausgräbt, fallen einem sofort tausend Sachen ins Auge, die geändert werden müssen. Oder man ändert, weil die Absagen mit Feedbacks dazu verbunden waren, warum das Manuskript (noch) nicht marktfähig ist.
Diesmal will ich es nun also "richtig" machen: Einen Plan aufstellen und dann - innerhalb kurzer Zeit - den Roman schreiben. Das verspricht auch mehr Durchgängigkeit, was die Stimmung, den Stil und die Logik der Figuren anbelangt.
Doch um zu beginnen, brauche ich eine Diskussionsgrundlage - auch wenn ich erst mal nur mit mir selber diskutieren muss. Ich beginne also mit einer Szene, lasse meine Hauptfigur auftreten - ich möchte sie erleben, sie sprechen lassen, bevor ich ihren Charakter in eine Tabelle mit ihren wichtigsten Eigenschaften, ihrem Aussehen und ihrem Werdegang und ihren Wünschen zu pressen versuche.
Dabei investiere ich bewusst in Textarbeit, um mich "heranzuschreiben" an die Figuren und die Handlung. Und auch um herauszufinden, ob die Stimmung trägt, ob ich nach einigen Tagen immer noch weitermachen kann und möchte.
Erst dann mache ich mich daran, die Handlung genauer zu skizzieren. Früher habe ich angehenden Schreiberlingen gern geraten "wenigstens auf ein Ende zu" zu schreiben. Heute würde ich sagen, das reicht nicht. Auch das Dazwischen sollte gut geplant sein. Diesmal versuche ich es systematisch - und bleibe erst mal hängen. Mein Unterbewusstsein braucht einiges an Zeit, um den Stoff aufzubereiten. Zwar schreibe ich einen Anfang, aber dann hänge ich. Aber nicht lange. Ich arbeite mich systematisch vor und nutze dabei ein so genanntes Beat Sheet von Scriptdoktor alias Literaturkaninchen / Daniela J. Pusch, inspiriert von Blake Snyder (und da wären wir wieder bei den us-amerikanischen Schreibgurus, diesmal aus dem Drehbuchbereich)... Andere Plot-Hilfen wie die Heldenreise funktionieren ähnlich. Zumindest aber sollte man sich im Klaren sein, dass eine Geschichte einen Aufbau braucht. Festhalten kann man ihn in dem oben genannten Beat Sheet (das wie ein Fragebogen benutzt werden kann), auf Karteikarten, mit Hilfe einer Schreibsoftware (das ist wieder ein Kapitel für sich) oder als komplette Nacherzählung der Geschichte. Dieser Handlungsaufriss kann während der eigentlichen Textproduktion immer wieder überprüft, angepasst, verfeinert werden.
Nachdem ich das Beat Sheet ausgearbeitet hatte, flutschte es plötzlich - und ich schrieb in relativ kurzer Zeit die ersten 130 Seiten des Romans ... und ich bin zuversichtlich, dass sich die zweite Hälfte ebenso flott realisieren lässt. Ob es geklappt hat, erfahrt ihr hier auf diesem Blog - oder wenn das Buch erscheint :-)
Übrigens: Diesen Text habe ich einfach so "runtergeschrieben". Damit ihr wisst, was ich gerade so treibe und warum es hier so still ist - so viel zu The making of the making of.
vergissmeinnicht
aus deinem garten
und von den wiesen
löwenzahn
meine klebrigen finger banden
die stängel mit gräsern
jetzt ist dein platz unter buchen
meine hände schneiden
das efeu und immergrün
dazwischen vergissmeinnicht
ich zünde die kerze an
und schicke dir einen garten
voll sommerblumen
Seit Tagen hockt Tali auf dem Teppich am Ofen, eine Flasche kaltes Wasser neben sich. Das Feuer ist längst erloschen, und er schützt sich mit einer dicken Decke. Trotzdem zieht ihm der beständig brausende Wind alle Kraft aus den Knochen.
Als Talis große Schwester Afzelia mit dem Vater aufbrach, war der Himmel noch blau und kein Sandkorn am Himmel zu sehen. Also machten sie sich wie vereinbart auf den Weg ins Niburtal, um mit der Aufforstung zu beginnen. Tali weinte vor Wut, weil er nicht mitdurfte. Es dauerte lange, bis das Shuttle in der Weite der baumlosen Steppe verschwunden war. Das Familienfahrzeug, ein alter Wasserstoff-SUV, blieb hier in der Basisstation zurück.
Natürlich hatte man sie vor dem Arekan gewarnt. Tali hofft, dass seine Schwester und der Vater es rechtzeitig bis ins Lager geschafft haben und dass sie dort sicher sind. An Pflanzarbeiten ist im Moment nicht zu denken. Sie können froh sein, wenn ihnen die jungen, wertvollen Setzlinge nicht um die Ohren fliegen; ebenso die leichten Zelte, die ihnen wahrscheinlich als Unterschlupf dienen.
Tali fragt sich, wie lange ihre eigene Behausung noch standhalten wird. Ihre einheimischen Helfer sagen, die Jurten sind für Schlimmeres ausgelegt als diesen Sturm. Er muss einfach glauben, dass sie recht haben. Trocken und schwer greift der Wind nach den dünnen Wänden, dringt durch jedes noch so winzige Loch und bläht das Innere des Zeltes auf, sodass Tali erwartet, jeden Moment samt seinem Teppich in die Höhe gehoben zu werden.
Er zurrt die warme Decke fester um sich. Die Auftraggeber haben einiges investiert, um der Familie den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Doch das Warten macht ihn fertig, er versinkt in seinen Gedanken wie in Treibsand. Was, wenn Afzelia und sein Vater nicht rechtzeitig Unterschlupf gefunden haben? Was, wenn sie im Shuttle eingeschlossen sind? Wie lange können sie mit ihrem kleinen Wasservorrat aushalten? Werden Regierungseinheiten den Ausländern zu Hilfe kommen? Immerhin sind sie intergalaktisch angesehene Experten für Aufforstung. Die Grünen Mauern in China und in der Sahara, das ganze diffizile System aus Neuem Wald, der mit seinem Kohlendioxidhunger den Klimawandel auf Talis Heimatplaneten in Schach hält – dies alles geht auf eine Forschungsgruppe unter der Leitung seines Vaters zurück. Und auch Afzelia ist bereits eine brillante Nachwuchswissenschaftlerin.
Am Zelteingang lehnt Talis Mutter wie ein dunkler Schatten. Durch das Glas seiner Wasserflasche betrachtet, erscheinen ihre Beine in den weiten Hosen fast normal, während ihr Oberkörper zu einem Stecknadelkopf zusammengeschrumpft ist. Erst, als sie näherkommt, tauchen ihre Schultern und ihr Gesicht unverzerrt in Talis Blickfeld auf. Sie geht an ihm vorbei zur anderen Seite des Zelts, wo die Essensvorräte und das Laptop lagern. Nur einmal am Tag fährt sie es hoch, um nachzusehen, ob ihr Mann oder Afzelia sich gemeldet haben. Solange die Sonne verdunkelt ist, sind sie auf die Akkus angewiesen.
Tali kann nicht widerstehen, er schaltet unter der Decke sein Tablet an und ruft die Karte auf, die das Einsatzgebiet der Aufforstungsgruppe zeigt: Irgendwo dort draußen müssen sie sein. Auf einer der dunklen Inseln, die das letzte Land markieren, das noch nicht von beigefarbenem Sand bedeckt ist. Mit jedem Arekan wie diesem wird die Lage aussichtsloser. Und wie immer hat die Regierung gewartet, bis es beinahe zu spät ist.
Talis Mutter seufzt. Er hört, wie sie das Laptop zuklappt und in den Essensvorräten wühlt. Dann kommt sie zu ihm herüber und reicht ihm einen Teller mit kaltem Fleisch und Brot. Als Tali hineinbeißt, knirscht es. Seit Tagen ist jedes Essen mit feinem Sand durchtränkt wie von einer ätzenden Flüssigkeit.
"Es macht mich wahnsinnig, dass ich nichts tun kann", murmelt Talis Mutter. Mehr zu sich selbst als zu ihrem Sohn, von dem sie glaubt, dass er zu jung ist. Dann streckt sie sich ebenfalls auf dem Teppich aus, kaum einen Meter von ihm entfernt. Bald schläft sie ein – zum ersten Mal, seitdem der Sandsturm tobt.
Tali hingegen bleibt hellwach. Unter der Decke greift er nach seinem Rucksack, schiebt die noch volle Wasserflasche hinein, Fleisch und Brot, das Taschenmesser. Der SUV-Transponder steckt schon seit Tagen in seiner Hosentasche. Er wartet, bis der Sturm kurz Atem holt. Dann schlüpft er hinaus in den Schatten der Jurte.
inspiriert von der Ausstellung EAM - Science meets fiction
Mehr schreiben als reden.
Mehr spüren als hoffen.
Mehr tanzen als sitzen.
Mehr singen als schweigen.
Mehr umarmen als händeschütteln.
Mehr buntes Gemüse.
Mehr leben als alles andere.
Es heißt ja SchreibWERKSTATT und das kann man ruhig wörtlich nehmen: Kurz vor Weihnachten und zwischen den Jahren habe ich hier umgebaut, gebohrt und geschraubt. Auf das Ergebnis bin ich mächtig stolz. Endlich habe ich eine Lösung gefunden, bei der ich meinen einsamen Schreibplatz mit wenigen Handgriffen in einen Gruppenraum für sechs Personen (plus Leitung) verwandeln kann und wieder zurück. Es gibt eine große, weiße Tischplatte (analog zum inspirierenden weißen Blatt) und einen süßen kleinen Anbautisch aus Naturholz mit den perfekten Maßen, den ich je nach Bedarf dazu- oder wegstellen kann.
Gleich nach Silvester setzte ich einen Neujahrsvorsatz um und dübelte das Whiteboard an die Wand, welches bisher auf einer wackeligen Pseudo-Staffelei gestanden und dabei viel Platz gefressen hatte. Nach den wenig ermutigenden Worten meines Vermieters wollte ich schon wieder aufgeben - aber nur beinahe, denn mein handwerklicher Ehrgeiz war entfacht. Ich packte also die Schlagbohrmaschine aus, die ich anno 1995 als Studentin bei einem Discounter erstanden habe - nicht gerade das Highlight unter den Bohrgeräten. Auch mein Bohrersatz ist schon ziemlich abgenudelt ... schließlich brauche ich beides nur alle heiligen Zeiten. Dann nehme ich mir regelmäßig vor, mich endlich besser auszustatten. Was ich nach erfolgreicher Heimwerkerei schnell wieder verdränge.
Bei dem ersten Dübelloch fühlte es sich an, als würde ich mit einem Zahnstocher in einem Stahlträger popeln. Doch immerhin löste sich kein tellergroßer Krater aus dem Putz (das, was ich am meisten fürchte). Vielmehr dauerte es 20 Minuten, bis ich das Bohrloch weit genug vertieft und verbreitert hatte - ich fange immer mit dem kleinsten Durchmesser an, egal wie dick der Dübel ist. An der rechten oberen Ecke wiederholte sich das Ganze: gefühlter Fels, 15 Minuten. Dafür befand sich rechts unten offenbar nur Luft. 20 Sekunden und ein Hauch von Ziegelstaub. Erst das vierte Loch leistete nicht zu viel und nicht zu wenig Widerstand.
Es grenzt an ein Wunder, dass die Dübel 1.) halten und 2.) auch noch an den richtigen Stelle sitzen: Versucht ihr mal, mit zwei Händen eine 120 x 90 cm große Platte einigermaßen waagrecht an die krumme Wand zu halten (aber so, dass nicht das ganze Gewicht an dem ersten, einzigen Dübel hängt) und gleichzeitig noch die Bohrlöcher für die drei anderen Ecken mit einem Bleistift anzuzeichnen ... Doch was soll ich sagen: Nach zwei Wochen hängt das Dingens noch immer fest im Blickfeld der Kursteilnehmenden. Allerdings ist es an der Wand ein wenig dunkel. Das nächste Projekt steht also schon ins Haus: Mission "Beleuchtung". Vielleicht lege ich mir dann endlich mal einen neuen Satz Bohrer zu.
Verleger und Agenturen sollte man am besten drei Monate vor und drei Monate nach der Buchmesse nicht ansprechen. So habe ich das mal auf einem Autorenseminar gelernt. Also am besten gar nicht - im Frühjahr ist ja Leipzig und Frankfurt im Herbst. Und unverlangt eingesandte Manuskripte gehen gar nicht.
Ein Glück, dass ich mich nicht daran gehalten habe!
Ende September schickte ich mein zweites Buchprojekt auf die Reise - und erhielt genau einen Tag vor der Frankfurter Buchmesse das Verlagsangebot von forever, dem digitalen Imprint der Ullstein Verlage. Gleich am nächsten Tag rief ich dort an, aber natürlich war die Lektorin schon unterwegs zur Messe. Und ich blieb erst mal allein mit meinen Fragen und meiner Freude. Doch schon am Tag nach der Messe bekam ich eine Mail von meiner Lektorin, wir vereinbarten einen Telefontermin und dann ging alles rasend schnell: Lektorat, Korrektorat, Abstimmen von Klappentext, Autoreninfos und Coverentwürfen - gut einen Monat später ging mein Roman in Produktion.
Das ebook erscheint am 4. Dezember, die Taschenbuchausgabe folgt am 12. Januar 2018. Die Aussicht auf eine Printausgabe macht mich total glücklich - denn auch wenn ich finde, dass mein Buch super in das digitale Programm des Verlags passt: Ein Buch ist eben ein Buch. Ihr wisst schon. Das weiche Geräusch der Seiten beim Umblättern, das Gefühl von Papier an den Fingern, der Geruch nach Druckerschwärze ... Und es ist toll, wenn man bei Lesungen auch etwas zum Vorzeigen hat. Das macht es so REAL. Bin ich jetzt wirklich Autorin? Ich glaube, viele - auch gestandene - Schriftstellerinnen fragen sich das immer wieder. Doch immerhin erscheint nun schon mein zweites Buch. Also bin ich Autorin - bis auf weiteres für immer, wie es aussieht :-)
Worum es in dem Buch geht? Eine Niederbayerin verliebt sich in einen friesischen Teehändler. Mehr darüber auf den Seiten des Verlags: Bis auf weiteres für immer. Roman
Ich liebe Technik. Vor allem, wenn sie funktioniert. Und für einen Autor ist ein Drucker essentiell - denn er erledigt ja heute in den meisten Fällen das eigentliche "Schreiben" im physikalischen Sinn. Das Wort Manuskript kommt zwar von handgeschrieben, jedoch entstehen professionelle Manuskripte heute ausnahmslos auf einem Drucker (und die meisten Verlage und Agenturen nehmen zur Prüfung eines Veröffentlichungsangebots immer noch lieber Ausdrucke als Dateien entgegen). Auch jeder Diplomand und jede Bacherlorkandidatin kann ein Lied davon singen, wie lästig es ist, wenn kurz vor dem Abgabetermin spätnachts der Drucker versagt. Zeit, diesem Gerät mal wieder eine Würdigung zukommen zu lassen.
Durch Zufall habe ich heute einen Artikel wiedergefunden, den ich 2012 auf meinem alten Blog meinem Drucker gewidmet habe. Es handelte sich um einen bereits damals über 10 Jahre alten Brother HL-1450. Und was soll ich sagen - nicht nur läuft das Ding immer noch bei mir zu Hause, ich habe mir zwischenzeitlich sogar für mein Schreibatelier noch einen zweiten angeschafft. Gebraucht natürlich, für gut 30 Euro. Damit kostete er nicht mal ein Zehntel des heimischen Geräts. Nur mit dem Verbrauchsmaterial ist es so eine Sache. Eine Tonerkartusche für den Laserdrucker liegt gerne mal im dreistelligen Bereich, wenn man nicht auf ebay irgendwelche Restbestände erhascht. Genauso die Druckertrommel, die auch regelmäßig ausgetauscht werden muss. Immerhin habe ich inzwischen rausgefunden, wie man die Tonerkartusche GANZ leer macht: indem man den Sensor überklebt, der schon den Druckerstillstand einleitet, wenn eigentlich noch Farbe für hunderte von Seiten drin ist... doch irgendwann ist wirklich Sense und dann habe ich schon mal Material erwischt, das grottenschlechte Ausdrucke produziert. Eine Weile lang beglückte ich daher meine Kursteilnehmer mit grauschleierigen, nicht ganz farbechten Handouts und entschuldigte mich jedes Mal damit, mein Drucker gebe langsam den Geist auf. Dem war aber nicht so: Nach der Anschaffung des nagelneuen Farbgeräts (mit Scanner, Kopierfunktion und allen Schikanen) stellte ich fest: Es lag - wieder einmal - am Verbrauchsmaterial. Nachdem ich wieder Originalteile ohne Lagerschäden eingesetzt habe, produziert der gute alte Laser von neuem gestochen scharfe Ausdrucke - gut und günstig für größere Textmengen.
Den neuen Mehrfarbigen nutze ich nun gerne für Flyer und kleine Plakate. Und meine Kursmaterialien werden künftig nicht nur sauberer, sondern auch bunter aussehen :-)
Türkisblaues Wasser, die Weinberge, der weite Blick, sanftes Schaukeln auf dem Wasser während einer Minikreuzfahrt, ein Glas Rosé bei Sonnenuntergang.
Urlaub am Bodensee - eine traumhafte Woche. Aber.
Ich habe die erste Woche der bayerischen Sommerferien erwischt. Und natürlich herrscht reger Betrieb. Überall quengelnde Kinder, gequälte Eltern, mäkelige Mittelalte am Fähranleger, an der
Seilbahn-Talstation, der Aussichtsterrasse, der Museumskasse. Und ich selber mittendrin. Plötzlich kommen sie mir gar nicht mehr so glücklich vor, die anderen und ich - sondern vielmehr kindlich
und verweichlicht: Wir haben Urlaub und alles soll schön sein. Missempfindungen haben da keinen Platz, sofortige Bedürfnisbefriedigung ist angesagt. Noch ein Eis, ein Stück Kuchen oder
Mittagessen an einem schönen, ruhigen Platz... und hundert andere Menschen, die sich das Gleiche wünschen. Ich spüre, wie auch mich ein Sog erfasst. Es tut mir gar nicht so gut, mich "einfach
treiben" zu lassen - mein innerer Kompass ist noch vom Alltag zugemüllt.
Dabei möchte ich einfach nur zur Ruhe kommen. Zu mir. Spätestens das ist der Moment, in dem ich mich ans Schreiben erinnere. Erst halte ich ebendiese Empfindungen fest. Dann das, was um mich
herum geschieht. Ich beobachte die Menschen, die kommen und gehen. Wie sie aussehen, wie sie sich verhalten. Woher sie kommen, wie sie auf mich wirken. Und die Räume um mich her. Die Worte
verankern mich in der Realität und gleichzeitig schaffe ich mir einen Gedanken-Raum, in dem ich ganz bei mir selber bin - egal, wie dicht die Tische um mich herum besetzt sind. Und ich werde
ehrgeizig bei der Suche nach dem richtigen Wort, der richtigen Beschreibung. Welche Farbe haben diese Sessel im Hotel? Ermattetes Weinrot, Flaschengrün? Und die Bar - ist das
Klavierlackimitat?
Urlaub heißt ja: Sitzen und Beobachten können, ohne besonderes Ziel. Dann steigen Gedanken, die sonst vom Alltag zugedeckelt sind, an die Oberfläche. Ideen, Programmatisches. Sehnsüchte und
Selbsterkenntnisse. Und vielleicht auch ein bisschen Poesie. Oder, ganz pragmatisch: Beschreibungen und Szenen, die sich später in einem Text verwenden lassen. Vielleicht sogar der Ausgangspunkt
für eine Kurzgeschichte oder eine spannende Figur.
Im Alltag funktioniert es auch - das habe ich letzte Woche in meiner Schreibwerkstatt wieder erlebt. Zehn Schreibbegeisterte schwärmten aus, um den Sommer in der Stadt zu schreiben - und kamen
mit wunderbar detailreichen, feinen Beobachtungen zurück. Und wenn es nur ein Wolkenfeld ist, das der Wind südostwärts treibt.
Mal ganz ehrlich: Wem fällt es schon leicht, "Geduld" zu haben? Schriftstellerinnen brauchen jede Menge davon. Von den zarten Schreibanfängen - oft schon in der Grundschule - bis zur ersten Veröffentlichung kann ein halbes Leben vergehen.
Mark Twain soll mal gesagt haben, dass man zum Schreiben nur ein bisschen Talent braucht, aber ganz viel Sitzfleisch. Allein bis so eine Geschichte überhaupt ausgedacht ist, fließt viel Tinte den Erzählfluss hinunter. Bis man sie als lesbar bezeichnen kann, braucht es möglicherweise mehrere Überarbeitungsgänge. Fertig ist man sowieso nie wirklich.
Nach all der Zeit im stillen Kämmerlein kann man schon mal Zweifel am eigenen Text bekommen: Ist das Bullshit oder einfach nur genial? Normalerweise ist es irgendwas dazwischen. Dann heißt es, die Kritik sorgfältig abzuwägen - und sich nochmal dranzusetzen. Irgendwann ist es dann an der Zeit, das Geschriebene in die Welt hinauszuschubsen wie ein Kind, das langsam flügge wird. Es an Agenturen und Verlage zu schicken. Dann heißt es wieder: Warten. Geduldig sein. Denn es gibt unendlich viele Menschen, die gut schreiben und deren Manuskripte sich auf den Schreibtischen der Literaturverantwortlichen stapeln. Manche von denen reagieren überhaupt nicht - mit oder ohne Ansage: "Wenn wir uns innerhalb von 3 (respektive 4, 5, 6 Monaten) nicht melden, gehen Sie bitte davon aus,dass wir kein Interesse haben..."
Einige sind aber in der Lage, innerhalb von ein bis zwei Monaten eine Rückmeldung zu geben. Und einige wenige antworten nach langer, langer Zeit. Mein persönlicher Spitzenreiter liegt bei eineinhalb Jahren Reaktionszeit. Unnötig zu erwähnen, dass es sich um eine Absage handelte. Aber immerhin um eine Antwort.
Im Falle einer Zusage dauert es wieder eine Weile, bis das Manuskript auf den Markt kommt. Immerhin ist in dieser Zeit auch einiges zu tun: Die Abstimmung des Buchcovers, Klappentext, Lektorat ... und zum Schluss die endgültige Druckfreigabe. Und dann: Wieder warten, bis das Buch erscheint und wie es sich verkauft.
Dann warten auf die nächsten Einfälle. Kreative Geduld. Den Geist öffnen. So tun, als ob man gar nicht wartet. Denn geniale Ideen hüpfen nicht frontal durchs Bild. Sie sind zart und durchscheinend wie Seepferdchen, und sobald man nach ihnen greift, verblassen sie vielleicht. Man ist drauf angewiesen, dass sie als mentaler Beifang ins Netz gehen.
Zum Glück haben wir keine Wahl: Wir müssen schreiben. Egal ob es öffentlich wird oder nicht. Die ausgedehnten Phantasiereisen meiner Kindheit unternahm ich schließlich aus Lust am Märchenerfinden und Träumen. Zu diesen Träumen gehörte es auch, eines Tages Schriftstellerin zu sein. Offenbar war ich geduldig genug ...
Natürlich bereite ich mich so gut wie möglich auf Lesungen vor. Aber irgendwas ist ja immer - und dann heißt es Improvisieren. Inzwischen mag ich diese Situationen, sie sind das Salz in der Suppe und bringen das Publikum zum Lachen. So wie neulich bei der Lesung im Literaturbrettl, als ich die Textstelle vorlas, an der Gavin - der bitterschokoladenfarbene Labrador - sich mit einem "Wuff" in die Handlung einführt. Just in diesem Moment ließ die Kellnerin etwas fallen.
Bei einer anderen Lesung verlor ich kurz die Textstelle - woraufhin ein Gast mich freundlich fragte: "Sollen wir das Licht einschalten?" Ich las in einem ehemaligen Klassenzimmer neben großen Fenstern und hatte noch gar nicht gemerkt, dass es draußen inzwischen ziemlich dunkel geworden war.
Jede Störung ist ein willkommener Anlass, mit dem Publikum in Interaktion zu gehen oder schlicht kurz innezuhalten. Oft ergibt sich wie von selbst ein Bezug zwischen Text und Wirklichkeit. Je nach Veranstaltungsort ist Wirtshauslärm zu hören, Vögel zwitschern (sehr stimmungsvoll, wenn man Gedichte vorliest), Glocken läuten. Unwägbarkeiten gibt es viele und es ist super, wenn man es schafft, das spontan in seine bzw. ihre Lesung einzubauen.
Allzu Schlimmes habe ich zum Glück noch nicht erlebt. Weder fiel der Strom aus (und wenn schon - ein Grund, um Kerzen aufzustellen!), noch beschimpfte mich das Publikum. Sollten die Leute einmal nicht nett zu mir sein, werde ich sicherlich auch das bewältigen. Doch dazu gibt es eigentlich keinen Grund; meist steht einem das Publikum sowieso wohlwollend gegenüber.
Am schlimmsten wäre es wohl, ich würde meine Textblätter oder das Buch vergessen, aus dem ich vorlesen möchte - ich glaube, das ist ein wiederkehrender Alptraum der meisten Schriftsteller. Dabei fällt mir auf: Ein Schauspieler kann zwar auch den Text vergessen, aber immerhin hat er sein Hirn immer dabei... ich würde dann vielleicht das Smartphone zücken und aus meinem Blog vorlesen. Oder mir ein Buch vom Büchertisch holen. Schlimmstenfalls müsste ich etwas erfinden ...
Doch egal was passiert: Als Schriftstellerin hat man ja immer die Möglichkeit, sich später zurückzuziehen und alles schreibend zu verarbeiten :-)
Schon mehrmals durfte ich in der Jury eines Schreibwettbewerbs mitwirken. Ein hoch spannendes Ehrenamt, bei dem man selber auch viel lernt. Zum Glück erledigt man diese Arbeit nicht alleine, sondern zusammen mit anderen Jurymitgliedern, die sich meist aus Autoren und den Organisatoren des Wettbewerbs zusammensetzt. Dabei stellen die Jurymitglieder ihre eigenen Lesevorlieben hinten an, doch natürlich gibt es keine 100prozentige Objektivität bei Texten und es wird über manche Texte intensiv diskutiert, bis ein Ergebnis gefunden ist, das alle mittragen können.
Wie "streng" die Jury mit den Texten ist, hängt auch davon ab, welchen Anspruch und welche Absicht der Wettbewerb verfolgt. Ein paar inhaltliche und formale Grundregeln sollte man aber bei jedem Wettbewerb beherzigen:
"Aber natürlich", werdet ihr jetzt einwenden, "das ist doch selbstverständlich." Trotzdem sieht man manchen Texten an, dass sie schon lange auf der Festplatte schlummern und nur für diesen Wettbewerb zurechtgedengelt wurden. Das kann funktionieren, wenn man zufällig einen passenden Text parat hat oder das Thema weit gefasst ist, doch meistens spürt man als Jurymitglied, ob der Autor wirklich etwas zu dem Thema zu sagen hat oder ob es sich um einen Schubladenfund handelt.
Genauso wenig nutzt es, ein Gesamtwerk einzuschicken, das die Längenvorgabe überschreitet und bei dem es der Jury überlassen bleibt, sich was Passendes herauszusuchen. Hier gilt das Gleiche wie zuvor: Es ist der Job des Autors, einen Text einzusenden, von dem er überzeugt ist, dass er passt. Fällt euch die Auswahl schwer, nehmt einfach den oder die besten. Oder schreibt einen brandneuen, individuellen Beitrag. Ein Wettbewerbsthema kann eine spannende Schreibanregung sein.
A propos Längen- und Mengenvorgabe: In der Ausschreibung steht meistens ganz genau, welchen Umfang die Beiträge haben sollen - entweder in Normseiten oder durch Vorgaben wie Schriftgröße und Zeilenabstand. Was eine Normseite ist, lässt sich einfach herausfinden, zum Beispiel hier.
Gerade bei kleineren Schreibwettbewerben ist die Jury sicher nicht so streng und lässt ein paar Zeilen mehr auch durchgehen, wenn der Beitrag ansonsten überzeugt. Aber randlos in Schriftgröße 9 vollgequetschte Seiten - das fällt auf und nervt. Wenn man mehrere Texte einsenden darf, z.B. bei Gedichten, sollte man sich auch an die Maximalzahl halten.
Die angenehmsten Manuskripte sind mit dem Computer in schwarz auf weiße DIN A 4 - Blätter ausgedruckt oder - ja, auch das gibt es noch - maschinengeschrieben, halten die Formatvorgaben ein und verzichten auf aufwändige Formatierungen. Natürlich kann der Text es erfordern, dass Stellen fett oder kursiv hervorgehoben werden. Aber dann bitte sparsam und einheitlich - und am liebsten nur in einer einzigen, gut lesbaren Schriftart wie Times New Roman oder Arial. Das ist nicht langweilig, sondern schlicht lesefreundlich und lenkt den Blick auf's Wesentliche: Auf die Poesie der Worte, die spannende Handlung oder die überraschende Perspektive des Textes.
Ach ja: Illustrationen und Fotos sind ebenfalls tabu, wenn der Wettbewerb nicht explizit danach verlangt.
Es gibt Schreibwettbewerbe, bei denen Regionales im Vordergrund steht. Hier können dramatische, biografisch inspirierte Erlebnisse (etwa der Kriegs- und Nachkriegsgeneration) goldrichtig sein, weil sie ein Stück Regionalgeschichte sind. Doch selbst diesen Texten schadet es nicht, wenn sie den Grundregeln des Schreibhandwerks folgen - und noch viel mehr gilt das für Fiktion und bei Wettbewerben mit einem halbwegs literarischen Anspruch. Das Schreibhandwerk umfasst Themen wie Plot (Handungsaufbau), Figuren, Perspektive, den Umgang mit Erzählzeit und Zeitsprüngen, Sprache, Stil und vieles mehr. Um das zu lernen, gibt es Kurse, Bücher und kostenlose Ratgeber im Internet.
Und sucht euch Testleser - am liebsten welche, von denen ihr wisst, dass sie selbst viel lesen und ehrlich zu euch sind. Sie werden vielleicht die Theorie nicht kennen, aber sagen können, ob sie den Text spannend fanden, ob sie sich mit den Figuren identifizieren können und warum. Seid offen für Kritik und entwickelt ein Gespür dafür, welche ihr annehmen wollt (weil sie dem Text gut tut) und welche nicht - und dann setzt euch, nach dem anfänglichen Schock, auf den Hosenboden und überarbeitet den Text noch einmal gründlich - bis hin zur Rechtschreibkorrektur. Denn wie soll ein Text, bei dem es schon an den Grundlagen mangelt, die Jury überzeugen?
Ähnliches gilt übrigens auch, wenn ihr Texte an Verlage und Agenturen einreichen wollt. Verschießt euer Pulver nicht zu früh. Arbeitet an euch und euren Texten. Es ist ein Handwerk und kein Geschenk, das irgendwie vom Himmel fällt.
Bei vielen Wettbewerben gibt es nicht nur einen mehr oder weniger hoch dotierten Preis, sondern mehrere, oder es winkt die Veröffentlichung in einer Wettbewerbs-Anthologie. Und das zu schaffen, ist nicht so schwer - die meisten Autoren und Autorinnen haben so angefangen.
Aber Vorsicht: Schaut euch die Ausschreibung genau an - für viele Verlage (die ihr nicht in eurer Lieblingsbuchhandlung finden werdet) sind die Anthologien ein Selbstzweck und die Exemplare werden überwiegend von den Autoren und Autorinnen selbst gekauft (manchmal muss man sogar Pflichtexemplare kaufen, und Honorar gibt es sowieso nicht). Ein Indiz ist, wenn kein Preisgeld ausgelobt ist und der Verlag ausschließlich Anthologien herausbringt. Trotzdem macht es natürlich Freude, sich zum ersten Mal gedruckt zu sehen - wenn die Anthologie dann noch schön gemacht ist, kann man ja ein paar davon an Freunde und Verwandte verschenken. Doch übertreiben sollte man es damit nicht.
Mein Erstling Brot und Bitterschokolade handelt von einer Frau auf der Suche nach Liebe und einem Mann am Beginn einer neuen Existenz. Beide haben Schwieriges hinter sich, das die Annäherung erschwert. Doch im Grunde führen beide ein ganz normales Leben: Meine Figuren sind Menschen wie du und ich, und ich wünsche mir, dass ihre Geschichte die Leser (die in der Mehrzahl Leserinnen sind) berührt und für eine Weile unterhält.
Kann man in der heutigen Zeit noch sowas schreiben? Wo doch die Welt aus den Fugen zu geraten scheint? Dürfen die eigenen Figuren unbehelligt sein von den Trumps und Putins dieser Welt, von Bomben und Terroristen, die Alltagsdinge wie Brauereilastwägen mit mörderischer Absicht in belebte Einkaufsstraßen steuern?
Meine Protagonisten sind natürlich auch von dieser Welt und leben in ihr: Gina hat in Kolumbien gelebt und schenkt einer Bettlerin aus Osteuropa Geld und Essen; Marvin bemüht sich laut eigener Aussage "wieder ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft zu werden" - was er eine Weile nicht von sich behaupten konnte. Doch das ist nur der Hintergrund der Liebesgeschichte, es wird nicht zum Hauptthema. So wie die meisten von uns einem Alltag nachgehen, trotz oder gerade wegen der Hiobsbotschaften, die uns tagtäglich erreichen, trotz der kleinen und größeren persönlichen Tragödien, die jede(n) von uns im Lauf des Lebens ereilen. Die Romanhandlung blendet die Welt nicht aus, doch die Weltsicht meiner Figuren ist in dem Ausschnitt ihres Lebens, den ich für die Romanhandlung gewählt habe, vollkommen subjektiv und auf sie selbst bezogen.
Ich schreibe nicht nur, ich lese auch gerne Unterhaltungsromane. Auch sie erzählen ja oft von Krisen (ohne Konflikte keine Handlung), führen die Figuren durch Höhen und Tiefen und durch eine Entwicklung, die sie oft am Ende glücklicher erscheinen lässt als zu Beginn. Das gibt mir Freude und Hoffnung - so, wie ich auch guten Freunden nur das Beste wünsche und mit ihnen mitleide, wenn das Leben es mal nicht gut mit ihnen meint. Ich denke, das ist Ausdruck von Empathiefähigkeit und nicht zuletzt rühren gut erzählte Geschichten auch an eigene Erinnerungen und Lebenswünsche. Ein schön geschriebener Unterhaltungsroman lässt mich für eine Weile abtauchen in eine andere Welt.
Das ist einfach nur gesund und hilfreich - jedenfalls für mich. Anschließend stelle ich mich gerne wieder der Realität, gestärkt von dem Genuss einer guten Geschichte und vielleicht auch nachdenklich darüber, was das Leben so bereithält. Es geht mir gut, wenn ich aus der Lektüre auftauche, und ich bin zuversichtlich, dass sich wandeln kann, was vorher problematisch schien.
Letzte Woche erhielt ich dazu eine berührende Rückmeldung: Nach meiner Lesung in Tegernheim erzählte mir eine ältere Dame von ihrer Kriegskindheit in Regensburg und wie genau sie sich noch an die Kampfflugzeuge erinnere, deren Ziel die Messerschmidt-Werke im Westen waren - und wie schrecklich es war, als dabei auch Bomben auf ihre eigene Wohngegend niedergingen.
Jetzt habe sie genug von schlimmen Geschichten. Ich solle weiterschreiben, damit ich wiederkommen und etwas vorlesen könne.
In seinem Bonsaigehirn verwahrt er das uralte Wissen. Von einer Generation zur nächsten wurde es weitergegeben, und er ist der letze seiner Art. Er weiß nicht, dass sie ihn künstlich klein halten, ihn von allen Außeneinflüssen abschotten. Er soll sich ganz auf die alte Kunst konzentrieren und ein letztes Mal das Meisterwerk erschaffen - streng in der Form, überraschend in der Wirkung.
Das letzte Haiku - es soll vollkommen sein, danach wird es nichts mehr geben. Es soll das Wissen der Welt in sich vereinen, die Herzen der Diktatoren erweichen, zwischen siebzehn Silben alle Jahreszeiten bergen. Es soll zart sein wie ein Brautschleier, scharf wie ein Schwert und durchschlagend wie ein Meteorit. Sie haben nur eines vergessen, als sie ihn im Elfenbeinturm einschlossen: Wer die ganze Welt in einem Gedicht einfangen will, sollte auch in ihr gelebt haben.
auf dem Grund des Meeres ruht das Herz der Stille
ich atme im Takt der Strömung
weit oben am Horizont
ziehen die Schiffe
sie wissen nichts
von mir
ich sinke
ich sinke tiefer
in den Meeresboden
glutrotes Zischen steigt auf
durch meine Hände rinnt Lava
ich sinke der schmelzenden Zeit entgegen
Das Zugabteil, ein magischer Raum
voller Möglichkeiten:
die Ankunft, die Wagenreihung,
der Einstieg, die Abfahrt.
Die Suche nach dem reservierten Sitz
Platz nehmen, Zeit haben.
Die Jacke, der Koffer, der Rucksack, die Thermoskanne.
Am Fenster sitzen, ja:
Der Platz neben mir ist noch frei.
Bis eben.
Mit eng an den Körper gedrückten Ellenbogen
das Notizbuch aus der Tasche nesteln.
Den Blick in die Landschaft schicken
und dann so schreiben
als ob niemand mitlesen könnte.
Die Intimität des Mitlesens ist größer als die des Mithörens
Gedanken auf Papier geheimnisvoller
als jedes Handygespräch.
Dialog mit dem Unbekannten.
entstanden an einem poetischen Novembertag mit Barbara Krohn
Zeit, mal wieder einen Blogartikel zu schreiben: In den letzten Tagen haben einige Menschen auf meine Webseite gefunden, und es passiert gerade so viel in meinem Leben... über was soll ich schreiben? Ich lege die Finger auf die Tastatur und schreibe einfach los. Das empfehle ich übrigens allen, die gerne schreiben wollen. Die Idee ist natürlich nicht von mir und es klingt einfach, aber man kann es nicht oft genug üben. Manchmal sitze ich im Café oder warte auf mein Mittagessen, und dann kritzle ich in mein Notizbuch. Oder ich packe auf einer Parkbank in der Sonne mein Schreibzeug aus. Dabei spazieren die Ereignisse der vergangenen Tage aufs Papier, Gedanken können sich entfalten, Ideen kommen. Und ich werde mir bewusst, was mich traurig oder fröhlich gemacht hat, was mich ärgert oder freut. Wenn ich "vergesse" zu schreiben, fehlt etwas: Nach einer Weile stellt sich eine gewisse Unzufriedenheit ein.
Vielleicht sollte ich auch jetzt irgendwo sitzen und diese Gedanken einfach nur meinem Buch anvertrauen. Stattdessen teile ich sie hier mit dir, mit Ihnen.
Nach erfüllten Wochen komme ich zu mir: Ein Highlight war natürlich die Buchpräsentation meines Romans Brot und Bitterschokolade im Literaturcafé. Über vierzig Menschen kamen - so viele freundliche, mir wohlgesonnene Zuhörer und Zuhörerinnen! Viele davon begleiten mich und mein Schreiben schon sehr, sehr lange. Was für ein Fest, ein Willkommensfest für mein Buch!
Ebenso sehr freute ich mich über die unbekannten Gesichter. Bedeuten sie doch, dass mein Buch auch unabhängig von meiner Person Interesse auf sich zieht. Und das wünsche ich mir natürlich auch; dass letztlich die Qualität überzeugt bzw. der persönliche Geschmack zugunsten meines Romans entscheidet. Freundinnen und Freunde sind dabei natürlich nicht ganz unparteiisch :-) Zum Glück zählen zu meinem Freundeskreis auch kritische Testleserinnen, die mich bewogen, eine frühere Version des Manuskripts komplett zu verwerfen - und die Geschichte so zu erzählen, wie sie jetzt ist. Denn dass ich sie erzählen wollte, stand außer Frage.
Und nun fand ich mich damit nicht nur auf der Lesebühne, sondern auch in einer Zeitungsredaktion (zum Interview) und mit einem Filmteam auf der Mariaorter Eisenbahnbrücke wieder, einem Schauplatz meines Romans. Das Ergebnis findet sich hier bei TVA.
Der Verlag tut wirklich alles, um mein Buch ins Rampenlicht zu rücken. Ich selber rücke mit - und stelle fest, dass es mir Spaß macht! Natürlich habe ich vor jeder Lesung oder Interviews Lampenfieber. Doch dann geht es meist erstaunlich leicht. Als hätte ich nie etwas anderes gemacht :-)
Und ich bin froh, dass ich nicht wirklich "berühmt" bin. Dass ich einen Alltag habe, in dem niemand mich auf der Straße erkennt und um ein Autogramm bittet, und dass mein ganz "normaler" Job mich erdet.
Sich feiern zu lassen, ist eine Kunst. Ich lerne sie gerade. Jetzt geh ich erst mal Kaffe Kaffeetrinken. Nur ich und mein Notizbuch.
Am gestrigen Sonntag habe ich an der Lesung im Leeren Beutel teilgenommen. Zuvor war ich in der Galerie, um die Bilder auf mich wirken zu lassen. Einige davon sehr bunt, sehr lebendig, mediterran. Andere erzählen kleine Bildergeschichten ...:
Es ist sechs Uhr morgens.
Herr Tüftel duscht im Regen.
Das ist schön.
Herrn Tüftels Dusche funktioniert nicht mehr.
Nur der Fernseher.
Also nimmt Herr Tüftel die Wolke mit nach Hause und duscht sich dort weiter.
Die Wolke hat verschiedene Programme.
Sie kann:
Sanft duschen
Massageduschen
Trockenduschen
Zimmerregen - das ist gut für die Pflanzen -
Peeling mit Hagelkörnern und noch vieles mehr.
Herr Tüftel duscht vor dem Fernseher und hat Glück:
Die Sicherung fliegt raus.
Der Strom kommt nicht wieder und auch der Regen ist ausgefallen.
Die Vierzig-Grad-Wäsche bleibt heute liegen.
Herr Tüftel nutzt die Regenpause zum Frühstücken.
Als der Regen wieder einsetzt, steigt Herr Tüftel in sein U-Boot und fährt los.
Er fährt durch die Wüste.
Es regnet.
Er fährt durch den Wald.
Es regnet.
Er fährt durch den Fluss.
Es regnet.
Er fährt über Wolken.
Es regnet.
Er fährt durch ein Dorf.
Dort gibt es ein Haus und einen Baum.
Es regnet.
Um neun Uhr erreicht Herr Tüftel die Baustelle.
Im Trockenen.
Ausnahmsweise.
Herr Tüftel schiebt schwarze Lava zu einem weißen Sandkieshaufen.
Zwischendurch setzt er seinen Helm auf und misst den Abstand zwischen beiden.
Gegen Mittag: archäologisch bedeutsame Funde.
Die Baustelle ruht.
Herr Tüftel geht zum Mittagessen.
Das Essen dampft.
Herr Tüftel schrumpft.
Es ist genug zu trinken da.
Am Nachmittag eilt Herr Tüftel zu seinem Nebenjob:
Fahrzeugtester in einer Oase.
Ein Motorroller
Ein Tretroller
Noch ein Tretroller
Ein Golfbuggy
Ein Bobbycar.
Der Rest ist Fata Morgana.
Vor allem die fahrbare Herdplatte mit dem Teekessel drauf.
Der letzte Roller verwandelt sich vor Herrn Tüftels Augen in einen Cadillac.
Herr Tüftel erwacht.
Es ist schon wieder neun Uhr.
Ein schwarzer Lavahaufen versperrt die Straße, die voller Motorroller ist.
Herr Tüftel drückt sich den Helm fest aufs Haupt und rennt - eine dreistöckige Torte balancierend - zwischen den glänzenden Gefährten hin und her.
Es regnet nicht mehr.
Der Drill beginnt am Morgen.
Den Startschuss macht der Wecker.
Schnell links aus dem Bett gerollt.
Robben zum Kaffeekocher.
Intensives Zähneschrubben unter dem harten Strahl der Dusche.
Heftiges morgendliches Gefecht mit dem Gatten: Touché.
Dritter Stock runter.
Rauf aufs Fahrrad, schon wieder zu spät.
Rote Ampel mit Blick auf Blaujacken umfahren.
Treppen hochspringen.
Kotau vor dem Chef.
Harter Handkantenschlag auf den defekten Computer.
Einarmiges Reißen des Telefonhörers.
Endlich Pause.
Büroschlaf
So langsam gewöhne ich mich wieder an mein normales Leben. Doch was heißt normal? Nach einem Monat voller künstlerischer Freiheiten, neuer Eindrücke und intensiver Schreibzeit als Writer in Residence in Pécs tauchte ich letzte Woche wieder in meinen Alltag ein: Meine Arbeit als Bauingenieurin, das Schreiben von Blogartikeln, Geschichten und Gedichten, Planen von Schreibkursen, FreundInnen treffen und Kulturveranstaltungen besuchen - das ist mein normales Leben. Das Pécs-Gefühl, wie ich es nenne, lässt sich nicht konservieren. Doch ich habe mir vorgenommen, auch zu Hause noch mehr Kulturmensch zu sein und auch in der scheinbar vertrauten Umgebung das Neue, Schöne und vielleicht auch Fremde gezielt zu suchen. So war ich endlich einmal im Literaturhaus Oberpfalz in Sulzbach-Rosenberg, wo ich fast nahtlos an meine Erlebnisse in Südosteuropa anknüpfen konnte: Mit Literatur als europäische Muttersprache: Begegnung mit AutorInnen aus neun Ländern - Lesungen und Gespräche u.a. mit Harald Grill, Tsvetanka Elenkova (Bulgarien), Vladimir Đurišić (Montenegro): Das geniale Projekt OMNIBUS führt in diesem Sommer insgesamt 100 europäische Autorinnen und Autorinnen von Finnland bis Zypern; auf der gesamten Strecke finden Lesungen, Diskussionen und Workshops statt.
Und auch das Wandern soll in diesem Sommer nicht zu kurz kommen - es beflügelt die Gedanken, die Seele und den Körper sowieso. Deshalb erstürmte ich gleich am Sonntag nach meiner Rückkehr den Kaitersberg und den Burgstall, auf dem ein Fernsehturm steht: Eine wehmütige Erinnerung an meine Wanderung im Mecsek-Gebirge ...
Und dann gilt es natürlich noch die mitgebrachten Texte und Ideen zu verwerten. Das wird wohl noch eine Weile dauern. Irgendein Eisen ist immer im Feuer und ich freue mich wie verrückt auf die Veröffentlichung meines ersten Romans im August, die mein Verlag auf den Weg gebracht hat, während ich weg war. Inzwischen steht meine Autorinnen-Seite auf Facebook, es gibt schon erste Vorbestellungen für das Buch und bald werde ich euch hier informieren, wo die Buchpräsentation von Brot und Bitterschokolade stattfindet - voraussichtlich nach den Sommerferien. Davor lese ich Lyrik bei der Sechsten Nacht der Poesie am 24. Juni im Herzogspark - gemeinsam mit lieben Autoren- und Autorinnenkollegen. Brandneue Gedichte aus Pécs werde ich dort sicher auch vortragen. Am gleichen Wochenende ist Tag der offenen Ateliers im Oberpfälzer Künstlerhaus (das mir ja auch den Aufenthalt in Pécs ermöglicht hat). Ich bin schon gespannt auf die dortigen internationalen StipendiatInnen ... So ist schon wieder einiges los in meinem Leben als Teilzeit-Schriftstellerin - und (natürlich nicht) nebenbei arbeite ich ja auch noch im Bereich der Regensburger Unterwelt ...
die schöne Unbekannte
umarmte mich
mit ihren Gegensätzen
zwinkerte mir Regentropfen
auf blühende Kastanien
und hielt mich fest
in meiner Mitte
ich ließ mich schreiben
von Café zu Café
ein jedes wie eine
kleine Universität
das Herz der Stadt
krönt eine Kuppel
sogar ihr Staub ist weicher
als daheim -
endlich begreife ich
den Unterschied
zwischen makellos
und schön
In diesem Mai habe ich viele Dinge zum ersten Mal getan: Das erste Mal länger in Ungarn sein - ein Arbeitsaufenthalt mit Selbsterfahrungs- und Urlaubsgefühlen. Und das allererste Mal in Pécs. Das schließt viele erste Male mit ein, praktisch jeden Schritt auf Straßen und Plätzen, in Gassen, Gebetshäusern dreierlei Religionen, Museen. Und natürlich die Cafés, in denen ich so ausgiebig zum Schreiben gekommen bin. Dort gab es auch viele zweite, dritte ... Male. Und heute: vieles zum letzten Mal. Ich versuche, ganz beiläufig den Széchenyi-Platz zu überqueren und so zu tun, als sähe ich die katholische Moschee, deren Kuppel den Platz nun mal dominiert, nicht zum letzten Mal, als ginge ich nicht ein letztes Mal die Király-Straße entlang, als sähe ich nicht zum letzten Mal die wie mit feinem Bleistift hinskizzierten Trauflinien der Gebäude. Zuvor habe ich den vorletzten (in der Nappali Bar) und den wirklich letzten Cappuccino (in der Kisülés Kávéműhely) getrunken und die allerletzte Limonade ... ich habe in mein Tagebuch geschrieben (was sonst) und überlegt: Was bleibt hier von mir außer einer angebrochenen Packung Earl Grey? Und was möchte ich mitnehmen?
Die Antwort auf beide Fragen: Meine Texte. Sie bleiben hier, weil ich einen Beitrag zum Blog des Pécs Writers Program leiste - Auswahl und Übersetzung ins Ungarische nehmen freilich noch ein wenig Zeit in Anspruch. Außerdem wird es eine Anthologie mit Texten ehemaliger Stipendiaten und Stipendiatinnen geben; ich fühle mich geehrt, dass ich dabei sein darf und Texte von mir ins Ungarische übersetzt werden! Und meine Texte kommen mit, weil ich länger davon zehren werde. In der Literatur wie im Leben (falls es da überhaupt eine Trennlinie gibt). Sie werden mir über das Heimweh nach Pécs hinweghelfen - denn das Pécs-Gefühl kommt mit. Das Gefühl, bei mir zu sein, egal wo ich bin und was ich tue. Denn in ein paar Tagen schon tauche ich wieder ein in meinen Alltag, und ich fühle mich gestärkt dafür. Gelassener vielleicht. Und dankbar für alles, was ich habe. Denn ich habe hier einerseits viel Lebensfreude gesehen: Junge Menschen auf Caféterrassen oder den Innenhöfen von Kneipen, Kinder, die am Springbrunnen spielen, und viel mediterranen Genuss. Aber da waren auch viele Menschen, die um Geld baten. Menschen, die aus der Bahn geworfen wirkten und deren Gesichter traurige Geschichten erzählten. Das gibt es bei uns zu Hause auch - doch hier erscheinen mir die Gegensätze noch stärker; auch im Straßenbild. Der Széchenyi-Platz ist das Herz der Stadt; ein öffentlicher Raum, in dem man sich gerne aufhält, mit prächtigen Gebäuden und Fassaden und - natürlich - Caféterrassen, von denen aus man Zaungast vieler kleiner Straßenszenen werden kann. Spielende Kinder (dank Autofreiheit), waghalsige Bergabfahrten mit Kinderrädern, Straßenmusik, Jugendgruppen und Liebespaare. Auch auf vielen anderen Straßen und Plätzen lässt es sich wunderbar flanieren. Dann gibt es noch die anderen. Die Straßen mit höchst eigenwilligem Charaker. Mit verschiedenen Belägen oder Klee, der aus den Ritzen wächst und die - manchmal bröckeligen - Fassaden mit dem Gehsteig verbindet. Straßen, in denen die Häuser noch eine Seele haben - und ihre Eigentümer vielleicht nicht genügend Geld, um umfassend zu sanieren. Darin liegt auch eine Chance. Pécs ist eine Stadt mit Substanz, und es ist noch nicht raus, wie diese sich in Zukunft entwickelt. Pécs fühlt sich leicht an, langsam und entspannt. Das liegt zum einen natürlich an meiner privilegierten Situation. Zum andern daran, dass die Stadt nicht überfüllt ist. Angenehm für mich - jedoch: Die Stadt hat mehr Besuch verdient. Ich werde es jedem weitersagen, wie schön sie ist und wie viel es zu entdecken gibt, vom Zsolnay Kulturviertel über die Museen, die Gastronomie und das Stadtbild an sich. Auch die Lage direkt am Mecsek-Gebirge ist ziemlich einzigartig. Meine Rundwanderung über den Fernsehturm hätte mir Lust auf weitere Wanderungen gemacht, und den Abstecher ins Weinbaugebiet habe ich auch nicht mehr geschafft.
Jedenfalls: ich bin dankbar für das, was ich erleben durfte und das, was ich am Schreiben habe, an meinem Leben zuhause und nicht zuletzt auch an Menschen, die meinen Aufenthalt hier wohlwollend verfolgt haben.
So. Bevor ich jetzt endgültig rührselig werde: Was tut eine Literaturstipendiatin an ihrem letzten Tag in Pécs? Am Morgen brachte ich meine Freundin aus Regensburg zum Bahnhof, mit der ich hier drei Tage lang noch etwas Urlaubsgefühl und Freundinnen-Zeit erleben durfte. Da konnte ich den Abschiedsschmerz schon einmal üben.
Dann "nach Hause" zum Packen und Aufräumen. Und anschließend doch noch ein erstes Mal: Ins Einkaufszentrum in den Media Markt. Der sieht natürlich genauso aus wie alle Media Märkte dieser Welt (zumindest so wie die, die ich aus Deutschland kenne). Denn ich wollte doch noch mehr mitnehmen: Nämlich Musik. Ich griff mir aufs Geratewohl einige Scheiben und wandte mich an eine Verkäuferin. Die rief ihren Kollegen; ob deshalb, weil er des Englischen mächtig war oder des Technischen, vermag ich nicht zu sagen - jedenfalls aktivierte er einen PC für mich und überließ mich meinem Schicksal. Über einen Barcodescanner sollten die Stücke aus der Datenbank abrufbar sein, aber das funktionierte nur lückenhaft, die Menüführung mit Suchfunktion natürlich Ungarisch. Vielleicht habe ich sie sogar richtig bedient - trotzdem konnet ich nur drei Scheiben anhören: Eine CD, die klang wie ein Worst-of der Zweitplatzierten aus dem nationalen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest; eine weitere mit Geräuschen irgendwo zwischen Thrash Metal und Ich-weiß-nicht was. Die dritte aber sprach mich schon vom Titel her an: Adieu les complexes von Beáta Palya, die in ihrer Musik verschiedene Elemente ungarischer und bulgarischer Volksmusik mit weiteren Einflüssen vereint. So tanze ich angefüllt mit Eindrücken nach Hause - und kann dort das Pécs-Gefühl mit ungarischer Musik wieder herholen ...
Und was kommt jetzt? Ich habe wieder mal mehr und anderes geschrieben, als ich eigentlich wollte. Ich werde auf jeden Fall noch einen Best-of-Pécs-Beitrag schreiben, mit schönen Fotos und einer Linkliste englisch- und deutschsprachiger Seiten, die mir bei meinem Aufenthalt auch weitergeholfen haben. Ich glaube, ich wiederhole mich, aber: die Stadt ist wunderschön und sehenswert. Und an der Sprache soll's nicht scheitern!
Außerdem habe ich noch das eine oder andere Gedicht in petto.
Also schaut mal wieder rein, welche Spuren Pécs auf diesem Blog hinterlässt!
Zwischen den letzten beiden Einträgen über Pécs ist eine Woche vergangen. Das bedeutet aber nicht, dass ich nichts geschrieben habe. Im Gegenteil: Ich überarbeite ein Romanmanuskript, texte Blogartikel - und ich schreibe sehr viel in mein Notiz- und Tagebuch. Am liebsten in einem Café, mit Geschirrgeklapper, dem Zischen der Kaffeemaschine und den Stimmen der anderen Gäste um mich herum. Dann stellt sich dieses Gefühl konzentrierter Zeitlosigkeit ein, das die Ideen fließen lässt.
Durch das Schreiben leben
Auch darum bin ich hier: um Raum für mein eigenes Schreiben zu haben, in einer fremden und anregenden Umgebung. Denn wie viele Autoren und Autorinnen habe ich einen Erstberuf, von dem ich hauptsächlich lebe. Diese vier Wochen bieten mir das Privileg, mich einmal nur dem Schreiben hingeben zu können. Weil es das Pécs Writers Program gibt, das Oberpfälzer Künstlerhaus und nicht zuletzt meine Kollegin, die mir in vier Wochen unbezahltem Urlaub den Rücken freihält.
Vielleicht lebe ich nicht vom Schreiben - auf alle Fälle aber durch das Schreiben. Für meinen Aufenthalt hier hatte ich mir vorgenommen: Jeden Tag ein Gedicht, um das Erlebte, das Gesehene festzuhalten und zu gestalten. Das klappte aber nur am Anfang. Stattdessen füllte ich bald Seite um Seite meines Tagebuchs.
Luft zum Atmen oder: Wer bin ich?
Wer bin ich, wenn ich so gut wie aller Pflichten enthoben bin? Was darf sich zeigen? Wie aufregend oder gar beängstigend ist die Begegnung mit mir selbst?
Es ist keine Überraschung, dass ich viel Zeit für mich benötige. Nach zwei Todesfällen in der engeren Familie Ende 2014 war der Bogen immer straff gespannt, ich funktionierte gut - zu gut vielleicht. Wie immer gab das Schreiben mir Trost und Sicherheit, doch das Leben kam mir immer schneller, immer voller vor.
Jetzt ist plötzlich Luft zum Atmen. Und ich genieße es, bis hin zur Einsiedelei. Die Stadt macht es mir leicht, alleine unterwegs zu sein; die Museen, die Moscheen, Synagogen, Kirchen, das Zsolnay-Kulturviertel auf dem Gelände der Keramikfabrik und die Konferenz, an der ich vergangene Woche teilnehmen durfte. Sie bescherte mir Einblicke darein, was es bedeutet Kulturhauptstadt Europas zu sein (wie Pécs 2010), zu werden oder sich überhaupt nur um den Titel zu bewerben - gerade auch für Städte in Osteuropa. Denn die Sicht des Westens ist - aus meiner eigenen, sehr subjektiven Perspektive - doch oft ziemlich eingeschränkt gegenüber der Vielfältigkeit und Geschichte der neueren Mitgliedsstaaten der EU.
Eine Frage der Perspektive
A propos eingeschränkte Sicht. Wenn ich schreibe, kommen "meine" Themen nicht explizit daher, sondern zeigen sich im Spiegel des Erlebten.
Wenn ich durch eine Stadt spaziere, deren offizielle Landessprache ich nicht beherrsche, und mir die Menschen auf unterschiedlichste Weise entgegenkommen - sich um mich und meine Bedürfnisse bemühen.
Wenn ich auf jüdische Spuren stoße, auf osmanische - und auch auf deutsche.
Wenn ich auf Menschen treffe, die in Ungarn oder Rumänien (wie meine Konferenz-Sitznachbarin) beheimatet sind - und die das über Jahrhunderte bewahrte kulturelle Erbe ihrer deutschen Vorfahren als Teil ihrer Identität begreifen.
Wenn ich auf der Seite des ungarndeutschen Lenau-Vereins lese: "Der Lenau Verein nimmt zwischen Ungarn (unsere Heimat) und Deutschland (unsere kulturelle Mutternation) eine Brückenrolle wahr."
Dann denke ich über Heimat nach und über Identität. Und ich frage ich mich: Wie können wir in Deutschland heutzutage annehmen (oder verlangen), dass Zuwanderer sich möglichst schnell und unauffällig "integrieren"? Speist Identität sich nicht immer aus mehreren Quellen - und in manchen Fällen eben aus sehr unterschiedlichen?
Was heißt das eigentlich: Heimat, Integration, Identität?
Meine Heimat ist Niederbayern. Ein Landstrich, in dem es weniger jodelt als im bekannteren Alpen-Bayern. Wo die Menschen verhaltener und trotzdem lustig sind. Ein Donauland. Dort bin ich geboren und aufgewachsen und es hängen Gefühle daran. Vollständig integriert fühlte ich mich dort aber nicht: Meine Eltern, die Flüchtlingskinder, hatten eine andere, durch den Nationalsozialismus verwirkte Heimat. Der Dialekt und der nicht-katholische Glaube unterschieden sie von der alt-eingesessenen Bevölkerung. Ich selber lernte Niederbayerisch in der Schule, durfte im Schulgottesdienst nicht zur Kommunion ("die Bösen und die Evangelischen sowieso nicht"), und das mit Schlesien war ein irgendwie exotisches Echo aus fernen Zeiten. Ein familiäres Hintergrundtrauma, mit dem ich nicht unmittelbar etwas zu tun hatte.
Erst heute - ja, vielleicht erst seitdem ich in Pécser Cafés diese vielen Tagebuchseiten zu Papier gebracht habe - komme ich diesem diffusen Gefühl auf die Spur, das mich so lange schon begleitet; ein Gefühl, das mich manchmal rast- und ratlos macht und das sich in vielerlei Gestalten zeigt. Da ist der Bruchteil eines Zögerns, mit dem ich manch spontane Gelegenheit ungenutzt vorübergehen lasse. Da ist die Leere, die sich manchmal auftut, wenn ich auf mich gestellt bin und Entscheidungen nur von meinen eigenen Bedürfnissen abhängen. Oder die Freude der Begegnung, die sich manchmal wie ein Schock anfühlt und tieferen Kontakt verhindert. Dabei mangelt es mir nicht an Selbstbewusstsein. Das Gefühl geht tiefer: Es ist das Gefühl von Nicht-Zugehörigkeit, vielleicht sogar von Nicht-Berechtigtsein. Die Angst, Raum einzunehmen, vor allem auf unbekanntem Terrain.
Es tut gut, es zu benennen. Denn wie so viele Gespenster scheut dieses Gefühl das Tageslicht; jetzt, wo ich darüber schreibe, beginnt es sich schon aufzulösen. Was natürlich auch mit dem Prozess zu tun hat, der diesem Text voranging.
Es hilft, den Fuß auf unbekanntes Land zu setzen
Ich bin berechtigt, hier zu sein. Jemand hat mich mit diesem Stipendium ausgezeichnet und in meinen Texten gelesen, dass ich es verdiene. Und fand nichts "Unberechtigtes" daran, dass ich während des Schreibstipendiums auch biografisches Material poetisch aufarbeiten wollte.
Nun lebe ich den Traum, Vollzeit-Schriftstellerin zu sein. Ich darf stundenlang in einem Café sitzen und über mich selbst schreiben. Das mag nicht gesellschaftsrelevant sein, doch für mich persönlich sehr bedeutsam. Und es lehrt mich wieder etwas über (biografisches) Schreiben. Ich bin berechtigt, hier zu sein - mitten in Europa. Ich kann überall hinreisen, in alte und neue, in eigene und fremde Heimaten und selbstverständlich auch in meine Phantasiewelten.
Dabei bin ich nicht auf der Durchreise. Ich komme an, und ich werde wieder nach Hause fahren. Dazwischen BIN ich. Hier. Und mache Erfahrungen, die in die Substanz meiner literarischen Arbeit einfließen werden. Mein Schreiben ist eine zuverlässige Heimat, eine geografisch unabhängige Wurzel auf dem Kompost meiner Herkunft.
Und ich befürchtete schon, ich brauche sie gar nicht: Die mitgebrachten Trekkingstiefel und die Wanderkarte aus dem örtlichen Tourismusbüro. Doch der Fernsehturm nördlich von Pécs lockt unübersehbar, beim Durchstreifen der Stadt taucht er immer wieder unvermutet im Hintergrund auf oder hüllt sich geheimnisvoll in Nebel. Und heute zog ich endlich los, bei stabilem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen. Die erste Etappe auf den Havihegy brachte mich ganz schön ins Schnaufen und Schwitzen - man kann eben nicht ungestraft drei Wochen lang hauptsächlich schreiben und nur zum Besichtigen und Kaffeetrinken vor die Tür gehen :-) Doch bei der tollen Aussicht vergaß ich die mangelnde Kondition, und unterhalb der Kapelle Maria Schnee legte ich eine Teepause ein und genoss den Blick über die Stadt. Nachdem ich noch einen Blick in das Innere der Kapelle geworfen hatte, ging ich weiter zum Tettye-Platz mit den Ruinen eines bischöflichen Sommerpalastes. Rund um die Parkanlage gruppieren sich Biergärten, Restaurants und ein Arboretum, d.h. ein botanischer Garten, der überwiegend mit Gehölzen bestückt ist. Ich habe diesen außergewöhnlichen Park auch schon besucht - allerdings vertrieb mich an diesem Tag ein Gewitter vom Berg. Heute war die wichtigste Einrichtung am Tettye tér aber der Tom-Laden. Diese Tante-Emma-Läden gibt es hier an jeder Straßenecke und sie haben fast immer geöffnet, wenn man sie braucht. Ich kaufte mir also eine Flasche Wasser und ein Mohnhörnchen und fand den Einstieg zu einem schönen, schattigen Wanderweg - bald deckten sich auch die Markierungen mit meinem Kartenmaterial (gelber Balken) und ich gelangte zum Dömörkapu bzw. zu einem großen Parkplatz. Zum einen befindet sich hier die "Bergstation" der kleinen Mecsek-Waldbahn, deren Schmalspurgleis zum Zoo hinunterführt, der - wie ich gerade erfahren habe - nach zweijähriger Umbaupause erst dieses Wochenende wiedereröffnet wurde.
Statt in die Bahn zu steigen, machte ich einen Abstecher zum Rastplatz Flóra. Allerorten brannten schon gemütliche Lagerfeuer und am Hang hoch über dem Tal lagerten zwei Mountainbiker wie im schönsten Tourismusprospekt. Die Anhöhe bietet nämlich einen wunderbaren Ausblick auf die Landschaft nördlich von Pécs - endlose grüne Bergrücken und stillgelegter Tagebau. Und dann folgte ich wieder dem gelben Balken bis zum Fernsehturm auf der Misinahöhe. Der Turm ist etwa so alt wie ich und das höchste Gebäude Ungarns, so steht es im Aufzug zu lesen. Ob das noch aktuell ist, weiß ich nicht - die Aussichtsplattform befindet sich gut 80 Meter über dem Boden, also hoch genug ... aber seht selbst. Genau: die Bilder dieses Tages sprechen für sich. Für den Rückweg suchte ich mir eine etwas kürzere Strecke aus (vom Fernsehturm mehr oder weniger geradeaus bergab), kam beim Französischen Denkmal heraus und schlug dann doch noch einen Haken zurück zum Tettyepark, wo ich den Abend auf der Terrasse eines Weinlokals ausklingen ließ. Mit Blick auf den Felsen am Havihegy und das krasse Kruzifix von Sándor Rétfalvi.
Auf dem Heimweg verfiel ich in Melancholie: Das intensive Licht, das endlose Blau des Himmels, die Rosen an den goldenen Fassaden - und das Bewusstsein, dass sich bald die Schatten in den sonntagsstillen Gassen ausbreiten ... ein Glück, dass es Frühsommer ist und uns noch viele, längere Tage bevorstehen.
zwei schnobernde Schnauzen
zärtlich ineinandergeschnuffelte Ohrentiere
ich schreibe von Bildern ab
Zebrastreifen auf der Netzhaut
Claire: rote Wäscheklammer
schwarze Leinen
ein Rehblatt eine Streichelhand
Miss Europa im roten Kleid
haltet zusammen ihr Städte
ein Dolch und ein Ziegelherz
für das Bauhaus
ein Kohlkopf ein Mantelkragen
rote Lippen Zwiebelturm
Blumenblasenpatchwork
Briefmarkentapetensonnenscheindomtürme
Wolfspelz und Tütchenhütchen Hütchenkleider
Pfeile und hiergehtslang
eine U-Bahn ein leuchtender Raum
Jean Pierre Yvaral
ein All voller Klötzchen eine Klötzchenbrust
Stacheletagen und der Korridor
eines Raumschiffs
ein Stelenmeer vor dem Wabenhorizont
Lichtpunkte fernes Gleißen
aus wenigen Flächen die Wiedererkennung
der Präsidenten
Victor: square by square
wie sie aus der Reihe tanzen
geschnittenes Rund
das Große im Kleinen
die Diarähmchen verkehrt
ein Tischknauf ein Mäusemund
Kathedralen und lila
Schwarzweißmusik
ein Hochhaus ein Schaltplan
Verwerfung im Stadtgefüge
Gedankenblasen Formengedränge
ein scharfes Messer brauchst du
der Wind an den Museumsfenstern
verheddert in hölzernen Lamellen
Silberrinde Antennenorgel
Fischgrätparkettboden passend zur Kunst
ein Farbenklangraum
Spinnen spannen Netze
zwischen Wolkenkratzern
ein Schlüsselloch in der Zeit
Aztekenzeichen gestörte Strömung
Schallwellen ein Brustpanzer
alles steht Kopf und Bauch
Fenster Linse und Augapfelkern
geschmückte Kolben Relief
Raum-Zeit-Verzerrung
Laufmaschenmuster
kreisen strudeln tauchen
an-ecken
ein Zauberwürfelspielteppich
gefrorenes Glas
verschoben verwechselt
bunte Lichter bunte Schatten
ein Dämmern Verbleichen
Silbertaler im Wortgewand
eine Welt ein Spiegel der anderen
leuchtende Monitore
und wenn du dich anschleichst
kannst du die Räume
im Dunkeln sehen
Vasarely Múzeum Pécs
Heute mache ich blau, lasse mich treiben. Es beginnt mit einigen längst fälligen Erledigungen. Zuerst zur Post - nicht zu irgendeiner Postfiliale, sondern zum Zentralen Postamt in der Jókaistraße; 1902-04 im eklektischen Stil erbaut (das bedeutet eigentlich nichts anderes als Stilmix, hier vor allem Jugendstil und ein bisschen Renaissance) und mit Keramik aus der Zsolnay-Fabrik geschmückt. Manche Reiseführer sprechen gar von einem Postpalast. Ich nähere mich durch die Citromstraße und von dort kann ich die Größe des Baukörpers und das herrliche emaillierte Dach gut erkennen. Es ist einer dieser Momente, in denen ich lieber genießen als fotografieren möchte, und so kann ich hier tatsächlich kein Bild anbieten. Das möchte ich noch nachholen ... einstweilen könnt ihr hier einen Eindruck vom Postpalast gewinnen.
Nach einer kleinen Zeitreise durch die Postgeschichte im Eingangsbereich stolpere ich fast automatisch in die große Schalterhalle neben dem Automaten, wo man eine Nummer ziehen muss. Ich habe die Auswahl zwischen ungefähr zehn verschiedenartigen Anliegen, allein: bis auf Western Union verstehe ich nichts. Auch die Vokabel belyég aus dem Onlinewörterbuch ist auf dem Display nicht zu finden. Zum Glück erfahre ich von einer jungen Frau, dass Briefmarken in dem kleinen Shop nebenan erhältlich sind. Auch dort eine lange Schlange und also für mich genügend Zeit, mir ein paar Begriffe aus dem Reisewörterbuch zurecht zu klauben. Die Dame am Schalter wirkt leicht genervt und beherrscht in etwa so gut Englisch wie eine durchschnittliche bayerische Postagenturangestellte wahrscheinlich auch. Erschwerend kommt hinzu, dass ich nur fünf Postkarten kaufe, dazu aber zehn Briefmarken will! Die Dame vergewissert sich mit Hilfe ihrer zehn Finger über meinen Wunsch und so kommen wir glücklich ins Geschäft. Nach den Luftpostaufklebern wage ich mich trotzdem nicht mehr zu erkundigen.
Wie einfach dagegen läuft es am Bahnhof, wo ich an einem Schalter für internationale Tickets die noch fehlende Reservierung Kelenföld-Linz für die Rückfahrt kaufen kann. Beeindruckend auch die öffentliche Toilette: Eine vergnügte Rezeptionistin stempelt einen Zettel von der Größe eines halben Klopapierblattes - die Quittung für die 120 Forint Benutzungsgebühr - und weist mir einen Platz auf der sauberen, modernen Toilette an (bzw. die richtige Tür dorthin).
Anschließend würdige ich die Schönheit des Bahnhofs sowie die österreichischen Durchsagen und sehe mich dann noch auf dem Bahnhofsvorplatz bei den Bussen um. Am westlichen Ende befindet sich ein Kleinod mutmaßlich sozialistischer Baukunst (man beachte auch die farbliche Abstimmung der Busse), in dem ich nach einigem Suchen den (kostenlosen) Linienplan bekomme. Eine weitere kompetente Bahnmitarbeiterin gibt mir den Tipp.
Und dann verliebe ich mich tatsächlich ein bisschen in die Gegend um den Bahnhof. Über die Busse hinweg sind der Fernsehturm und die Hänge des Mecsek-Gebirges besonders gut zu sehen, und in den Seitenstraßen zwischen den Magistralen gibt es stattliche Häuser mit viel Grün drumherum; über einem Balkongeländer hängen Teppiche und darauf hat es sich eine Katze bequem gemacht. Und die Szabadság u., die in Richtung westliche Altstadt führt, weist zwar alle Merkmale einer Bahnhofsstraße auf - blinkende Lichter, Telefonläden, Schnellimbiss - , trotzdem lässt es sich dort gemächlich schlendern.
Und dann gibt es da noch den Paprika és Böllerbolt, der mir auf dem Hinweg schon aufgefallen ist - wegen der Namensähnlichkeit zum Böller Altstadtmarkt in Regensburg :-) Der Laden in Pécs ist ein Paradies voller Gewürze, Tee und Teigwaren; Messer, Bindfäden und Bolzenschussgeräte gibt es auch und daneben hängen Würste. Die sehr nette Frau dort berät mich mit Hilfe weniger, aber ausreichender gemeinsamer Schlüsselbegriffe - immerhin weiß ich inzwischen, was Thymian heißt, und identifziere den Erkältungstee (den seht ihr im Titelbild). Sicherheitshalber huste ich der jungen Frau noch etwas vor und sie bestätigt lachend meine Wahl. Auch das Onlinewörterbuch muss wieder einmal herhalten, manche Kräuter erkenne ich auch am Aussehen. Dann kaufe ich noch ein paar Gewürzmischungen, extrascharfen Chili und natürlich süßen Paprika (diesen Ausdruck kennt die Händlerin auf deutsch).
Am liebsten hätte ich gefragt, ob ich von all dem noch ein Foto machen darf, doch da betritt schon eine ältere, liebenswürdig aussehende Dame den Laden. Deshalb lasse ich es gut sein und ziehe mit meinem Tee- und Gewürzpäckchen, vorbei am Naturwissenschaftlichen Museum und mit einem Zwischenstopp im Kaffeehaus Next step coffee (hier schmeckt mir der Kaffee bis jetzt am besten), zur Türbe des Idris Baba aus dem 16. Jahrhundert. Eine Türbe ist ein muslimisches Mausoleum und Idris Baba soll ein Kräuterkundiger gewesen sein, genau wie meine freundliche Teehändlerin. Anschließend treibt mich ein scharfer Wind zurück in die Altstadt, und ich nehme endlich die Museumsstraße bewusst wahr, die ich bei meinen bisherigen Stadtspaziergängen irgendwie immer ausgelassen habe - dabei zählen die Museen rund um die Káptalan u. (Kapitelgasse) zu den Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt und sind kaum zu übersehen: Die Kunstmuseen Csontváry Museum, das Vasarely Museum und das Zsolnay Museum bilden mit weiteren Ausstellungshäusern der Stadt das Janus Pannonius Múzeum. Das eine oder andere davon werde ich mir sicher ansehen - allein oder zusammen mit meinem Besuch aus Regensburg, der sich für Ende Mai angekündigt hat.
Und weil dieser Tag wirklich kräftezehrend war, kehre ich anschließend noch in dem Döner-Restaurant Jam ein - danke für den Tipp, Károly :-)
Und wenn sich das hier langsam wieder liest wie ein Gastroführer: Das Kulinarische gehört zur Kultur, oder etwa nicht? :-)
freundliche Formen
ein Zeugnis der Osmanen
auf quadratischem Grund
alle Seiten gleich lang
ihre Fenster werfen
ein mildes Licht auf mich
zwischen den Teppichen
die Hände im Schoß gefaltet
wie zum Gebet
bin ich geschützt
vor Regen, Blitz und Donner
unter dem Dach
des Pascha
Pécs, 5. Mai 2016
Jakovali Hassan Moschee
Wie kommt man in der Fremde zurecht, wenn man die Sprache nicht versteht? Die Situation macht demütig gegenüber der Lage von Flüchtlingen, die nicht freiwillig reisen wie ich. Immerhin teilt meine Muttersprache mit dem Ungarischen das Alphabet. Nur manche Laute werden mit ein oder zwei nahezu halsbrecherisch schiefen Strichen gedehnt.
Zumindest versuche ich auf Ungarisch zu danken und zu grüßen. Der Rest funktioniert auf Englisch, Pantomimisch oder durch konkludentes Handeln. Zum Beispiel im Gemüseladen: Ein Jó napot! schmettern, Gemüse einsammeln und auf die Theke legen; ein kleines Stückchen Thermopapier sagt mir, was ich schuldig bin: Köszi, lieber Gott und Allah, für die arabischen Ziffern! Denn Zählen und Beten, das lernt man in einer Fremdsprache nie so richtig - das erklärte mir meine ungarische Nachbarin (mit einem lediglich klitzekleinen Akzent) in dem niederbayerischen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Hätte ich damals nur besser aufgepasst, als sie ihren Kindern Ungarisch beibrachte. So kann ich heute, bis auf den vertrauten Klang der fremden Worte, kaum auf etwas zurückgreifen. Trotzdem gibt es Tricks und Hilfen: In der Filiale einer deutschen Drogeriemarktkette treffe ich auf wohlbekannte Produkte. Das stelle man sich in deutschen Supermärkten vor: Shampoo, Tee oder Slipeinlagen beschriftet auf, sagen wir mal, Arabisch. Und nur manches davon mit einem verschämten Aufkleber auf der Rückseite eingedeutscht. Vieles ist selbsterklärend, aber wer möchte schon die Rasiercreme mit der Zahnpasta verwechseln?
Ungarn ist kein Einzelfall. Schon beim Auslandssemester in Dänemark lernte ich, dass dort viele Fachbücher nur auf Deutsch oder Englisch verfügbar sind und Kinofilme für Erwachsene meist nur
untertitelt werden. Vielerorts drängelt sich die deutsche Sprache einfach vor.
Auf diese Weise fand ich auch den Thymiantee gegen meinen Husten. Auf ungarisch heißt der Thymian übrigens kakukkfű - wer hätte das gedacht? Versteckte Hinweise dagegen gibt der
Spitzwegerich, Lándzsás útifű. Lándzsá wie Lanze, und das Wort útifű kann eigentlich nur mit utca (Straße) verwandt sein, das mir hier überall begegnet.
Trotzdem kam ich eher wegen der Aufmachung der Schachtel zu meinem Hustensirup - botanische Kenntnisse sind in fremden Umgebungen auch sehr hilfreich! Und trotzdem verbrachte ich noch geraume
Weile mit dem Online-Wörterbuch vor dem Regal mit den Erkältungsmitteln. Warum mir das Smartphone ausgerechnet in diesem Moment den Internet-Zugang verweigerte, beibt rätselhaft. Und ich ahne:
ernsthaft krank sein in der Fremde, dabei würde ich mich richtig hilflos fühlen. So aber kann ich ganz entspannt meine Spracherkundungen betreiben.
Seit einer Woche schwebe ich hier in meiner eigenen Welt, einer Welt des deutschsprachigen Schreibens einerseits und der Begegnung mit Südungarn andererseits. Für aktuelle Informationen über das Land bin ich mangels Sprachkenntnissen auf deutsche Medien angewiesen, und natürlich interessiert mich auch, was zu Hause vor sich geht. Zu Hause? Damit meine ich natürlich Deutschland. Bayern. Regensburg. Aber irgendwie bin ich auch hier in Pécs zu Hause - hier in Europa. Und in meinem Heimatland Europa ist zur Zeit so einiges los. Eine ehemalige deutsche Ministerin namens Margot Honecker ist in Chile gestorben, und in London wurde ein muslimischer Bürgermeister gewählt, ein Einwandererkind aus Pakistan.
Auch meine Eltern waren gewissermaßen Zuwanderer. Dabei weiß ich nie so genau, wie ich ihr Geburtsland nennen soll. Die Behörden scheinen es auch nicht zu wissen: In der Sterbeurkunde meines Vaters ist als Geburtsort Polen angegeben, bei meiner Mutter Schlesien. Und je nach Definition habe ich mal Migrationshintergrund, mal keinen.
Was hat das nun mit Ungarn zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch Ungarn war das Land, in dem der Eiserne Vorhang löchrig wurde - was letztlich dazu führte, dass meine Verwandten aus Sachsen näher gerückt sind. Letztes Jahr dann die Wanderung von Regensburg nach Pilsen: Grenzüberschreitend, in zehn Etappen, Seite an Seite mit deutschen und tschechischen Autoren und Autorinnen. Und die Geburtsstadt meiner Mutter ist Europäische Kulturhauptstadt 2016.
Dass ich heute so einfach in den einstigen "Ostblock" reisen kann, ist eine beglückende Erfahrung. Andersherum gilt das sicher auch, aber ich ahne, dass die unterschiedlichen Preisniveaus eine empfindliche Schranke sind, während ich hier sehr gut mit meinem Bugdet auskomme.
Aber auch mir ist der Luxus nicht in die Wiege gelegt: Ich wuchs auf einem Bauernhof auf, ohne Zentralheizung, in zugig-feuchten Gemäuern mit schiefem Dach und abbröckelndem Putz. So manche Straße in Pécs - vor allem außerhalb der historischen Stadtmauern - erinnert mich daran, dass es das auch heute noch gibt. Pécs ist bei Weitem nicht so durchsaniert und saturiert, wie mir Regensburgs Altstadt inzwischen erscheint.
Hier in Pécs erzählen die Gehsteige in mehreren Schichten von ihrem Werdegang, Randsteine sitzen schief oder fallen aus wie alte Zähne. Und Straßengrün kann auch heißen: Löwenzahn und Klee, der aus rissigen Teerdecken sprießt.
Auch auf diesen Straßen fahren Autos und die Passanten sehen aus wie du und ich - und schon an der nächsten Straßenecke kann ein Café auf dich warten, in dem das Brühen von Kaffee in höchster Vollendung zelebriert wird. Verschiedene Zubereitungstechniken und Röstungen inklusive. Ich wage zu behaupten: Das fehlt uns in Regensburg in dieser Feinheit.
Je länger ich schreibe, desto mehr Gegensätze drängen sich auf; zwischen meiner eigenen Gewohnheit, die Welt wahrzunehmen und dieser fremden, schönen Stadt, die auch in sich so viel Verschiedenes vereint. Das ist ja auch der Zweck des Reisens: Dass mein Horizont sich weitet und ich ein Stück mehr von diesem Europa kennenlerne, in dem ich zu Hause bin.
das Öffnen und Schließen
der Plätze
wie die Schalen einer Muschel
meine Augen ihr Ligament
der Fuß stößt sich ab
und ich schwimme
im fremden Sprachraum
zwischen den Kiemen
Wörterperlen
verborgenen Sinnes
und schön
Pécs, 3. Mai 2016
Kossuth tér
Oft habe ich aus Sehnsucht geschrieben, aus dem Gefühl eines Mangels. Doch wie man sieht, mangelt es mir hier an nichts, und Fernweh steht auch nicht zur Verfügung. Ich muss mir also andere Inspirationen suchen - davon gibt es zum Glück mehr als genug. Heute wagte ich mich zum ersten Mal durch die Stadttore, erklomm den Kalvarienberg und erkundete die weniger aufgemotzten Straßen und Gassen. Da waren natürlich die prächtigen Fassaden, aber auch der Boden erzählt so seine Geschichten - in Schichten sozusagen. Und jetzt lasse ich auch schon die Bilder sprechen ...
Nun bin ich also hier. In Pécs. Weit im Südosten - von zu Hause aus gesehen. Gute zehn Stunden flog ich im Zug unter tief hängenden Wolken dahin. Beim ersten Zwischenstopp in Linz wehte mir ein kalter Wind um die Ohren, bald darauf sagte ich mein erstes ungarisches Wort: Köszönöm. So bedankte ich mich bei der Ungarin, die wirkte, als hätte sie mir persönlich den reservierten Sitzplatz freigehalten, während ich mich geduldig durch Rentnergruppen und Kofferberge kämpfte. Und ich war stolz, zumindest dieses eine Wort schon mal erfolgreich angewendet zu haben! In Budapest-Kelenföld sah der Himmel ähnlich aus wie in Linz, aber die Luft war mild und frühlingswarm, und ich saß vor (oder hinter?) dem Bahnhof auf einer Bank.
Den ganzen Tag über schaute ich aus dem Fenster und hing meinen Gedanken nach. Nur einmal vertiefte ich mich kurz in ein Buch. Als ich wieder aufsah, waren die Fensterscheiben nass. Dunkelgrau trommelte der Regen auf das Zugdach, während der Zug in Dombóvár geteilt wurde. Ein ein angenehmer Wind wehte herein und milderte die erkältungsbedingte Hustenattacke. Die Bahnbediensteten draußen in leuchtendem Orange, die Kapuzen bis knapp über die Augen gezogen. Ankunft in Pécs kurz vor acht Uhr abends, es war schon fast dunkel. Wie schön, dass ich von meinen freundlichen Gastgebern abgeholt wurde: Károly und Enikő organisieren seit bald zehn Jahren ehrenamtlich das Pécs Writers Program. Beide sprechen sehr gut deutsch, was mir den Start natürlich enorm erleichtert. Eine kurze Fahrt im Auto, ein paar erklärende Worte, und die Wohnung gehörte mir. Ich kochte Erkältungstee, packte ein wenig aus und legte mich schlafen, das stetige Tropfen des Regens vor den Balkontüren.
Heute frühes Erwachen zum gleichen Geräusch. Wieder Teekochen und erstaunlich wenig Lust, rauszugehen. Dabei mag ich den Regen! Und natürlich war ich neugierig auf die Stadt. Doch die Erkältung bremste mich, und ich war einfach nur froh, nach der Hektik vor der Abreise endlich durchatmen zu können und keine bestimmten Pflichten zu haben. Doch das Klopapier war aus und so duldete der erste Einkauf keinen langen Aufschub. Ich brauchte nur einmal um die Ecke zu biegen, und schon stand ich mitten in der Altstadt auf der Kiraly utca. Über Sprachbarrieren hätte ich mir keine Sorgen zu machen brauchen: Das Sortiment im Drogeriemarkt bot einen vertrauten Anblick, und die Verkäuferin war sehr nett zu mir. Dabei hatte ich nur wenige ungarische Silben auf der Zunge und wusste oft nicht mal, ob und wie sie auszusprechen waren - wenn sie mir nicht ohnehin im Hals stecken blieben, weil mir die Erkältung mir auf die Stimme geschlagen hatte.
Auch im Gemüseladen kam ich gut zurecht. Der Anblick von Tomaten ist selbsterklärend und das Wort Paradicsom eigentlich auch. Nur die Währung ist gewöhnungsbedürftig: 1,50 Euro sind ungefähr 400 Forint ... Dafür gibt es zum Beispiel einen Cappuccino, der auch hier so heißt (wie praktisch).
Nach dem erfolgreichen Einkauf richtete ich mich endgültig an meinem kleinen Schreibtisch ein. Die nicht benötigte Tastaturschublade fasst die Laptophülle und den Keksteller, es gibt WLAN und genügend Steckdosen - und es ist wunderbar still und hell hier im Hinterhaus.
Womit beginnen? Schließlich bin ich zum Schreiben hier und nicht etwa aus touristischen Motiven. Ich schrieb meine Aufgaben auf kleine Klebezettel - Blogartikel schreiben, Altes Überarbeiten und Neues dichten - und heftete sie an die Innenwand meines Schreibtisches. Als erstes öffnete ich ein älteres Manuskript.
Und dann kam der neue Duschvorhang: Weiß und fein strukturiert wie ein Brautschleier wird er fortan verhindern, dass ich beim Duschen das Bad flute - ein willkommenes Accessoire. Das Anbringen freilich war mit einer gewissen Geräuschkulisse verbunden und anschließend ging es in der Nachbarwohnung weiter. Für mich das Signal zum Aufbruch: Ich wollte ja sowieso noch einmal in die Stadt. Also raus in den warmen Regen, vorbei an Cafés (eines zu betreten konnte ich mich noch nicht entschließen) bis zum Széchenyi Tér, der von der Moschee Gazi Khassim dominiert wird. Von dort aus weiter zur Kathedrale, während der Regen zuverlässig eine heimelige, verwunschene Stimmung über die Stadt legte.
Als es aufklarte, ging ich ins Café Fragola und trank zwei Cappuccino. Dabei schrieb ich sogar ein Gedicht. Es ist noch nicht so ausgegoren, dass ich es hier präsentieren möchte. Nur so viel: Es kommen Kastanien darin vor. Mächtige, prächtige Schutzbäume, grüngetränkt und mit weißen und rosafarbenen Blüten.
Der Anfang ist gemacht!
Firmen und Organisationen haben auf ihrem Internetauftritt meist eine Seite mit Antworten zu den häufigsten Fragen Ihrer Kunden, oder - zu neudeutsch - den "Frequently Asked Questions" (FAQ). Die Bahn zum Beispiel oder die Deutsche Rentenversicherung. Aber auch vor einer längeren Reise kann sich eine FAQ-Seite lohnen: Plötzlich wollen erfreulich viele liebe Menschen mit mir noch einen "letzten" Kaffee trinken, beglücken mich mit kleinen Abschiedsgeschenken und wünschen mir eine schöne Zeit. Und natürlich wollen alle wissen, wie das jetzt so abläuft mit Pécs und mir. Hier die Antworten zu den meistgestellten Fragen:
... und natürlich mein Blog, auf dem ich euch auf dem Laufenden halte!
Vor bald einem Jahr ging mein gut 20 Jahre alter Trekkingrucksack mit mir auf die letzte große Fahrt: drei Wochen Britrail Ticket in Südengland und Wales. Seit er zerbröselt ist, habe ich mich davor gedrückt, ihn zu ersetzen. Doch am 1. Mai breche ich für vier Wochen nach Südungarn auf: zum Internationalen Stipendium Oberpfälzer Künstlerhaus im Pécs Writers Program. Es musste also ein neuer Großraum-Rucksack her. Oder ein Rollenkoffer. Oder eine Reisetasche. Am liebsten alles zusammen - diese Modelle gibt es zwar, doch sie sind rar und teuer, außerdem ist die Multifunktionalität ein fauler Kompromiss - für eine mehrtägige Hüttentour taugen sie trotz Tragesystem nicht. Es dauerte eine Weile, bis ich mir eingestand: Ich brauche keinen 90-Liter-Rucksack mehr. Nie wieder. Für die paar Meter am Bahnhof oder vom Zug zum Taxi ist ein Trolley praktischer, und man fegt damit auch keine Mitreisenden vom Perron. Also strich ich die Rucksackfunktion von der Anforderungsliste. Doch die Rollenkoffer wirkten spießig, die meisten Reisetaschen zu stylish, zu sportlich oder zu schrill. Schließlich fand ich doch noch eine schöne Tasche auf Rädern: Geradlinig, schwarz und blau. So genanntes "Weichgepäck". Bin ich ein Weichei geworden? Ach was. Der Abschied vom Trekkingrucksack birgt nur so viele andere Abschiede: Abschied von dem wilden Leben, in dem ich nach einer Nacht auf der Isomatte noch ohne die Hilfe einer Physiotherapeutin aufstehen konnte. Und zwar gut erholt. Abschied von den Zeiten, als ich noch am Stück 1.000 Höhenmeter zu Fuß überwinden konnte und anschließend aus Versehen einen Umweg von zwei Stunden ging. Abschied vom Leben mit leichtem, schwerem Gepäck. Aber es muss ja kein vollständiger Abschied sein: Ich habe ja noch den 40-Liter-Rucksack für die kleineren Touren; mehr kann mein Rücken ohnehin nicht tragen. Und der Taschentrolley hat zwei sehr stabile, große Henkel, die man zur Not als Rucksackriemen nutzen kann ...
Die meisten Menschen beginnen aus Freude mit dem Schreiben. Das kann und soll auch so bleiben. Doch wer professionell schreiben möchte, sollte neben der Leidenschaft auch etwas Leidensfähigkeit mitbringen. Leidenschaft, um bei der Stange zu bleiben. Leidensfähigkeit, weil ein guter Text vor allem durch Überarbeiten entsteht. Und das kann aufwändig und mitunter sogar schmerzhaft sein, wenn lieb gewordene Formulierungen nicht so recht in das Gesamtwerk passen wollen oder stilistisch verbesserungswürdig sind. "Kill your darlings" heißt ein schreibhandwerklicher Grundsatz aus dem angelsächsischen Raum.
Gut ist, wenn man versierte Testleser und Testleserinnen zu seinem oder ihrem Freundeskreis zählen darf. Doch nicht jedeR Testleser eignet sich für alles. Der eine kann besser Schwächen im Plot erkennen und benennen (ja, auch das ist wichtig: das Sprechen über Texte erfordert ein gewisses Repertoire). Die andere ist eine gute Stilkritikerin. Ein Schreibprojekt durchläuft verschiedene Phasen und deshalb ist es ratsam, den Rohtext nicht zu früh aus der Hand zu geben - sonst sind die Testleser vor der Zeit verschlissen und man selbst frustriert. Abgesehen davon, dass es wenig Spaß macht, eine Geschichte in unzähligen Versionen wieder und wieder zu lesen: Auch ein noch so aufmerksamer Leser wird die jeweils aktuellere Version nicht mehr völlig unvoreingenommen betrachten und die Wirkung auf die spätere Leserschaft nicht mehr so gut einschätzen können wie zu Beginn.
In der Anfangsphase eines Schreibprojektes kann es sinnvoll sein, nur darüber zu sprechen, um sich über den Plot sowie Motive und Charakter der Figuren klar zu werden. Das geht gut mit einem anderen Autor oder in einer Schreibberatung.
Erst, wenn man sich Feedback geholt und das Bestmögliche am eigenen Text getan hat, ist ein Lektorat empfehlenswert. Das macht normalerweise der Verlag. Doch um an einen solchen zu kommen, sollte das Manuskript schon vorher optimiert sein. Ideal ist dafür eine Partnerschaft mit einem anderen Autor oder Autorin - um sich gegenseitig zu lektorieren und voneinander zu lernen. Und natürlich gibt es Lektoren, die gegen Honorar arbeiten. Dieses sollte nicht zu niedrig sein - ein Lektorat für Manuskript, das man anschließend wegwerfen oder nochmal bearbeiten muss, ist kein Schnäppchen.
Nur eines ist hier fehl am Platze: Falsche Eitelkeit und verletzter Stolz. Denn beim professionellen Schreiben geht es gar nicht um den Autor, die Autorin: Es geht um den Text, der unsere absolute Aufmerksamkeit und Hingabe verdient hat. Getreu dem Leitsatz: Es gibt keine schlechten Texte. Es gibt nur unfertige Texte.
Fenster
Blick in den Garten. Vom Bahnhof aus die Rückseite. Züge fahren. Blumen blühen. Es duftet schon nach Mittagessen. Ich halte eine Raupe in der Hand.
Baum
Papa hat einen Kirschbaum geschenkt bekommen. Doch wohin in dem kleinen Reihenhausgarten? Neben der Wäschespinne? Geht doch! Inzwischen blüht er jedes Jahr. Der Baum – nicht die Spinne.
Schuhe
Sie tragen mich durch dick und dünn. Sie sind Schnittstelle zum Weg. Oft misshandelt und wenig gepflegt. Aber geh mal ohne Schuhe den steinigen Weg.
Regen
Ein Landregen an der Adria. Dicke Tropfen platschen auf die Straße. Wir schauen raus. Eine frische Brise umfängt uns.
Abend
Die Sonne senkt sich. Wir sitzen am Balkon und trinken Aperol Spritz. Die Woche ist geschafft. Da laufen Flüchtlinge vorbei. So ist die Welt.
Küche
Omas Küche war phänomenal. Nur klein, aber aus wenigen Zutaten buk sie mit Zauberhand Käsekuchen für alle.
Dem hundertjährigen Jubiläum des Dadaismus zu Ehren
Mache drei Listen:
1. Fachwörter aus deinem Fachgebiet oder aus dem Bereich deines Hobbys. Oder noch besser: Lass dir von anderen solche Wörter schenken. Es macht nichts, wenn du nicht weißt, was sie bedeuten -
z.B. Rüttelflasche, Splintholz, Kanalauskunft.
2. Konkrete Verben, z.B. leben, trinken, schlafen. Sie dürfen ganz gewöhnlich sein.
3. Vorsilben wie ab-, be-, de-, durch-,ent-,ge-,hin-, über-,ver-, weg-, zer-, ge-, ent-, ...
Kombiniere Wörter und Silben. Schreibe einen Text, z.B. eine Anleitung zu irgendetwas oder eine kurze Geschichte. Schaffe kreative Übergänge und verfremde das gefundene Material weiter, z.B. das
Splintholz wegschlafen, die Aus- und Einkunft zertrinken. Zur Inspiration empfehle ich das Hörbuch "Lesen gehn..." mit Gedichten von Oskar Pastior - oder den folgenden Text, der vielleicht
nicht ganz dadaistisch ist, aber dafür schön absurd:
Schlafrausch
Sie hatten einander zugezwungen und das gemeinsame Leben erprostet. Er im Schlafrausch, sie im Negligé. Genossen in hellen Omnibussen. Kein Wagen zu rostig, kein Schienbein zu viel. Hatte er sie
getreten zu gehen, allein: Sie blieb. Hinter dem Vorhang, doch unter der Wiese, die kein Golfschlag je zerrieb. Der Labrador entsagte. Blutsinnig und wutend gerieten sie, mit lockigen Schädeln
ineinander geschubbert. Die Putzfrau fand nur noch die Krümel im Bett. Lästig und liebreich kletterten sie auf der morschen Leiter des Glücks. Fehlkontrolle, Dateien und Hellebarden waren meliert
und gehörten gehasst, zerborstet im Wellenspiel des Liebesguts. Wie Strandpapier schmirgelt deine Wonne, wie Pampelmuse klebt dein Kraut. Wo Sinn, wohin? Kein anderes Tier.
(erschienen in: Literaturzeitschrift & radieschen - Heft Nr. 21: Schund und Fund & radieschen)
Als ich ein Kind war, stand in unserem Hof ein riesengroßer Apfelbaum. Seine Früchte waren sauer und holzig. Man konnte sie nicht roh essen, doch meine Mutter verwendete sie als natürliches Geliermittel. Sie war eine hingebungsvolle Marmeladenköchin: aus Brombeeren, Stachelbeeren, roten und schwarzen Johannisbeeren, Erdbeeren und gelben Pflaumen zauberte sie wunderbare Gelees und Marmeladen - selbst dann noch, als es ihr schon nicht mehr gut ging. Als Kind half ich beim Einkochen, später bekam ich die Marmelade bei meinen Besuchen mit auf den Heimweg. Ich wusste: eines Tages würde die letzte Marmelade aufgebraucht sein. Und so kam es auch.
Trotzdem ist meine Speisekammer gut gefüllt: Da steht plötzlich zur Marmeladensaison ein bunt gefülltes Glas auf meinem Schreibtisch, oder eine Freundin, die einen Schrebergarten bewirtschaftet, zieht beim Kaffeetrinken lächelnd ein Einmachglas aus ihrer Handtasche. Und selbstverständlich kehre ich von der Reise zu Mutters Cousine mit einer Reisetasche voller Kostbarkeiten zurück.
Oft ohne es zu wissen, berühren Menschen immer wieder meine Marmeladenseite - die Stelle, an der meine Mutter fehlt. Nur ganz leise meldet sich dann Traurigkeit. Der Rest ist reine Freude. Und Dankbarkeit, dass es in meinem Leben eine Reihe Marmeladenmenschen gibt.
Das Jahr ist gut gestartet: Nach meinem Umzug vom 1. Stock ins Erdgeschoss habe ich Lust, auch hier im Künstlerhaus Kurse anzubieten - vor allem für die treuen Fans der meiner Schreibwerkstatt an der VHS, denen sonst die Zeit bis zum nächsten Kurs zu lang wird.
Ideal auch für Interessierte, die meine Schreibwerkstatt kennenlernen wollen - denn jeder Abend ist einzeln buchbar.
Hier geht es zu den Einzelheiten wie Anmeldung, Kosten, Termine.
es gibt Kellerworte
und Dachbodenworte
manche lagern tief
in den Regalen
vor langer Zeit gepflückt
und eingeweckt
Wortkonserven
für sprachlose Zeiten
Worte wie Himbergelee
und Essigkurken
die anderen verstauben
unterm Dach
vergessen
vererbt
von oben herab
dazwischen die Wörter
für den Hausgebrauch
notwendig
praktisch
und gewöhnlich
Wörter, die den Betrieb am Laufen halten
Küchenwörter
unter dem Türstock und
am offenen Kühlschrank gesprochen -
und immer noch sammle ich sie
jage sie mit gespitztem Bleistift
Schublade um Schublade öffne ich
breite alles auf dem Boden aus
erwähle und füge sie
herausgeputzt
zurechtgestutzt
zu Sätzen
und poliere
bis sie glänzen
Gedichte kennen keinen Abspann
kein making-of und
keine Bonustracks
Die japanische Gedichtform des Haiku harmoniert, obwohl wesentlich älteren Ursprungs, vorzüglich mit dem Stil der Neuen Sachlichkeit: Das Haiku ist konkret, fängt
einen Augenblick ein und beschreibt (in seiner strengen Auslegung) nur das äußerlich Sichtbare. Gefühle entstehen aus dem Raum zwischen den Worten. Es eignet sich hervorragend, um die
Wirkung in Worte zu fassen, die das Bild auf die Schreiberin hat:
Mundwinkelrote
Farbflecken. Sogar Preise
erhält man dafür.
Birgit Honikel
Vollbrachtes Tagwerk
Schleppt sich den Hang hinunter
Eiskalte Abenddämmerung
Sita Angelika Völkel nach einem Bild von Carlo Mense:
Verschneiter Wald im Riesengebirge, um 1932
Otto Dix malte bevorzugt markante Frauen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprachen. Zu Ihnen gehörten Wally Gäbler und ein Fräulein Sonnemann.
Fräulein Sonnemanns Modell-Monolog hieß denn auch die Schreibanregung, aus der diese beiden Texte entstanden sind: Was denkt die Frau, während sie dem Meister Modell sitzt, und was empfindet sie beim Betrachten des eigenen Bildnisses? Findet sie sich schön? Fühlt sie sich fremd? Geniert sie sich? Warum hat sie eingewilligt, Modell zu sitzen, und wie denkt sie über Malerei?
Sita Angelika Völkel, langjährige Betreiberin der Galerie am Ölberg, hat zwei Bildnisse ausgewählt und sich vortrefflich in die beiden Modelle hineinversetzt. Vielleicht war es wirklich so - oder doch ganz anders?
Ende November war es wieder so weit: Ich konnte eine kleine Schreibgruppe im Kunstforum Ostdeutsche Galerie begrüßen. Manche Teilnehmerinnen waren schon zum dritten, vierten Mal dabei, eine andere stieß neu dazu. Diesmal widmeten wir uns der Ausstellung Messerscharf und detailverliebt. Werke der Neuen Sachlichkeit.
Die Neue Sachlichkeit fand ihren Niederschlag auch in der Literatur (Werke von Erich Kästner, Mascha Kaléko oder auch Alfred Döblin sind hier einzuordnen). Daran lässt sich anknüpfen. Doch die Bilder sprechen auch für sich: Im Triptychon von Britt Dalen Laux sind Form und Bildinhalt in Text übersetzt.
Was ist kreatives Schreiben? Eine Antwort darauf habe ich hier schon einmal
versucht. Normalerweise unterstelle ich beim kreativen Schreiben in der Gruppe, dass das Geschriebene erfunden ist - auch wenn es einen Ich-Erzähler oder Erzählerin gibt. Niemand soll sich
rechtfertigen müssen, wie viel Biografisches im eigenen Text steckt. Wir sprechen über den Text und nicht über den Autor, so formulierte es meine Wiener Schreiblehrerin Christa
Brauner.
Beim Biografischen Schreiben hingegen wecke ich gezielt Erinnerungen an selbst Erlebtes, hier ist schon klar: Wir tauschen uns tatsächlich über unser Leben aus. Manchmal klappt diese Abgrenzung,
manchmal auch nicht - und manchmal wäre sie sogar störend. Hier ist Fingerspitzengefühl vonnöten. Vor allem soll niemand das Gefühl haben, beim Schreiben und Vorlesen mehr zu offenbaren, als ihr
oder ihm lieb ist.
Bei der Kreativen Schreibwerkstatt, die ich am Wochenende für den Katholischen Deutschen Frauenbund anleiten durfte, hielten sich die Frauen nicht lange mit solchen Feinheiten auf. Kreatives Schreiben hieß für sie: Erlebtes aufs Papier bringen, eigene Gedanken, Beobachtungen, Entwicklungen. Familiäres, Gesellschaftliches, Trauriges und Hoffnungsfrohes, Erinnerungen und Bestandsaufnahmen. Sie vertrauten mir und den teils bewusst irritierenden Schreibanregungen, und ich durfte ihnen vertrauen: Alles, was sich zeigte, durfte sein, in einer Atmosphäre der Wertschätzung und des respektvollen Austausches. Schreiben wirkt.
Selten habe ich das so gespürt wie an diesem Wochenende im Apostolatshaus der Palottiner. Poesie und literarische Qualität stellten sich wie nebenbei ein; die Texte berührten auf so vielen anderen Ebenen.
Die meisten Frauen stehen an der Schwelle "zu einem neuen Leben" (wie es eine von ihnen ausdrückte): Nach dem Berufs- und Familienleben und erfüllten Jahren im Ehrenamt nehmen sie sich nun die
Freiheit, ihren eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Sich für sich selber Zeit zu nehmen, zum Innehalten und bewussten Schauen: Nach vorne und zurück. Ich spürte die Kraft dieser Frauen, die meisten
davon Mütter und Großmütter.
Meine eigene Mutter starb heute vor einem Jahr.
Das Trauerjahr ist um, und ich habe noch so viel nachzuspüren und einzuordnen. Am traurigsten machen mich die Dinge, die sie nicht leben konnte. Sie forderte so wenig für sich und ging zu früh.
Auch in der Frauenschreibwerkstatt war die Rede vom Herbst des Lebens, aber auch von neuem Aufbruch. Am Ende meines Trauerjahres helfen mir diese Geschichten, den Blick auf das Gelebte zu lenken.
Auf das was war und nicht auf das, was vielleicht hätte sein können. Die Kraft und Poesie des gelebten Lebens ist stärker.
zweiundzwanzig
Schichten über der Stadt
kitzeln Schattentropfen die Fassaden
die Dächer tragen Spuren von Riesen
im Teerpappengranulat
darunter Stein auf Glas auf Stein
die stummen Wände
der Hochfinanzhäuser
ein Flirren von Verkehr und Hitze
36 Grad im Schatten
den es nicht gibt
und 60 km/h auf dem
Asphalt
weiße Streifen, die bei Grün
die Brandung teilen
ohne Gischt
Musik aus beweglichen Innenräumen daneben
Motoren und Rollgeräusche
scharfe Strahlen kratzen
an Fassaden und mulchen
den Gehsteigrand
unbeteiligt die Haltestelle
ohne Bus
ohne Fahrgäste
bei Rot
steht die Zelle
im Vakuum
bereit an der einsamsten
aller Straßen
eine Sekunde
Es sind nicht meine Erinnerungen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Fahrt nach Frankfurt-Ginnheim immer schon eine kleine Zeitreise war. Gut zwanzig Minuten mit der Straßenbahn, und man
ist nicht mehr in der Bankenmetropole, sondern in einem kleinen beschaulichen Dorf mitten in der Stadt. Das höchste und markanteste Gebäude, das man von hier aus sieht, ist der Ginnheimer Spargel
oder auch Europaturm, dessen Spitze nachts magentafarben leuchtet. Ginnheim selbst an einem Freitagnachmittag im August: Eine Feierabend-Oase; köstliche Gerüche und Geschirrgeklapper aus dem
Gasthof Adler. Mein Begleiter kennt den kroatisch geführten Gasthof noch aus "seiner" Frankfurter Zeit, und auch das Fahrradhaus Wagner gibt es noch - seit 1929 schon. Vorbei an schief herunter
gelassenen Jalousien, die stille Straße hinunter, kurz anhalten und einen Feierabendradler vorbeilassen, an der Kreuzung bei der kleinen Kirche - und wieder bleibt mein Blick an einem
öffentlichen Automaten hängen. Diesmal keine Telefonzelle, sondern ein Automat - für was eigentlich? Kleine Figürchen, vielleicht auch Kaugummi. Ein abgerissener Aufkleber, jetzt auf SUPER...
was? Das wird für immer ein Geheimnis bleiben. So super sieht der Metallkasten ohnehin nicht mehr aus. Wahrscheinlich hat hier schon lange keiner mehr seine Münzen hineinversenkt in der Hoffnung
auf eine kleine Überraschung. Braucht die Welt keine Überraschungen mehr? Ist so ein Jahrmarktvergnügen sinnlos und langweilig geworden? Und warum hängt der Kasten dann noch da? Wahrscheinlich,
weil er von der Modernisierung vergessen wurde, so wie auch dieses gemütliche Stadtviertel im wesentlichen immer noch so daliegt wie vor fünfundzwanzig Jahren. Viel Grün, viel Fassade, ein wenig
bröckelig. Manches an der Grenze zum Heruntergekommenen, doch die Abendsonne vergoldet alles. Auf einen Apfelwein und Grüne Soße (die in der Innenstadt mittlerweile auch als Salsa Verde
deklariert wird) in den Adler. Oder ein Cevapcici.
Sie haben Wände aus Glas, eine Tür und dieses grau-magentafarbene Interieur. So ziemlich alles an ihnen ist gerade, im Winkel. Sogar der Hörer. Nur die Tasten sind leicht abgerundet. Hinein geschraubt in diese eckige Abgeschlossenheit: Der klobige Telefonapparat, sein Deckel waagrecht. Eine kleine Konsole, auf die man beim Telefonieren ein Notizbuch auflegen kann, gleich neben die verendeten Insekten. Zweckmäßig ist das. Wer kommuniziert, möchte Informationen erhalten und sie festhalten. Vielleicht aber auch nicht. Ich erinnere mich noch an die Zeit in meiner allerersten Wohnung, ohne Telefon und ohne Handy. Die so genannte fernmündliche Kommunikation erforderte einen Spaziergang zu einer der wenigen Telefonzellen im Ort. Die war damals noch pummelig gelb und wenn man Glück hatte, hob der andere auch ab. Liebesworte wurden ausgetauscht, ein Stelldichein vereinbart. Zumindest aber war es trocken in diesen Zellen und manchmal auch warm; vielleicht auch stickig. Als die ersten Handys aufkamen, sah man manchmal noch Menschen damit in Telefonzellen Zuflucht suchen. Heute sind diese kleinen Wind- und Wetterschutzhäuschen weitgehend aus dem öffentlichen Raum verschwunden; öffentliche Telefone hängen an minimalistischen Stelen unter einem Stummeldach.
Umso überraschender, wenn ich hin und wieder doch auf eine dieser letzten echten Zellen treffe. Ein Exemplar steht beispielsweise hier in Regensburg neben dem Goethe-Gymnasium. Doch in einer Zeit, in der schon Grundschüler von ihren Eltern mittels Handy fernüberwacht werden, ist sie überflüssig geworden. Wahrscheinlich hat noch niemand außer mir bemerkt, dass das Telefon nicht mehr funktioniert. Entschuldigung, zur Zeit gestört, steht auf dem Display zu lesen. Stören tut das wahrscheinlich niemanden.
Mir wird hin und wieder ein ungewöhnlicher Sprachgebrauch bescheinigt: Worte und Formulierungen, die - aus dem Bauwesen entlehnt und in einen erzählerischen Kontext gebracht - poetisches Potenzial aus ihrer Fremdheit schöpfen. Meist fällt mir das gar nicht auf, bis jemand irritiert oder auch bezaubert reagiert. Ähnlich geht es mir auch mit einem Text, den ich hier gerne vorstellen möchte: Er stammt aus einem Flyer, der neulich meiner Brottüte landete und mir Einblick in die "Backphilosophie" meiner Lieblingsbäckerei verspricht.
Authentische Sprache schafft Vertrauen
Da ist die Rede von einer 5stufigen Sauerteigführung: Die einzelnen Teigstufen vom Anstellgut und Anfrischsauer über Grundsauer, Vollsauer und schließlich Teig stellen sich hier unbeeindruckt von meinem backhandwerklichen Laienstatus vor. Aha!, der Teig wird also von kompetenter Hand geführt und nicht etwa sich selbst überlassen, wie ich, die ich gelegentlich schon Brot gebacken habe, mir das vorstelle. Das schafft Vertrauen, genauso wie der Sprachduktus. Zwar kommen die Passivkonstruktionen darin manchmal etwas unhandlich daher, wirken jedoch authentisch: Hier spricht der Meister selbst und nicht etwa irgendein Marketingstratege. Im Textteig sind Mitteilungsbedürfnis (Merke: bei E. besteht das Brot nur aus Mehl, Wasser, Sauerteig und Salz - sonst nichts!) und Leserorientierung harmonisch verknetet. Man erfährt detailreich, wie die Backwaren entstehen, welche Sorten es gibt und warum man sie kaufen sollte.
Anschaulich und (un)verständlich?
Und so ganz nebenbei entfaltet die Fachsprache ihre poetische Wirkung: Da ist die Rede von spitzen Säuren und rundem Brotgeschmack - ich weiß nicht, ob das alltägliche
Bäckersprache ist, aber die Formulierungen schmecken anschaulich und einleuchtend. Und der Sauerteig ist so gesund und stark wie der Text an seinen besten Stellen: Unser Sauerteig ist immer
noch der von meinem Großvater. Die Bäckerei E. kauft niemals Sauerteigkulturen. Leider erfahren wir nichts über den Enkel, der jetzt offenbar die Bäckerei führt und den Sauerteig im Rhythmus
des Mondes pflegt. Und von einem freigeschobenen Brot habe ich eine Vorstellung, die freilich unter dem Vorbehalt des Missverständnisses steht. Wir lesen dann noch über Bio-Vollkornbrote
und -flocken, Keimsprossen und Butter, und - madre mia! - über die Masa Madre, Rohmaterial für das schwierigste Produkt, das bei uns gebacken wird: die Panettone. Didaktisch
einwandfrei, wiederholt der Text am Ende noch einmal die 5 Stufen der Teigführung und knüpft damit an den Zauber der ersten Seite an.
Jede(r) von uns spricht eine unverwechselbare Sprache
Und was lernen wir daraus? Jeder und jede von uns spricht eine individuelle Sprache, die sich aus den eigenen Erfahrungen und aus Fachwissen speist. Machen wir uns bewusst, worin sich unser
Vokabular und unser Stil von dem anderer Menschen (außerhalb unseres Fachkreises) unterscheidet - zum einen, damit wir unsere Leserschaft nicht mit unverständlichem Fachchinesisch überfordern -
zum anderen lässt sich gerade dieses Vokabular als Sprachmaterial für kreatives Schreiben nutzen. Holen wir uns Feedback von außerhalb: Welche Textstellen sind gut verständlich, wo erfährt man
Neues auf nachvollziehbare Weise? Was klingt interessant, was bleibt schleierhaft? Welche Begriffe sind unbekannt?
Wort-Schätze: Irritation und Bereicherung
In allgemeinverständliche Alltagssprache eingebettet, sorgen diese Wort-Schätze für Irritationen, für Aufmerksamkeit und neue Bilder - nicht nur bei unseren Lesern, sondern auch bei uns selbst.
So können originelle Gedichte entstehen oder ausdrucksstarke Prosa abseits abgegriffener Metaphern. Texte, die bewusst von ihren Schreibenden geführt werden und die man nicht einfach nur gehen
lässt. Texte stark wie Sauerteig.
Die heißen, hellen Tage und warmen Abende ziehen dich nach draußen ans Wasser und in den Schatten. Du bewegst dich nicht mehr als notwendig, und auch geistige Anstrengung fällt jetzt schwer.
Etwas schreiben, nur so zum Vergnügen - das ist wohl doch eher was für neblige Herbsttage, denkst du... Oder? Gerade der Sommer zwingt zur Langsamkeit, lädt ein zum Dösen und absichtslosen
Dahintreiben. Ideale Bedingungen dafür, dass Kreativität sich zeigen kann - wenn du nur ein wenig offen dafür bist. Hier ein paar Tipps, wie du dich in einen "empfänglichen" Zustand versetzen
kannst, der Sommer-Schreibideen sprudeln lässt:
Die Trägheit des Sommers nutzen
Die Hitze dringt in die Tiefen deiner Muskeln vor und legt dich beinahe lahm - dann nimm etwas zu trinken, dein Notizbuch und eine Strandmatte, und lege dich unter einen Baum. Schau in den Himmel
über dir: Erkennst du Muster in den Blättern? Welche Form haben die Wolken, und ist da vielleicht ein Flugzeug mit Kondensstreifen? Schließe die Augen und spüre die Wärme, das sinnliche Gefühl
auf deiner Haut. Lass deine Gedanken schweifen. Träume. Träume von der Sahara, von heißem Sex, von einem Segelboot. Vielleicht erscheint eine Figur, die deine nächste Geschichte tragen kann. Oder
dir kommt eine Idee für ein Gedicht. Notiere einige Wörter und Sätze. Später kannst du damit arbeiten.
Die Welt (neu) sehen
Bewege dich langsam, der Hitze angemessen. Woran merkst du, dass es Sommer ist? Wie verändert sich deine Umgebung? Neulich fuhr ich zum Beispiel mit dem Fahrrad hinter einem Mann her, den ich als
Touristen einordnete - unter anderem wegen seines Schlapphuts und der kurzen Hosen mit den vollgestopften Cargotaschen. Vor allem aber wegen der urlaubsmäßigen Langsamkeit. Seine Art einen Fuß
vor den anderen zu setzen war so seltsam, dass ich dachte, er würde sich dabei rückwärts bewegen. Bestimmt kennst du auch solche flüchtigen Begegnungen, bei denen dich etwas irritiert oder
belustigt. Das sind Details, die du später einer Figur andichten und mit der du sie einzigartig machen kannst. Jetzt im Sommer besuchen interessante Menschen deine Heimat - oder du bist selbst im
Urlaub, in einer fremden, inspirierenden Umgebung. Betrachte die Welt mit forschenden Augen - das geht sogar auf dem Weg zur Arbeit.
Südliche Gefühle pflegen
Im Sommer findet viel mehr Leben auf der Straße statt, Biergärten und Caféterrassen haben Hochkonjunktur. Genieße es - verabrede dich einmal mit dir selbst! Breite ein Blatt Papier neben deiner
Cappuccinotasse aus, notiere Geräusche und Gesprächsfetzen und schau, was sich in offenen Fenstern tut. Siehst du Gardinen wehen? Oder sind alle Fenster dicht verschlossen? Lehnt sich von Zeit zu
Zeit jemand heraus und beobachtet wie du die Straße? Was bewegt sich hier, wie ist die Stimmung? Und wie fühlst du dich selber im Moment? Wenn du in poetische Stimmung kommst, mache eine Liste –
und daraus ein Gedicht oder eine kleine Alltagsreflexion.
Sommergeräusche
Auch von zu Hause aus kannst du die Welt des Sommers einfangen - du musst nur auf die Geräusche lauschen: Den Schwall von Wasser, der sich abends aus dem Blumenkasten über dir ergießt. Ein
bisschen was spritzt auch auf deinen Balkon. Kinder, die bis in die Dämmerung hinein Fußball spielen. Gelächter und Rufe. Die Durchsagen aus dem Freibad, die zu dir herüberklingen und das leise
Rascheln der Blätter, wenn endlich ein kühlender Wind aufkommt: All das kann Geschichten in Gang setzen und sie mit Leben erfüllen. Wie der Mann, der so langsam geht, dass er sich rückwärts zu
bewegen scheint.
Deiner Schreibstimme lauschen
Stimmungen, Geräusche, menschliche Eigenarten: Je öfter es dir gelingt, dir Beobachtungen und Gedanken bewusst zu machen, desto wacher wirst du dafür. Während du versuchst, sie in die richtigen
Worte zu fassen, kultivierst du deinen individuellen Blick auf die Welt - und deine eigene Schreibstimme.
unterwegs nicht
mobil erreichbar
weit entfernt
für Augenblicke
intim mit der Welt
unterm Fenster
aus dem sich
die Mutter beugt
das Kind
unterm Arm
nebenan Gardinen
mein Dorf
in der Stadt
Espresso und Zeit
in kleinen Schlucken
Das ist ein Mrmpf. Es wurde letzten Donnerstagabend in meiner Schreibwerkstatt geboren, mit Hilfe einer Schere und eines Kugelschreibers. Es ist ein Zwitterwesen und wohnt in den Vogesen. Aber nur, weil sich das reimt. Es hat Flügel und Finger und Sehnsucht nach einem guten Freund. Ich denke, in meinem Schreibatelier am Whiteboard ist es gut aufgehoben: Von dort kann es gucken, was beim Schreiben so alles geschieht - und nachts unterhält es sich mit seinem Vorgänger aus einem anderen Kurs, dem Schwapir. Der Schwapir hat ein blaues Fell und schämt sich, weil er aussieht wie eine Kreuzung aus Schwein und Tapir. Deshalb musste er alleine bleiben - bisher.
fern tauchen Hügel
ins Silbergetüpfel
die Augen diesseits
am Strand bei den nackten
Sohlen auf Kies
wo die Wellen landen
zwischen Blütenperlen führt der Weg
am Wasser entlang
wo gespitzte Segel
den Himmel rammen
bis Dunst entweicht
geradeaus Schwimmen
lernen
auch wenn gerade
keine Bahn frei ist
Als ich gestern ins Atelier kam, ließen sich zwei der fröhlichen rot-gelben Tulpen jämmerlich hängen. Offenbar reichten ihre Stängel nicht bis zum Grund der Vase, und das Wasser war knapp
geworden. Ich füllte nach und wartete. Eine schien sich schon bald wieder aufzurichten, die andere blieb schlapp. Hatte ich sie umgebracht? Zum Glück nicht: Gestern noch vereinzelt traurig,
tragen jetzt alle Tulpen wieder ihre Köpfe hoch. Sie haben mir gezeigt, was sie brauchen, und sich schnell wieder erholt! So einfach ist das. Und ich höre auf den Rat der Tulpe: Zwar geht mir
manchmal auch der Saft aus, und ich hänge durch. Doch ich weiß auch, wie ich meine Reserven wieder auffüllen kann. Termine absagen, Schreiben in meinem Lieblingscafé. Oder mich im Schwimmbad an
den Massagedüsen suhlen. Und manchmal kaufe ich mir Blumen.
ein grünloser Gassenstrauch
wirft Schatten
um die Ecke
gebogen vom Pflasterwind
ein rauchblauer Blick
weht aus dem Fenster
dahinter ein Klagelied
ein rostbraunes Tor
schweigt neben dem Auto
in parkausweistürkis
VW Polo, alt
rote Schrift im absoluten
Halteverbot
in jeder Zeile
ein Rufzeichen mehr
unterm Scheibenwischer
eine Sonne
die den Morgen in Zonen zerteilt
lichtkalt und dunkelfeucht
das Flussbett der Naab
ist die Schlafstatt der Fische
an der Mündung des Tages
in die Nacht
Wolkeninseln fallen
zwischen die Farben
des Himmels und
alles ist tiefer:
das Dunkle
das Helle
die Farben
das Grau
Gestern habe ich es auf ungefähr 15 Kilometer gebracht - zu Fuß in Etappen von jeweils 3 Kilometern; früh, mittags, abends. Der Schnee machte mir das Radfahren zu gefährlich und den Bus nehme ich nur im Notfall. Und heute? War ich zum Langlaufen querfeldein an der Donau! Mit einem Abstecher quer durch den kleinen Park voller Glitzerschnee bis an den Weinweg, denn der Badebereich an der Schillerwiese wird ja gerade umgebaut und eine Teilstrecke des Donauradweges ist gesperrt. Beim Langlaufen war ich übrigens nicht die einzige: Bald nach dem Einstieg an der Autobahnbrücke beim Pfaffensteiner Wehr stieß ich auf eine weitere Spur, und einmal hatte ich sogar Gegenverkehr. Trotzdem, das Schilaufen mitten in Regensburg lässt die Leute aufschauen und man kommt ins Gespräch. So bestätigte mir eine Dame, dass sie schon einmal eine gespurte Loipe im Stadtwesten gesehen habe. Und meines Wissens verfügt das Gartenamt auch über ein Spurgerät. Eine kleine Recherche fördert einen Loipenplan von 2013 zutage, mit Strecken auf den Winzerer Höhen oder von Kareth nach Tremmelhausen. Traumhaft muss das sein! Nur leider ist es selten, dass in Regensburg einmal ausreichend Schnee fällt und dann auch noch liegen bleibt. Heute jedenfalls fing er nach einer Stunde auch schon wieder an zu kleben - Spaß gemacht hat es trotzdem und die neue Langlaufausrüstung ist eingeweiht! Morgen probiere ich es auf den Radlweg zwischen Wenzenbach und Falkenstein - natürlich nur auf einer Teilstrecke dazwischen ;-)
Meine Mutter hat mir das Schuheputzen beigebracht - und ich hasste es. Heute zähle ich es zu meinen wertvolleren lebenspraktischen Fähigkeiten. Schuhe säubern und trocknen lassen; eincremen,
wieder trocknen lassen und schließlich glattpolieren. Zumindest dieser letzte Arbeitsgang ist mit einer gewissen Befriedigung verbunden: Es ist wieder mal geschafft, die Schuhe glänzen. Oft genug
staune ich dann über die Schönheit meines Schuhwerks. Und wie immer schwindet der Drang, mir Neues zu kaufen: Das Alte war doch klug gewählt, ist haltbar und formschön - so lange es gut gepflegt
ist.
Doch was, wenn findige Designer einem einen Strich durch die Rechnung machen? Der allseits in Mode gekommene Vintage-Chick zum Beispiel: Dinge, die wirken, als wären sie in Ehren gealtert. Jeans
im Used-Look, Lederjacken die aussehen, als hätten sie schon ein Vierteljahrhundert auf dem brüchigen Buckel, den abgewetzten Ärmeln. Dinge, die einen Charakter vorspiegeln, den sie noch gar
nicht erworben haben können.
Wie diese Winterstiefel von Mustang, aus dem winzigen Schuhladen am Fuße der Burgruine in Kallmünz: Faltiges Leder mit einer staubig-verwitterten Oberfläche, das innere Bilder aufsteigen lässt
von Cowboys, die tagelang durch menschenleeres Gebiet voranreiten, mit ihren tapferen Pferden durch Flussbetten preschen, dass das Wasser nur so aufspritzt. Mit Stiefeln an den Füßen, die sowohl
dem Wasser als auch dem rauen, sandigen Wind trotzen. Stiefel, die abends vor dem Lagerfeuer ausgezogen und getrocknet werden.
Was passiert nun, wenn man diesen Stiefeln mit Wasser, Seife und Schuhcreme zu Leibe rückt? Richtig: Am Ende glänzen sie völlig unromantisch, nur die Falten sind noch da. Bleibt zu hoffen, dass
sie durch Gebrauch, Vernachlässigung und Tausalz wieder jene wild-romantische, cowboymäßige Patina annehmen, die ihnen zusteht.
"Jeder Schriftsteller weiß, was es bedeutet, drei, vier Textversionen zu schreiben und alle zerknüllt in den Papierkorb zu werfen. So ist es einmal auch mir ergangen. (...) Als ich sie aus dem Korb nahm und ein bisschen glättete, ging mir blitzartig auf, was dem Text gefehlt hatte: nämlich das Zerknüllen."
Die Gläser sind voll sandigem Staub. Die Zeitung lässt sich nicht mehr umblättern, seit Zement zwischen die Seiten geraten ist. Im Kühlschrank lagern wärmedämmende Ziegel. Das Bett wurde gegen den Dachstuhl getauscht, nachts leuchten die Sterne durch den halbfertigen Kamin. Rohre atmen leise. Wasser rasselt unterm Keller. Maßzeichnungen zieren das Klo. Ein Metermaß für mein Kuchenrezept! Im Ofen simmert Dichtungsschlämme. Dachpfannen geben den Ton an. Eine Wand nach der anderen putzt sich heraus. Das Kranauge sieht alles. Die Säge kreißt und gebiert sieben neue Sägen: Handsäge, Stichsäge, Kreissäge 2, Schattenfugenfräse, Laubsäge, Fuchsschwanz und Motorsäge. Und ewig schweigen die leeren Wälder. Ein Lastwagen kommt zu Besuch. Der Bagger verschläft und kommt erst wieder zu sich, als der Fäustling ihn trifft. Hammer und Meißel geben sich ein Stelldichein. Stahl und Glas verabreden sich zu einem Date. Beton ist Beton, und Schlamm ist Zufall. Zwei Zangen begreifen sich nicht. Stromausfall: Der Zufallsgenerator springt nicht an.
Josef bzw. Josip aus Bulgarien ist nach wie vor in Regensburg unterwegs. Er campt immer noch in einem Zelt irgendwo auf den Höhen, und die dichte Schneedecke wärmt sogar - ein bisschen wie in
einem Iglu, schätze ich. Heute treffe ich ihn beim Autobahndeckel am Hochweg, und wir verabschieden uns nachlässig, denn sicherlich kreuzen sich unsere Wege noch öfter - oder? Es ist wirklich
wahr. Mir drei zufällige Begegnungen in Folge auszudenken, das verbietet die Schriftsteller-Ehre...
grau gähnt der Himmel
über dem schlafenden Garten
und atmet endlos aus
wovon träumen Rosen?
die Hochstämmchen
fest in Jute gewickelt
trotzen sie
dem Jahreslauf
beschnitten
den Schneeschleier im Nacken
ein Eisnadelwind
wiegt Gräser
in den Winter
Auf meinem täglichen Spaziergang über die Winzerer Höhen treffe ich den Weltenbummler wieder. Zuvor sind dicke, dunkle Wolken das Donautal hinunter gezogen und haben ein Schneegestöber ausgelöst,
in dem sowohl Kareth als auch die Domtürme kurzzeitig verschwanden. Das dünne Weiß vermag die braunen Felder und grünen Wiesen nicht ganz zu bedecken, doch etwas winterlicher ist es nun -
endlich. Dann reißt die Wolkendecke wieder auf. Während Teile der Landschaft im Nebel liegen, gleißt bei Mariaort die Sonne auf dem Fluss und der Himmel leuchtet. Von irgendwoher höre ich meinen
Namen rufen; auf dem Grillplatz brennt ein lustiges Lagerfeuer. Der Weltenbummler hat im Zelt übernachtet, seine Outdoor-Ausrüstung ist gut in Schuss, nur etwas trockener könnte es sein, aber das
Schneetreiben hat dem Weltenbummler und seinem Feuerchen nichts anhaben können. Ein Wintermärchen! meint er nur. Wir plaudern ein wenig, zwischendurch ruft ein Freund aus Bulgarien an, eine
Telefonnummer wird notiert und ich verstehe sogar zwei, drei Zahlen, weil sie ähnlich wie im Tschechischen klingen. Nula (okay - das ist nicht schwer :-)) und dva (zwei). Den Freund hat mein Weltenbummler - ebenfalls auf Wanderschaft - bei
einer Reise durch seine bulgarische Heimat kennengelernt. Wobei es diese Heimat, die er mir als entrücktes Naturparadies schildert, so nicht mehr zu geben scheint. Hinter den munteren Worten
schimmert eine Entwurzelung durch, ausgelöst von politischen und persönlichen Verwerfungen.
Schließlich gesellt sich noch ein Grüppchen Spaziergänger zu uns, drei Erwachsene und zwei Mädchen. Sie haben Punsch dabei und Josef, der Bulgare auf Wanderschaft, teilt Schokolade aus. Als ich
zu Hause ankomme, ist es schon fast dunkel, und ich bin froh, dass ich nicht in einem Zelt oben auf den Höhen übernachten muss. Josef will es so. Und er weiß das Alleinsein auf Reisen zu
gestalten.
Von den Winzerer Höhen her kommend, spaziere ich über den Fußgängersteg bei Pfaffenstein. Just in diesem Moment schiebt ein Frachtschiff seinen Bug unter der Brücke hindurch, Trapezbleche gleiten
einladend nah vorbei. Wie leicht es wäre, jetzt zu springen! Ob sie mich wohl mitfahren ließen?
"If you were James Bond...", sagt plötzlich eine Stimme neben mir.
"... I would have jumped!", vollende ich den Satz vergnügt. "I just thought about it!"
Ich drehe mich nach links und erblicke den Mann, der meine Gedanken erraten hat: Er ist nicht sehr groß und trägt einen stattlichen Rucksack. Aus seinem nicht mehr ganz jungen, dreitagebärtigen Gesicht blicken dunkle Augen, in denen sich die ganze Welt zu spiegeln scheint. Und richtig: Wien, Regensburg, die Bahamas, New York, Chicago und Marbella sind nur einige der Stationen, an denen sich der Sportarzt jeweils für einige Zeit niedergelassen hatte. Das erzählt er mir jetzt in gutem Deutsch mit osteuropäischem Akzent. Wir gehen ein Stück zusammen. Meine eigenen Reiseerfahrungen nehmen sich eher bescheiden aus: Urlaube in Europa, ein Auslandssemester in Dänemark, Sprachferien in Spanien und freundschaftliche Verbindungen nach Österreich und in die Schweiz. Umso lieber mag ich die Reisegeschichten anderer - und den ungewöhnlichen Blick auf uns, die Deutschen. Kaum ein anderes Volk, das so viel wandert, sagt mein Weltenbummler. Das ist doch was! Auch ich bin eine Wandererin. Mit den Füßen und im Herzen. Als Jugendliche wollte ich einmal Binnenschifferin werden, und noch heute packt mich beim Anblick der Containerschiffe manchmal das Fernweh - nach nördlichen Häfen und den Orten, zu denen man von dort aus aufbrechen kann. Inzwischen sind wir auf der Südseite des Wehres angekommen.
"Das nächste Mal springen Sie!", sagt mein Bekannter und zwinkert mir zu. Dann wendet er sich in Richtung Westbad, und ich gehe in der entgegengesetzten Richtung davon.
Es ist die Abwesenheit
Von Schmerz und Fragen
Es ist die Abwesenheit
Von Antwort und Leid
Es ist die Abwesenheit
Von Schwere und Illusionen
Es ist die Abwesenheit
Von Geduld und Hoffnung
Es ist die Abwesenheit
Aller Wünsche und Pflichten
Es ist die Abwesenheit
Von Zittern und Not
Es ist nicht
Was es war
Doch es ist gut
Genau vier Jahre ist es her, dass ich für gut einen Monat nach Winterthur reiste, um dort ein Leben als Schriftstellerin auszuprobieren - als Untermieterin in der damaligen WG meiner Freundin und Schreibkollegin Edith Truninger. Es war eine Zeit nur für mich und mein Schreiben - wie ein Künstlerstipendium, das ich mir selbst gewährte. Die kleine Stadt zwischen den sieben Hügeln war mir sofort sympathisch mit ihrer lebhaften bunten Innenstadt und dem verträumten Ortsteil Veltheim, einem ehemals selbständigen Winzerdorf. Mehr als einmal wanderte ich durch die Weinberge und manchmal sah ich in der Ferne auch "echte" Schweizer Berge. Unvergessen das Frühstück mit Edith, bei dem wir unser erstes Schreibseminar entwickelten und ich ein Appenzeller Weizen genoss, was Edith sofort als bayerisches Element an mir identifizierte. Und das Schweizerische? Da war vor allem diese Sprache, die sich mir - selten verständlich - ins Ohr schmiegte, sich meist aber lustig entzog; außerdem meine Spaziergänge, die Einkäufe in der Migros und eine Tee-Verkostung (nachzulesen hier auf meinem alten Blog). Und natürlich das Schreiben: An Ediths Esstisch vollendete ich meinen Roman. Zurück blieben ein ungemein befriedigendes Gefühl und das bis heute unvermarktete Manuskript. Doch ich erinnere mich noch genau daran, wie gut es mir gelang, meinen Tag zu strukturieren: Mehrere Stunden schreiben, rausgehen und Kopf, Herz und Notizbuch mit neuen Eindrücken füllen, Texte überarbeiten und mit meiner Schriftstellerkollegin neue Projekte entwickeln - aus all dem ließ sich ein abwechslungsreicher Arbeitsurlaub gestalten. Vollzeitschriftstellerin bin ich seither nicht geworden - doch ich weiß, dass ich es könnte.
Why do you eat or drink? To stay alive, would you probably reply. I also need to write in order to stay alive. More precisely, writing helps me to figure out what I am actually doing here on this planet.
Peter Elbow, US-amerikanischer Schreibpädagoge, auf die Frage, was das Schreiben für ihn persönlich bedeute.
Woraus sind eigentlich Engelsflügel gemacht? Aus Federn wie bei einem Vogel - oder aus einem durchscheinenden, körperlosen Stoff? Sind sie dick und filzig wie ein Lodenjanker, oder bestehen sie
eher aus leichtem Funktionsmaterial, aufgespannt auf einem raffinierten Faltmechanismus aus Fiberglasstäben? Und brauchen Engel ihre Flügel, um sich in Arbeitspausen hoch oben in der Stratosphäre
zu erwärmen? Doch Engel frieren nicht, denkt Raffael. Wahrscheinlicher ist, dass die Flügel aus einem reißfesten Synthetikstoff gefertigt sind. Der hat bessere Flugeigenschaften und trocknet
schneller nach dem Flug durch die Wolken.
Doch wenn Raffael nachts nicht schlafen kann, spürt er den Engelsflügel schwer und tröstlich auf sich lasten. Wie ein altes Plumeau, dessen Federn schon ein bisschen klumpen, und dessen Kiele durch den Bezugsstoff pieksen. Dabei schmiegt es sich wärmend an seinen Körper. Wenn ihn morgens seine Gedanken wecken, wickelt sich dieses seltsame Etwas schützend um ihn wie die raue Zunge eines großen Hundes. Raffael weiß, dass ihm so nichts geschehen kann. Der Engel kommt und geht, genau wie seine Trauer.
du folgst dem fluss
auf nassen füßen
während das wasser
sich land holt
du suchst eine brücke
und findest
ein boot ohne ruder
legst dich hinein
und ziehst den himmel
über dich
das boot steigt bei regen
und fällt mit der dürre
zur mündung hin
so gleitest du
in die gezeiten
den wellen ausgeliefert
und nur dein boot weiß
wo du bist
bald lernst du
sturm und flaute auszuhalten
deine nächte
zählst du nicht
dann strandest du
auf einer insel
und merkst
dass du sie immer schon
bewohnst
... oder stehen auf dem Parkplatz. Gestern spricht mich vor dem Supermarkt eine Dame an, auf Englisch mit italienischem Akzent. Sie öffnet ihre große gelbe Plastiktüte, in der ich einige Gläser und Flaschen erspähe. Wo sie diese abgeben könne? Da fällt mir nur der Glascontainer in der Nähe meiner Wohnung ein, einen guten Kilometer entfernt von hier. Schon bittet mich die Frau, ihr Altglas zu übernehmen. Sie wirkt freundlich und ehrlich in Nöten: Heute ist ihr letzter Tag in Regensburg, und offensichtlich will sie ihre Ferienwohnung sauber hinterlassen. Das weckt irgendeinen verborgenen deutschen Gastgeberimpuls in mir - schon strecke ich die Hand nach der Tüte aus; sie müsse das Zeug auf keinen Fall mit nach Italien nehmen, versichere ich ihr. Sie verabschiedet sich erleichtert. Und ich lege die Tüte in den Kofferraum. Auf dem Heimweg frage ich mich: Was, wenn doch nicht nur Altglas drin ist? So genau habe ich schließlich nicht hingeschaut. Es könnten auch Drogen drin sein oder Waffen. Aber mein Instinkt sagt, dass alles in Ordnung ist. Außerdem bin ich neugierig, welche Geschichte der Inhalt der Tüte erzählt. Am Glascontainer hole ich eine Champagnerflasche und drei große Schraubgläser heraus, in denen sich laut Etiketten Sellerie bzw. saure Gurken befanden. Außerdem eine Flasche Wodka Imported from Russia, darunter kyrillische Schriftzeichen. Ich stelle mir ein italienisches Paar mittleren Alters vor, das für ein paar Tage Urlaub in der Domstadt macht. Was sind das für Leute, die in der kurzen Zeit eine ganze Flasche Wodka austrinken? Oder haben sie das Zeug von zu Hause mitgebracht? Und der viele Sellerie? Man sagt ihm ja potenzsteigernde Wirkung nach... Fragen über Fragen, die mich, wenn ich wollte, tief in eine Geschichte führen könnten. Wenn man nur ein bisschen die Augen offen hält und sich auf Begegnungen einlässt, bietet sich täglich jede Menge Stoff zum Schreiben.
Wanderungen, kleine Fluchten und große Fahrten - Aufzeichnungen von unterwegs.
Duden Verlag 2012
Vergangener Juli: Ich bin in Weimar, einer Stadt voller Musik und Poesie. Die Sonne scheint und das Caféhaus lockt; nebenan komponiert ein Mann mit langem schwarzem Haar, stumm und mit beiden Händen. Vor mir liegt eine Ansichtskarte. Sie zeigt das Sandmännchen neben einem Auto, das mutmaßlich einen Trabant darstellt. Daneben Schreiben auf Reisen, ein weiteres wunderbares Bändchen aus der Reihe "Kreatives Schreiben" des Duden Verlags. Genau wie Schreiben dicht am Leben gibt es viele praktische Tipps und kleine Schreibanregungen für unterwegs. Kapitel 10: Die Ansichtskarte: Erzählen Sie eine Geschichte, heißt es da. Nichts leichter als das! Das Sandmännchen, so sinniere ich, überlegt wohl, wie es mit seinem großen Kopf in das zu kleine Auto hinein passen soll - oder es fragt sich, ob es aus dieser von Baustellen umzingelten Stadt je wieder herausfindet. Hoffentlich geht es uns morgen besser, schreibe ich. Tage später bekomme ich eine besorgte SMS von der Empfängerin der Karte: "Geht's euch wieder gut? Was war denn los?"
Vielleicht habe ich doch übertrieben. Oder nicht deutlich genug herausgestellt, dass es die Geschichte des Sandmännchens ist und meine abschließende Bemerkung nur eine Parallele. Vielleicht hätte
ich sowieso besser über den Komponisten am Nachbartisch schreiben sollen. Oder den allgegenwärtigen Goethe. Jedenfalls beschließe ich, das Kapitel Schreiben für andere vorerst zurückzustellen -
zugunsten der Vorübungen oder von Schreiben für mich selbst, bevor ich mich womöglich größeren Textprojekten, Reiseromanen oder -tagebüchern gar, zuwende. Wenn ich nicht
zwischendurch wieder an einem der zahlreichen spannenden Buchtipps hängen bleibe und mich festlese wie in Tomas Espedals Gehen oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen.
Doch nicht zuletzt ist das Schreiben selbst ein Reiseverkehrsmittel, das immer funktioniert - sogar vom eigenen Arbeitszimmer aus. Von dort führte ich auch eine kleine Korrespondenz mit dem
Sandmännchen, das mir ein Bild von sich schickte - unter der Voraussetzung, dass ich auf seinen Shop hinweise. Mach ich doch gerne, liebes Sandmännchen. Und viel Spaß noch im Berliner Prater.
Man möchte meinen, dass ein Schlüssel leichter verschwindet als ein Haus oder ein Auto. Trotzdem ist es oft umgekehrt: In einer vergessenen Schublade findest du einen Schlüssel, zu dem es gar kein Schloss mehr gibt. Er macht dich ratlos oder weckt Erinnerungen: An dein erstes Auto, das längst verschrottet wurde, oder das kleine Schloss an dem Tagebuch, das du mit fünfzehn führtest. Du bist schon mehrfach umgezogen, und es gibt Türen, durch die du nie mehr gehen wirst. Womöglich findest du den Schlüssel zu dem Haus in Schlesien, das deine Mutter verlassen musste, als sie ein Kind war. Vielleicht könnte er sogar noch eine Tür aufschließen. Doch dein Onkel, dem du den Schlüssel zeigst, nimmt ihn mit auf eine Reise nach Polen, wo er ihn in die Oder wirft.
Seit vier Monaten bin ich nun als Selfpublisherin unterwegs, mit meinem Roman Zwischen den Bäumen funkelt das Licht. Dabei habe ich sehr viel gelernt - Zeit für eine Zwischenbilanz!
Den Entstehungsprozess eines Buches kannte ich ja schon von meinen Verlagsveröffentlichungen, doch jetzt musste ich alles selbst organisieren und managen. Wie ein Projekt mit einem Budget, Zeitplan und externen Dienstleisterinnen oder in Eigenregie. Davon möchte ich euch heute erzählen und etwas weiter ausholen. Wenn euch nur einzelne Schritte interessieren, scrollt einfach nach unten und orientiert euch an den Zwischenüberschriften.
Die wichtigsten Schritte beim Selfpublishing: ein Überblick
Lektorat und Titelfindung: intensive Arbeit am Text
Nachdem ich mir Feedback geholt und die beste mir mögliche Fassung des Romans geschaffen hatte, beauftragte ich eine Lektorin - Barbara Lösel von Wortvergnügen. Sie arbeitete den Text durch mit Blick auf Logikfehler, Spannungsbogen, Figurencharakterisierung, Dialoge, Stil und vieles mehr. Wie üblich, bekam ich ein Dokument zurück, in dem ich alle Änderungsvorschläge und Kommentare nachvollziehen und bearbeiten konnte. Manches übernahm ich direkt, für anderes fand ich neue, eigene Lösungen.
Die Zusammenarbeit war mir wirklich ein Vergnügen! Frau Lösel hat mich ermutigt und meinem Buch den letzten Schliff gegeben.
Wir diskutierten auch den Klappentext und mögliche Titel. Ich muss sagen, der Titel kostete mich einiges an Kopfzerbrechen. Eine frühere Version lautete zum Beispiel Alles, was verschwunden war ... Ich befragte befreundete Autorinnen und einen KI-Bot, Frau Lösel und meine Träume ... und dann, ich weiß nicht wie, flog mir der aktuelle Titel zu! Ich war sehr erleichtert - auch darüber, dass noch kein anderes Buch diesen Titel trug. Es war wie eine Erleuchtung: Zwischen den Bäumen funkelt das Licht!
Buchsatz und Korrektorat: alles easy
Anschließend checkte Marion Voigt von Folio Lektorat gründlich die Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung. Ihre Sorgfalt gab mir noch mehr Sicherheit über die Qualität des Buches. Es ist nicht unbedingt notwendig, Korrektorat und Lektorat getrennt zu vergeben, doch es wird sehr empfohlen - einfach weil die Lektorin nach der intensiven Arbeit am Text möglicherweise auch nicht mehr alle Fehler sieht.
Und, was für mich neu war: Frau Voigt bekam von mir den fertig gesetzten Text und konnte so auch gleich Satzfehler korrigieren. Sie lobte mich für meinen Buchsatz, den ich mit Word gemacht hatte. Viele sagen ja, dass man dazu unbedingt ein professionelles Satzprogramm verwenden sollte. Doch mit den Möglichkeiten von Word lässt sich durchaus ein schönes, wenn auch schlichtes Drucklayout für einen Roman erzielen.
Die Sache mit dem Cover: setzt Löwinnenkräfte frei
Das Äußere meines Buches sollte zuallererst ein Gefühl für den Inhalt des Buches vermitteln - und zugleich marktgerecht und professionell sein. Deshalb beauftragte ich ein erfahrenes Designbüro. Meine Ansprechperson gab sich Mühe, meine Vorlieben und den Spirit des Buches aus mir heraus zu kitzeln. Bestimmt war der Entwurf auch professionell - doch nach jedem meiner Feedbacks schien das Motiv sich weiter von meiner Geschichte zu entfernen! Wenn ich mir vorstellte, mein Buch mit dieser Verpackung auf einer Lesung oder Messe zu präsentieren, spürte ein düsteres Gefühl in meinem Bauch statt prickelnder Vorfreude. Ich war ratlos: Was sollte ich jetzt noch tun oder sagen, um einen Coverentwurf zu bekommen, der mich begeistert?
Und dann erwachte eine Kraft in mir: So muss sich eine Löwenmutter fühlen, die ihr Junges verteidigt. Ich brach den Auftrag ab, bat um die Rechnung - und stand, was das Cover betraf, wieder ganz am Anfang. Das Budget war aufgebraucht, die Zeit drängte ... doch irgendetwas hatte der Fehlversuch in mir in Gang gesetzt. Also tat ich, was ich eigentlich nie hatte tun wollen: Ich öffnete das Onlinetool canva.com und machte mich selbst an den Entwurf. Zunächst nur, um über's Wochenende eine greifbarere Vorstellung von dem gewünschten Cover zu bekommen, mit der ich dann an neue Designbüros herantreten konnte ... Als gelernte Bauzeichnerin bringe ich ja ein gewisses grafisches Grundverständnis mit, wenn auch aus einem völlig anderen Bereich :-)
Ich holte Feedbacks ein, überarbeitete und tüftelte. Und als die neue Woche anbrach, war ich schon viel zu weit gekommen, um die Sache jetzt noch aus der Hand zu geben ... Und siehe da, nun hatte ich auch noch das Cover selbst geschaffen. Es repräsentiert meine Geschichte perfekt!
Druckdaten: ein bisschen Technik
Dann bereitete ich die Druckdateien vor. Den Buchblock, also den Innenteil des Buches, und den Umschlag. Bei meinem Dienstleister Tolino Media gibt es dazu genaue Vorgaben, deren Umsetzung jedoch ohne Profi-Werkzeuge eine ziemliche Herausforderung ist. Doch ich mag meinen Computer und "fuchse" mich dann einfach so lange hinein, bis ich die Lösung habe. Wofür gibt es schließlich Foren, Hilfetexte, Tutorials und freie Software? Als ich es geschafft hatte, alles hochzuladen, ließ ich mir ein Probeexemplar drucken - und voilá, das Ergebnis war, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Zwei Plattformen für das E-book - und noch mehr Technik
Die Basis für das E-book ist die für den Druck aufbereitete Worddatei, also die Endfassung des Buches. Für die Umwandlung in ein E-book müssen viele Formatierungen wieder entfernt werden, zum Beispiel die Seitenzahlen und manuelle Silbentrennungen. Außerdem ist es gar nicht so leicht, eine fehlerfreie Ebook-Datei für Amazon und Tolino Media zu erzeugen. Aber ich habe einen Weg gefunden; die Liebesbeziehung zwischen mir und meinem Rechner wurde wieder auf eine harte Probe gestellt, ist aber letztlich daran gewachsen. Weitere Details erspare ich euch :-)
So stehen Technik und Kreativität ständig in Wechselwirkung, um meinen Text, mein Buch auf und in die Welt zu bringen. Ohne befreundete Autorinnen, Freundinnen, Dienstleistende und auch Leserinnen wäre all das nicht möglich - sie gaben und geben Ermutigung, Feedback und handfesten Input.
Klappentext, Produktbeschreibung, Marketing ... und ein Buchtrailer
Manche Autorinnen lieben es, Klappentexte zu schreiben. Andere finden es unfassbar schwierig. Zur zweiten Kategorie gehöre ich :-) Ja, ich hatte einen Entwurf geschrieben. An dem dann die Lektorin, die Korrektorin und zum Schluss wieder ich herumfeilten. Nun gibt es eine Endfassung. Oder mehrere... Als Verkaufstext für das Buch ist er ein wichtiger Teil des Marketings. Und Marketing ist nun der Bereich, in dem ich - wie viele angehende Self Publisherinnen - wenig Erfahrung hatte. Zur Unterstützung engagierte ich die Buchmarketing-Agentur Medialike. Sie öffnete mir nochmal die Augen dafür, dass der Klappentext nicht das gleiche sein muss wie die so genannte Produktbeschreibung bei Amazon. Stattdessen führte die Agentur eine Keywordrecherche durch und richtete den Produkttext gezielt auf die gefundenen Keywords aus. Dahinter steckt die Überlegung: Wonach würden Leserinnen suchen, die sich für Geschichten wie "Zwischen den Bäumen funkelt das Licht" interessieren? Die Keywords helfen, mein Buch sichtbarer zu machen.
Was noch? Ach ja: Quasi als Übungsstück erstellte ich einen Buchtrailer. Dafür musste ich die vorhandenen Buchbeschreibungstexte noch mehr auf Kern-Aussagen reduzieren und geeignetes Bild- bzw. Videomaterial dafür finden - und am Ende auch noch Rechte für ein Musikstück kaufen, das ich darüberlegen konnte. Es war eine Tüftelei, aber einfacher als das Cover. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, finde ich! Ihr findet es hier unter Bücher oder direkt bei Youtube.
Fazit nach vier Monaten Self Publishing
Ich könnte jetzt hier noch so einige Geschichten erzählen über das Auf und Ab des Bücherschreibens und -veröffentlichens, über Pannen und technische Probleme, Reichweiten und Sichtbarkeit, die Kuriositäten vor allem beim Onlinemarketing. Fest steht: Ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen ist viel Arbeit. Damit verbunden ist auch innere Arbeit, um das Wesen des eigenen Buches immer besser zu verstehen und auch nach außen transportieren zu können - so ist das jedenfalls bei mir. Sei es beim Feilen am Text, den Vorgaben für das Cover, dem Klappentext oder kurzen, knackigen Sätzen für Social Media Postings und andere Marketingtexte, oder beim Zusammenstellen des Buchtrailers. Manches würde ich inzwischen vielleicht anders machen, anderes genau so. Noch offen ist, ob ich beim nächsten Mal wieder ein Cover selbst erstelle - oder wie ich es hinbekomme, eine Vorstellung davon zu entwickeln und auch so zu transportieren, dass ein Designervorschlag mich begeistern kann.
Zum Glück haben mir inzwischen auch eine Reihe Leserinnen Rezensionen bei den Onlinebuchhändlern hinterlassen und spiegeln mir die Wirkung meines Buches (und des Covers!). Die aller-allermeisten Rückmeldungen sind positiv. Und das bedeutet mir sehr viel - dass mein Buch doch eine Anzahl von Menschen zu berühren vermag!